Die Deutsche Bahn in freiem Fall (1)
Heute morgen habe ich mich auf den Weg nach München gemacht, wo ich um 18.00 In der Burda-Bar einen Preis für couragierten Journalismus entgegennehmen soll. Meine Reise sollte um 10.57 in Richtung Erfurt beginnen. Die Fahrkarte hatte ich vorsorglich schon vor Wochen gebucht. Gestern Abend bekam ich über die Bahn-App mitgeteilt, dass sich mein Reiseplan geändert habe. Ich sollte statt in den Zug 45 Minuten früher in einen Bus steigen, der mich in 13 Minuten zur Station Hohenebra bringen sollte. Das ist ein Bedarfshalt auf der Strecke Erfurt-Nordhausen, wo es nicht mal ein Dach gibt. Dort sollte ich nach Willen der DB-Regio-Verantwortlichen 40! Minuten in Nebel und Regen auf den Zug warten. Ich zog es vor, mit dem Auto bis Greußen zu fahren, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass der Zug bei meiner morgigen Rückfahrt dort halten würde.
In Erfurt fuhr der ICE 785 pünktlich ein. Die zwanzig Minuten, die der Zug auf einen verspäteten Anschlusszug wartete, nahm ich noch mit Gelassenheit. Ob ich um 14.41 oder um 15.01 In München ankommen würde, gefährdete meinen Terminplan nicht.
Dann kam der ICE aber kurz hinter Erfurt zum Stehen. Nach etwa zehn Minuten wurden wir informiert, dass etwas am Bremssystem nicht stimmte. Der Lokführer würde versuchen, den Schaden mit Hilfe der Hotline zu beheben. Das war vor knapp zwei Stunden. Dann kamen noch andere Schwierigkeiten dazu, zwischenzeitlich war sogar die Air-Condition nicht in Betrieb. Irgendwann hieß es, der Zug würde in Richtung Bamberg auf ein Ausweichgleis fahren, um den hinter uns stecken gebliebenen ICEs Platz zu machen. Irgendwann würde es nach Erfurt zurückgehen. Dort könnten wir es erneut Richtung München versuchen. Eben, kurz nach 14.00 setzte sich unser Zug zurück nach Erfurt in Bewegung. Wenn ich Glück habe, bekomme ich dort um 14.31 den Zug nach München. Dann wäre ich, wenn alles gut geht. Um 17.03 dort und schaffte es noch zur Preisverleihung. Allerdings hätte ich keine Gelegenheit, mich frisch zu machen oder umzuziehen.
Früher wurden noch Formulare verteilt, wenn die Verspätung eine gewisse Zeit überschritt. Das scheint abgeschafft zu sein.
Dass ICEs wegen „Reparatur am Zug“ verspätet sind oder liegenbleiben, ist inzwischen Alltag. Der Bahn hatten geniale Unternehmensberater weis gemacht, sie müsste die betriebseigenen Ausbesserungswerke abschaffen und den Reparaturbetrieb „outsourcen“. Damit ging auch die regelmäßige Kontrolle der Fahrtüchtigkeit der Züge verloren. Das Dilemma könnte nur behoben werden, wenn diese betriebswirtschaftliche Entscheidung rückgängig gemacht wird. Danach sieht es nicht aus, denn die Verantwortlichen scheinen an der Zuverlässigkeit der Bahn nur noch marginal interessiert zu sein, die woken Fisimatenten haben Priorität.
In Erfurt fuhr der 14.31 fast pünktlich ein und fast alle Gestrandeten konnten einsteigen. Allerdings fuhr der Zug nicht ab, ehe alle, die in der Ersten Klasse in den Gängen standen, in die Zweite umgezogen waren. Das dauerte 18 Minuten, nun ist die Klassentrennung wieder hergestellt.
Mit großem Glück kam ich gerade rechtzeitig in die Burda-Bar, um den Preis entgegenzunehmen, allerdings ohne mich frisch machen, oder gar umziehen zu können.
Die DB ist ein Menetekel, wie weit der Abstieg Deutschlands schon gediehen ist. Aber, wie ich an manchen Mitreisenden feststellen konnte, es haben immer noch nicht alle begriffen.
Die Deutsche Bahn im freien Fall (2)
Neulich, als ich meinem Sohn am Telefon von meinen Erlebnissen auf der Bahnfahrt von Berlin nach Thüringen berichtete: Zugausfall wegen eines nicht erschienenen Lokführers, Verspätungen wegen eines liegengebliebenen Zuges, Chaos wegen eines nicht besetzten Stellwerks, unterbrach er mich: Ich hätte ihm das schon erzählt. Nein, habe ich nicht, denn was er schon gehört hatte, war auf der Hinfahrt passiert. Nun handelte es sich um Begebenheiten auf der Rückfahrt.
Es ist eine endlose Geschichte. Gestern, auf der Hinfahrt nach München sollte ich erst in einen Bus steigen, der mich zu einem bedarfshalt auf der Strecke von Erfurt nach Nordhausen bringen sollte, wo ich in Regen und Nebel ohne ein Dach über dem Kopf 40 Minuten auf den Zug warten sollte. Als ich bei der DB Regio anrief, um mich zu erkundigen, wer für diese absurde, fahrgastfeindliche Planung verantwortlich ist, war man überrascht. Man würde die Busse doch so einsetzen, dass höchsten 15 Minuten Umsteigezeit anfallen würden. Man wolle sich das anschauen.
In Erfurt kam der ICE nach München zwar pünktlich an, fuhr aber mit 20 Minuten Verspätung weiter, um kurz hinter Erfurt stehen zu bleiben. Der Stopp war nötig geworden, weil das Bremssystem versagte. Wir standen mehr als zwei Stunden, um dann nach Erfurt zurückzufahren.
Heute morgen kam ich auf den Hauptbahnhof München an, um am Gleis 22 zu erfahren, dass wegen eines auf der Stecke liegengebliebenen ICE – Reparatur am Zug – die ICEs Richtung Ingolstadt nicht ausfahren könnten. Der 8.55, den ich nehmen wollte, stand um Zehn immer noch, nur auf einem anderen Gleis, als ursprünglich vorgesehen. Eine Mitfahrerin hatte auf dem Handy herausgefunden, dass der 9.55 laut App pünktlich abfahren sollte. Also rannte ich zum anderen Gleis, wo der Zug tatsächlich mit nur 15 Minuten Verspätung losfuhr. Bei der Abfahrt sah ich, dass der 8.55 immer noch stand. Die ICEs werden alle über Augsburg umgeleitet. Im Augenblick stehen wir hinter Augsburg wieder, weil es einen ICE-Stau gibt. Wann wir weiterfahren können, ist ungewiss, sagt die freundliche Stimme über den Lautsprecher.
Wenn täglich ICEs wegen „Reparatur am Zug“ auf der Strecke liegen bleiben, warum wird dann bei der Bahn nicht untersucht, wer oder was dafür verantwortlich ist, dass die Züge offensichtlich nicht ausreichend gewartet werden? Da es seit Jahren immer häufiger vorkommt, sollten doch schon längst Maßnahmen ergriffen worden sein, um dem Übel abzuhelfen. Da die Bahn ein halbstaatliches Unternehmen ist, muss sich die Politik fragen lassen, was sie tut, um den offensichtlich unfähigen Vorstand auszuwechseln.
Die Bahn ist und bleibt ein Symbol für den Niedergang Deutschlands. Wir brauchen nicht nur einen Bahnvorstands- sondern einen Politikwechsel.
Quelle: Vera Lengsfeld