„Die Kirche sucht den Dialog und die Freundschaft mit dem jüdischen Volk“, betont der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff und erinnert in diesem Zusammenhang an die vielen Ebenen freundschaftlicher Beziehungen, die in den vergangenen Jahrzehnten zwischen Juden und Christen entstanden sind. Der stellvertretende Vorsitzende der Unterkommiussion für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz betonte vor einigen Wochen beim Festakt zum zehnjährigen Bestehen der Orthodoxen Rabbinerkonferent Deutschlands (ORD): „Man kann nicht den Gott Israels verehren und gleichzeitig das Volk Israel verachten. Ein Christ kann kein Antisemit sein.“ Über die Aufgaben sowie die Lage des Judentums aus Sicht der ORD sprachen Graf und Gräfin Constantin und Ulrike von Hoensbroech mit ORD-Vorstandsmitglied Rabbiner Avichai Apel, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Dortmund.
Rabbiner Apel, wie ist es zur Gründung der Orthodoxen Rabbinerkonferenz gekommen?
Bis 2001 gab es in Deutschland eine Rabbinerkonferenz, die sich in der Regel einmal im Jahr getroffen hat. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen für die jüdischen Gemeinden in Deutschland wurde seinerzeit im Zentralrat der Juden in Deutschland unter seinem damaligen Vorsitzenden Paul Spiegel beschlossen, die vielfältigen Aufgaben auch durch die Gründung eines Zusammenschlusses der orthodoxen Rabbiner zu konzentrieren.
Welche gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen meinen Sie?
Da ist einerseits der Zuzug vieler Juden aus den Staaten Osteuropas, vor allem aus den ehemaligen GUS-Staaten, nach dem Fall des Eisernen Vorhangsin den 1990er Jahren zu nennen. Viele jüdische Gemeinden in Deutschland mussten enorme Anstrengungen unternehmen, um die neuen Gemeindemitglieder aufzunehmen und zu integrieren. Kleine jüdische Gemeinden wurden auf einmal große. Andererseits fand in den Jahren um die Jahrtausendwende auch so etwas wie ein Generationenwechsel unter den Rabbinern statt. Viele neue und vor allem jüngere Rabbiner rückten an die Spitze der Gemeinden. Mit der Wiederbelebung und der Neu-Etablierung der jüdischen Gemeinden wuchs zugleich das Bedürfnis nach Anerkennung durch die jüdische Gemeinschaft weltweit und nach stärkerer Vernetzung mit ihr.
Wie lässt sich die Arbeit der ORD beschreiben?
Es geht um die Förderung des jüdischen Glaubens, die Regelung von Rechtsfragen, den interreligiösen Dialog sowie auch um ganz praktische Dinge – beispielsweise die Erweiterung des Angebotes an koscheren Speisen, Kultgegenständen und Feiertagsutensilien. Im Einzelnen: Bei der Förderung des jüdischen Glaubens haben wir zuletzt unser Gebetbuch für den Sabbat in hebräischer Schrift und gleichzeitig lateinischer Schrift herausgebracht. Solche Gebetbücher wird es demnächst auch für andere jüdische Feiertage geben. Die Rechtsfragen beziehen sich auf Übertritte zum Judentum, jüdische Ehescheidungen sowie die Klärung von Zweifelsfällen bezüglich der jüdischen Identität. Insgesamt wurden in den zurückliegenden Jahren rund 300 Fälle bearbeitet. Beim Interreligiösen Dialog bringt sich die ORD auf allen Ebenen ein. Einerseits als ORD im Gespräch etwa mit der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland oder mit Vertretern muslimischer Organisationen in Deutschland. Andererseits bringt sich aber auch jeder orthodoxe Rabbiner am Ort seiner Gemeinde in die dortigen lokalen und regionalen Aktivitäten zu diesem Thema ein.
Und bei den koscheren Lebensmitteln…
…arbeitet die ORD aktuell an der Herausgabe einer neuen Koscherliste.
Welche Rolle spielt die Arbeit Ehrenamtlicher dabei?
Die vielen Ehrenamtlichen, die die jüdischen Gemeinden in Deutschland bis heute hervorgebracht haben, sind unverzichtbar für das Judentum in Deutschland. Durch ihren Einsatz sind sie ja auch Botschafter für das jüdische Leben in Deutschland, sie stellen sich selbstlos in den Dienst der Gemeinschaft und der Öffentlichkeit. Ohne ihre unermüdliche Tätigkeit würde jüdisches Leben in Deutschland kaum annäherungsweise so aufblühen wie es derzeit der Fall ist.
Die ORD wurde keine 60 Jahre nach dem Ende der Shoah gegründet. Was zeichnet heute deutsches Judentum und jüdisches Leben in Deutschland aus?
Das Bestreben, jüdisches Leben in Deutschland geregelt und normal werden zu lassen, welches von Anbeginn der jüdischen Erziehung bis hin zum jüdischen Alltag als eine Selbstverständlichkeit existiert, hierzulande bewusst jüdisch leben zu können. Dazu gehören beispielsweise auch die wachsenden Angebote von koscheren Lebensmitteln in großen Lebensmittelketten oder überhaupt immer mehr Möglichkeiten und Angebote – auch für nichtjüdische Menschen – in dieser Richtung.Das ist normal und spiegelt auch die Besinnung auf die eigenen Wurzeln und Identität wider. Das zeigen auch die vielen neu entstandenen jüdischen Einrichtungen, etwaKindergärten und Schulen. Die Tatsache, dass sich die meisten Rabbiner völlig ungezwungen als Rabbiner in ihrem Lebensumfeld und Alltag bewegen, dass Juden in diesem Land ebenso selbstbewusst wie selbstverständlich zur Synagoge gehen können, lässt uns hoffen, dass jüdisches Leben in Deutschland auf dem Weg in die Normalität ist.
Und bezogen auf die ORD?
Wir haben seinerzeit mit elf Rabbinern bei der Gründung angefangen, mittlerweile sind wir bei fast 50 – das ist auch ein Gradmesser für das wachsende Interesse und den Bedarf an jüdischer Erziehung und Entwicklung, an religiöser Orientierung und Führung. Zudem ist schließlich die Tatsache, dass das Jubiläum der ORD am 75. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 in Berlin stattfand, um es mit den Worten des Vorsitzenden der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, zu sagen, ein Vertrauensbeweis in eine jüdische Zukunft in Deutschland.
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