Die Fernsehsendung „Bauer sucht Frau“ ist sicherlich manchem bekannt. Darin präsentiert sich auch der ein oder andere ostdeutsche Bauer immer wieder gern – zur (Schaden-)Freude eines Millionenpublikums. Weit weniger vertraut dürfte aber vielen sein, dass der Bauernstand in Ostdeutschland noch immer von den Auswirkungen der sozialistischen Agrarpolitik geprägt ist. Denn die ostdeutsche Landwirtschaft in den Jahren des SED-Regimes ist auch über 20 Jahre nach dem Fall der Mauer ein in der Breite vernachlässigtes Thema im, zugegebener Maßen, weiten Feld der DDRAufarbeitung.
Einen übersichtlichen aber doch facettenreichen Einstieg in das Thema eröffnet der Sammelband Klassenkampf gegen die Bauern – Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft und ihre Folgen bis heute, der von Michael Beleites, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf und Robert Grünbaum herausgegeben wurde.
Darin zeichnen Zeitzeugen, Journalisten und Wissenschaftler ein differenziertes Bild der sozialistischen Agrarpolitik deutscher Prägung mit samt ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart. Im Zentrum der Analysen steht die von der SED gesteuerte und mit allen Mitteln erzwungene Kollektivierung des landwirtschaftlichen Raumes der Jahre 1959/60.
Eröffnet wird der Sammelband nach dem Vorwort der Herausgeber mit einem Beitrag des Zeitzeugen und Altbauers Manfred Probst. In wenigen Worten lenkt er die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Folgen der Kollektivierung – sowohl auf persönlicher wie auch auf politischer Ebene. In Ansätzen lässt sich bereits schon hier die Tragweite politisch gewollten Vergenossenschaftlichung des ländlichen Raumes erkennen. Eine wissenschaftliche Einführung im klassischen Sinn unternimmt im Anschluss Jens Schöne. Ausgehend von der Bodenreform unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges skizziert er die Landwirtschaftspolitik in der sich 1949 gründenden DDR bis zur Kollektivierung 1960. Schnell wird klar: Die Umgestaltung der ostdeutschen Landwirtschaft erfolgte nicht nach ökonomischen, sondern streng nach politisch-ideologischen Vorgaben. „Mit ihr sollten auch die Sozialstruktur auf dem Lande, die gewachsenen Beziehungen in den Dörfern und nicht zuletzt die Machtverhältnisse umfassend und dauerhaft verändert werden“, schreibt der Historiker gleich zu Beginn (S. 19f).
Auf der Grundlage erhalten gebliebener Volkspolizei-Rapporte analysiert der Historiker Udo Grashoff im folgenden Beitrag die Selbsttötungsrate unter der landwirtschaftlichen Bevölkerung auf dem Höhepunkt der Zwangskollektivierung 1960. Anhand einzelner Schicksale gelingt es ihm, einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der erzwungenen Vergenossenschaftlichung einerseits und Selbstmorden unter Bauern andererseits herzustellen und nachzuweisen, auch wenn die tatsächlichen Motive der Suizidhandlungen nicht immer zweifelsfrei bestimmt werden können. Auf einer breiteren Quellengrundlage untersucht daran anschließend Falco Werkentin die Methoden des Klassenkampfes auf dem Land. Ausgehend von der Bodenreform beleuchtet er die Struktur der Landwirtschaftsbetriebe in der DDR und konzentriert sich vor allem auf die Mittel- und Großbauernbetriebe, also diejenigen, die zwischen zehn und 100 Hektar Land bewirtschafteten. Werkentin beschreibt wie insbesondere die Großagrarier unter dem Druck der SED in den Jahren von 1952 bis 1960 litten und wie die Justiz als „Hebel der gesellschaftlichen Umwälzung“ (vgl. S. 49) fungierte. Dabei geht er auch auf Möglichkeiten des Widerstandes bäuerlicher Familienbetriebe ein, zeigt aber gleichzeitig mit welchen Schwierigkeiten Formen des Protestes in Anbetracht der Notwendigkeit der täglichen Versorgung von Stall und Feld behaftet waren.
Über die Formen und Ausmaße des Widerstandes gegen die Kollektivierung gibt auch Daniela Münkel eine Einschätzung ab. Sie richtet den Fokus auf die geheime Berichterstattung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) an die SED-Führung und stellt widerständiges Verhalten in allen Bezirken der DDR fest. „Alles, was nur irgendwie dazu angetan schien, die Pläne der Vollkollektivierung zu stören, wurde der SED-Führung zur Kenntnis gebracht“, beschreibt Münkel (S. 74), die die relative Unverblümtheit der MfS-Dokumente hervorhebt, wodurch es ihr auch gelingt zu zeigen, wie die Stasi im untersuchten Zeitraum ihren Einflussbereich und ihr Informationsnetz im ländlichen Raum massiv ausbaute.
