„E strano …!“ Es ist seltsam. Den 1. Akt von Giuseppe Verdis „La traviata“ beschließt die Titelheldin mit einer ausgedehnten zweiteiligen Arie, gerichtet an ihre „verwirrte Seele“. Die Edel-Kurtisane Violetta Valérie erlebt die bis dato ungekannte Freude, endlich lieben zu können und geliebt zu werden. Sie kann es nicht fassen. Zumal sie weiß, dass sie sterben muss, nicht irgendwann, sondern schon morgen. Die Begegnung mit dem schönen Alfredo Germont aus guter Familie bei einem rauschenden Fest in ihrem Pariser Haus hat die junge todkranke Lebedame völlig aus dem Häuschen gebracht. Sie schwappt über vor Glück, schwankt aber zwischen Qual und Wonne, bis sie sich, am Ende ihrer großen Szene, für das Amüsement entscheidet.
Diesen Monolog von Sonya Yoncheva (Foto: Hans Gärtner) erleben zu dürfen, hatten und haben die Münchner das seltene Glück. In der Tat: „E strano!“ Die 36jährige Bulgarin verglich man angesichts ihrer neuesten Händel-Arien-CD, begleitet von der Academia Montis Regalis, mit einem barocken Vokal-Vulkan. Sie war aber, noch bevor sie sich „barockisierte“, eine erstrangige Verdi-Violetta. Dass sie Anwärterin auf die Güteklasse einer Anna Netrebko ist, bewies sie bei einer Repertoire-Aufführung unter Andrea Battistoni in der 1993er Alt-Inszenierung von Günter Krämer. In ihre – warum eigentlich? – ziemlich nervös und in den eruptiven Spitzentönen angestrengt gesungene „E strano“-Szene wurde ihr, kein Wunder beim vielleicht wenig „traviata“-eingeweihten Abo-Publikum, rücksichtslos hineingeklatscht. Egal, die Yoncheva steigerte sich klug, tauschte die anfängliche Zerfahrenheit gegen eine wundersame Ruhe und – „e strano!“ – gelangte zu zarten, innig timbrierten Passagen und zu einer einfühlsam gestalteten Schluss-Szene mit ihren Partnern Arturo Chacón Cruz (Alfredo) und Leo Nucci (Giorgio Germont).
Diese „La traviata“ wird ins Programm der Münchner Opernfestspiele (27. und 29. Juni), wohlgemerkt mit Charles Castronovo als Alfredo und – man lese und staune – Placido Domingo als Vater Germont, aufgenommen. Die Yoncheva sollte sich, auch wenn ihr die (noch immer für sich einnehmende) Krämer-Realisierung von einigen ihrer umjubelten Auftritte her geläufig ist, noch einmal mit ihr vertraut machen können. Domingo wird sie dann erst kennenlernen und wohl ad hoc in sie einsteigen. Sein Ausflug ins Bariton-Fach weckt beim Festspielpublikum nicht weniger Neugierde als Yonchevas Wieder-Bewährung in einer Partie, die ihrer gesunden, betörenden Vulkan-Stimme gewiss besser liegt als Händel. Auch wenn sie den Barock-Maestro drauf hat, als wär sie seit Jahren mit seinen vertrackten Koloraturen vertraut.
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