Die Herausgeber Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig haben einen Band vorgelegt, in dem einige der renommiertesten kritischen Wissenschaftler unserer Zeit versammelt sind. Es geht um das Thema Wissenschaftsfreiheit, die zunehmend gefährdet ist. Wir leben in einer Zeit, da die Universitäten sich zunehmend mit unwissenschaftlichen Zeitgeistthemen beschäftigen, ob es an der TU Dresden um schwangere Väter oder an der KMU Leipzig um eine angebliche globale Durchschnittstemperatur geht, die so hoch wie seit 120 000 Jahren nicht mehr sein soll und dafür die seriöse Forschung vernachlässigen oder gar als störend empfinden. So werden an der Uni Leipzig die Forschungen an den durch die Braunkohleförderung freigelegten Erdschichten, die hunderttausende Jahre zurückreichen und belegen, dass es immer kürzere Warmzeiten gab, die von längeren Kaltzeiten abgelöst wurden, in der Diskussion um die angeblich menschengemachte Klimaerwärmung nicht berücksichtigt, weil vermutlich als störend empfunden.
Dabei brauchen wir in unserer Zeit der multiplen politikgemachten Krisen echte Forschung, um Lösungen zu finden. Ohne Wissenschaftsfreiheit werden wir Freiheit und Wohlstand verlieren.
Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit gehören zu den wichtigsten Errungenschaften der westlichen Zivilisation.
Während ich dies schreibe, ist in den Medien zu lesen, dass die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayrischen Landtag sich Sorgen um die Meinungsfreiheit macht, weil sie bei ihrem jüngsten Auftritt mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir vom Publikum ausgebuht und ausgepfiffen wurde. Dabei ist es seit Jahren akzeptierte Taktik des rot-rot-grünen Klientels, den öffentlichen Auftritt von Personen, die eine vom Zeitgeist abweichende Meinung vertreten, zu verhindern, oder, wenn das nicht möglich ist, durch Buhrufe und Pfiffe zu stören. Die grüne Jungend ist bei solchen Gelegenheiten immer ganz vorn mit dabei.
Das hat grüne Politiker bisher nicht beunruhigt, sie haben das sogar in der Regel gebilligt. Erfunden haben diese Taktik übrigens die Bolschewiki. Als der Zusammentritt der durch die Februarrevolution angestoßenen Verfassungsgebenden Versammlung nicht zu verhindern war, ließ Felix Dzierzynski, der Chef der Tscheka, seine Leute mit Trillerpfeifen und Trommeln den Verlauf der Sitzung stören, bis die erstmals durch eine freie Wahl gewählten Parlamentarier entnervt aufgaben. Lenin hatte erst gezögert, so ein Mittel einzusetzen. Seither gehört es zum alltäglichen Instrumentarium der Linken, bis heute. Die bayrische Grüne hätte also viel eher Grund gehabt, sich Sorgen um die politische Kultur unseres Landes zu machen.
Die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist übrigens im Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben. Wer sie behindert, ist ein Verfassungsfeind. Mir ist keine Äußerung unseres Verfassungsschutzpräsidenten Haldenwang bekannt, die sich mit den immer häufiger werdenden Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit beschäftigt.
Dabei stellt die Freiheit der Wissenschaft nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe dar, sondern ist auch ein Schutzrecht. Es gewährt einem Wissenschaftler den nötigen Freiraum, in dem seine Forschung und die Verbreitung seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse geschützt sind. Wissenschaftsfreiheit bedeutet, dass es unterschiedliche, zum Teil konträre Positionen geben kann. Eine Einheitsmeinung, die Meinungspluralismus nicht zulässt, hemmt die Innovation, auf die wir dringend angewiesen sind.
Deplatforming, also der Ausschluss bestimmter Gruppen und Akteure im Internet, die neueste Taktik der Feinde der Wissenschaftsfreiheit, ist nicht das letzte Problem, das die Verteidiger der Freiheit haben. Es gibt zunehmend politische Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit. Festlegungen wie „Open access“, die von der Ampelregierung 2021 getroffen wurden, schränken die Wissenschaftsfreiheit ein. Außerdem macht eine zunehmende Bürokratisierung und Verstärkung von Verwaltungsstrukturen der Wissenschaft zu schaffen. Dazu gehört die Auflösung der Fakultäten und die Aufsplitterung in immer mehr Fachrichtungen. Im Jahr 2021 gab es 20 000 unterschiedliche Studiengänge an deutschen Hochschulen, Tendenz steigend.
Ein Problem ist nicht nur die Verschulung der Lehre, sondern auch die Mittelverteilung. Vor allem in Kultur- und Sozialwissenschaften fließt Geld nur dann, wenn die „richtigen“ Personen die „richtigen“ Themen bearbeiten. Aber auch in den Naturwissenschaften müssen Antragsteller die Schlagworte einarbeiten, die von den großen Wissenschaftsorganisationen, die über die Verteilung der Drittmittel verfügen, inzwischen vorgegeben werden. Damit sind wir zurück in der DDR. Nur war damals das Bekenntnis zum Sozialismus notwendiger Bestandteil, heute ist es der menschengemachte Klimawandel, Inklusion oder Diversität, die irgendwie untergebracht werden müssen.
Diese Entwicklung, die mit der 68er Studentenrevolte begann, hat mit Beginn der 90er Jahre Fahrt aufgenommen. Seither steigt die Einflussnahme bestimmter marginaler Gruppen, die sich selbst als strukturell benachteiligt einstufen und daraus weitreichende Ansprüche ableiten. Sie maßen sich das Recht an, über Themen zu entscheiden, die untersucht werden dürfen, oder eben nicht.
Es gelingt diesen Gruppen zunehmend, den Diskurs zu bestimmen.
Das betrifft inzwischen die Themenbereiche Kolonialismus und seine Folgen, Feminismus, Gender-Mainstreaming, Gender-Studies, Familienmodelle, sexuelle Diversität, Gen-Technik, Tierhaltung, Klimaforschung, Energienutzung, Rüstung, Einfluss des Islam und Migration. Jüngste Addition sind die Corona-Maßnahmen.
Alle diese Gebiete werden mit strengen Vorgaben eingeschränkt, die freie Forschung behindern oder unmöglich machen. Personen, die diesen Vorgaben widersprechen, oder sie ignorieren, werden zunehmend aus dem wissenschaftlichen Leben verbannt.
Die Folge dieses Prozesses ist eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen an deutschen Hochschulen. Das erzeugt Wissenschaftler, die sich aus Furcht vor Repressionen in ihren Forschungen einschränken. Damit haben wir ein Phänomen, das in Diktaturen üblich ist.
Das Buch behandelt die unterschiedlichen Facetten des Angriffs auf die Wissenschaft in den verschiedenen Gebieten. In Einzeluntersuchungen werden Tabus wie Kritik an der Pandemiepolitik, am menschengemachten Klimawandel, der Migrationspolitik, am Genderismus und am Feminismus behandelt.
Der rote Faden der Beiträge ist, wie durch eine politisch-ideologische Agenda eine Einheitsmeinung den Wettbewerb der Ideen ersetzen soll. Aber es ist gerade dieser Wettbewerb, der den Treibstoff für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft bildet und unser Überleben in einer von multiplen Krisen geschüttelten Welt sichert.
Schulze-Eisentraut, Ulfig: Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit
Quelle: Vera Lengsfeld