Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) Tag der Bayerischen Wirtschaft 2018 in Brüssel: EU-Kommissar Günther Oettinger fordert mehr Solidarität

Günther Oettinger, Foto_ Stefan Groß

Alle zwei Jahre feiert die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) in Brüssel den Tag der Bayerischen Wirtschaft. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hielt die Keynote auf der Abendveranstaltung und forderte mehr Altruismus.

Europa war und ist eine kongeniale Idee. Nach Jahrhunderten von Kriegen und Kleinstaaterei ist mit der EU ein Europa gewachsen, das prosperiert, dem aber in seiner größten Stunde auch die Schicksalsfrage droht. Der Handelsstreit mit den USA, der harte Brexit, eine nicht geregelte Verteilung von Flüchtlingen, ein Aufflammen von Nationalismus und Populismus sowohl von außen und nach innen als auch die gravierende Differenz zwischen Nord- und Südeuropa stellen die EU vor eine neue Zerreißprobe.

Die GroKo im Handlungsstau

Auf dem Tag der Bayerischen Wirtschaft, der alle zwei Jahre in der Bayerischen Vertretung in Brüssel gefeiert wird, hat EU-Handelskommissar Günther Oettinger vor einer gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Erosion gewarnt. In einem Appell an Wirtschaftsvertreter und Politiker aus Bayern betonte der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, dass ein „Weiter so“ nicht möglich sei. Oettinger kritisierte nicht nur die deutsche Politik, die derzeit nicht handlungsfähig sei und sich an Randthemen wie Interna sinnlos abarbeite, anstatt vernünftig und zukunftsorientiert zu regieren, ein Zustand der in Brüssel nicht mehr vernünftig zu vermitteln sei, sondern auch das Deutschland zu wenig für Europa tut. Die GroKo sei ein Zerwürfnis von Getriebenen, die mit ihrer Politik der Kurzatmigkeit und des Auf-Sicht-Fahrens die großen Probleme der Zeit verkenne und im Sumpf von Macht- Eitelkeiten und Personalien vor sich hin vegetiere. Doch dieser Handlungsstau trifft ein Europa, das sich als Krisenherd immer wieder behaupten muss. Die Idee Europas – samt seiner abendländischen Wertekultur, den großen Meilensteinen von Aufklärung und Religionsfreiheit – ist massiv bedroht und gleicht einem Pulverfass. Die Kriegsschauplätze im Nahen Osten sind bedenklich nah an Europa herangerückt. Autokraten wie Erdogan stellen die freiheitliche-liberale Werteordnung, die Presse- und Meinungsfreiheit in Frage und der amerikanische Präsident Donald Trump provoziert mit Handelskriegen und fokussiert sein „Amerika first“.

„Es ist kalt außerhalb Europas“

Dieses prosperierende Europa ist aber keine Selbstverständlichkeit mehr, so die kritische Bestandsaufnahme Oettingers. Und: „Es ist kalt außerhalb Europas“, hieß es in seiner Keynote in der Bayerischen Vertretung beim festlichen Dinner. Was Europa mehr denn je als Lebenselixier braucht, ist ein neuer Geist von Altruismus, eine Kultur des Altruismus, die sich auch im Wirtschaftsdenken niederspiegeln muss. Statt purem Neoliberalismus und einer verantwortungslosen Globalisierung gilt es Afrika zu stabilisieren, dessen Einwohnerzahl sich laut UN bis 2050 mehr als verdoppeln wird. „Wenn wir die Stabilität nicht dorthin exportieren, werden wir die Instabilität importieren.“

Keine Wagenburgmentalität

Aber auch den rechten Populisten von Frankreich bis Ungarn erteilte der EU-Kommissar eine klare Absage in Sachen Abschottung. Europas Zukunft liege nicht in der Verbarrikadierung; einer Gesinnungsethik muss auch eine Verantwortungsethik folgen. Die Wagenburgmentalität, wie sie derzeit von der AfD in Deutschland propagiert wird, werde der EU nicht helfen, die Probleme der Migration zu lösen. Der beste Grenzschutz, so Oettinger, sei eben die wirtschaftliche Entwicklung und Förderung Afrikas; hier müssten mehr Investitionen fließen, die Entwicklungshilfe zu neuer Qualität umgebogen werden, um den Kontinent nicht den Chinesen – samt ihrem egoistischen Neokolonialismus – zu überlassen.

Nur durch ein breites Engagement Europas in Afrika gelänge die Regulierung eines instabilen Kontinents, der auch Europa gefährlich werden kann, wenn sich dieses in nationalen Eigeninteressen selbstherrlich spiegelt und die Welt draußen vergisst. Nur durch einen qualitativ-veränderten, globalen Altruismus, so der Appell an die Wirtschaftsvertreter, wird es einzig gelingen, die Zukunft Europas zu sichern und die instabilen Krisenregionen dieser Welt zu befrieden. Und für diese Idee, die Oettinger als Kampfansage gegen jedweden Populismus und Nationalismus verstanden wissen will, lohnt es sich zu kämpfen, gerade auch in Deutschland, wo mit der AfD die freiheitlich-liberale Werteordnung auf dem Spiel steht. Diesem Erstarken der Rechtspopulisten gilt es ganz entschlossen entgegenzutreten. Europa, so der Kommissar, darf kein Elitenprojekt sein.

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Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".