All diese Beiträge zeigen in unterschiedlicher Art, dass die Vollkollektivierung keineswegs freiwillig geschah – wie von der SED propagiert –, sondern nur durch massive Repression, Erpressung und Gewalt zustande kam. Der „sozialistische Frühling“, wie die Kollektivierung im offiziellen Parteiduktus umschrieben wurde, war menschlich und moralisch tiefster Winter. Dass die dadurch geschaffenen Großstrukturen bis in die Gegenwart fortwirken, zeigen die folgenden Abhandlungen. Jörg Gerke, der selbst Bauer in Mecklenburg-Vorpommern ist, untersucht die Auswirkungen der DDR-Agrarstrukturen auf ländliche Regionen in Ostdeutschland nach 1990. Er kritisiert die personelle Kontinuität in Landwirtschaftsbetrieben über die Wende hinaus. Demnach hätten ehemalige SED-Agrarkader die früheren LPG-Betriebe übernommen, während ein Großteil der einfachen LPG-Mitglieder um ihre Ansprüche gebracht wurde (vgl. S. 95). So konnten sich nach Gerkes Ausführungen einige Wenige riesige Flächen sichern, die noch dazu durch die EU mit Millionensummen subventioniert werden. Auch im nächsten Beitrag möchte Uwe Bastian deutlich machen, dass die früheren Großstrukturen der industrialisierten Landwirtschaftbetriebe weitestgehend erhalten geblieben sind und eine Anpassung der DDR-Landwirtschaft an die des Westens ausblieb. Bis zu 90 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Ostdeutschland, so Bastian, sei im Besitz ehemaliger SED-Funktionäre.
Hans Dieter Knapp thematisiert daran anschließend die Industrialisierung des ländlichen Raumes der DDR, die er als unmittelbare Folge der Kollektivierung beschreibt. Beides, Kollektivierung und agroindustrielle Produktion, seien Teil eines ideologisch begründeten Gesamtsystems zur Schaffung einer Klasse der „werktätigen Bauern“ gewesen, mit weitreichenden Folgen auf die Natur und Landschaft im Osten Deutschlands, auf die Knapp ausführlich eingeht. Helmut Klüter beschließt den wissenschaftlichen Teil des Sammelbandes mit einer statistisch-orientierten Studie, die unterschiedlichste Aspekte landwirtschaftlicher Produktion der jüngsten Vergangenheit in ost- und westdeutschen Bundesländern in den Blick nimmt. Seine ernüchternde Bilanz: „Eine Umstrukturierung der aus der DDR-Zeit überkommenen großbetrieblichen Landwirtschaft hat bisher kaum stattgefunden. […] Große Teile der Landwirtschaft […] sind regionalwirtschaftlich unproduktiv.“ (S. 154) Eine Position, die auch Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf im abschließenden Nachwort vertritt.
Insgesamt vermittelt das Buch damit einen facettenreichen Überblick zur Landwirtschaft in der DDR. Die historischen Entwicklungen zwischen dem Bau der Mauer 1961 und der Friedlichen Revolution 1989 geraten zwar etwas aus dem Blick. Stattdessen beleuchtet der Sammelband verstärkt unterschiedliche Perspektiven der Kollektivierung und bietet darüber hinaus auch Ansätze, das Thema stärker in der politischen Bildung zu verankern: Zum Beispiel anhand von Einzelschicksalen (Grashoff), MfS-Akten (Münkel) oder den Dokumenten, die im Text von Werkentin abgedruckt sind. Schade ist jedoch, dass das Buch für Leser, die sich im Anschluss an die Lektüre noch ausführlicher mit dem Thema befassen wollen, keine beigefügte Auswahlbibliografie bereit hält. Deutlich wird aber, dass die sozialistische Umgestaltung der landwirtschaftlichen Produktion in der DDR auch nach über 20 Jahren Deutscher Einheit Fragen an die heutige Gesellschaft stellt. Die Herausgeber fordern darüber eine breite öffentliche Debatte.
Klassenkampf gegen die Bauern. Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft und ihre Folgen bis heute, herausgegeben von Beleites, Michael; Graefe zu Baringdorf, Friedrich Wilhelm; Grünbaum, Robert, erschienen im Metropol Verlag, Berlin 2010.
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