Pressemitteilung – ver.di und die US-amerikanische Produktionseinheit von Netflix, Netflix IO, vereinbaren einen Vertrag für Serien und versuchen die fiktionalen Regisseure/innen in Deutschland damit zu überrumpeln. Dabei steht ver.di in ihrem Kerngeschäft – den öffentlich-rechtlichen Sendern – gar nicht gut da. Sie brauchen offenbar dringend Erfolge.
Stagnation auf der einen Seite – Kniefall vor NETFLIX auf der anderen.
Seit Jahrzehnten hat es jede Gewerkschaft vermieden, die Regisseurinnen und Regisseure in ihre Tarifverträge im Bereich Auftragsproduktion mit einzubeziehen. Und die Produzenten waren froh darum, denn die Arbeit von Regisseuren unterscheidet sich sehr von denen anderer auf Produktionsdauer Beschäftigter beim Film. Am deutlichsten wird dies dadurch, dass in der Gagentabelle des TV-FFS, dem Manteltarifvertrag von ver.di, Regisseure/innen überhaupt nicht vorkommen. Diese Lücke schloss schon immer und schließt auch weiterhin der Bundesverband Regie – seit bald 50 Jahren.
Netflix und ver.di scheuen keine rechtlich fragwürdigen Absprachen.
Was jetzt passiert ist, ist ein Tabubruch. Denn im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern wird in Deutschland die Regie nicht für eine Arbeitsleistung innerhalb einer bestimmten Zeit bezahlt, sondern für das Erstellen des „Werks“, die finale Leistung, den fertigen Film.
Ver.di und Netflix haben jetzt in ihrem Vertrag, es handelt sich weder um einen Tarifvertrag noch um eine Gemeinsame Vergütungsregel, schlicht einen Deal gemacht: Netflix zahlt je nach Budgetklassen einer Serienfolge/-produktion für die Teammitglieder plus 5% oder 7,5 % auf die Gagen des bisher nur für deutsche Produzenten geltenden Manteltarifvertrags. Das ist erst einmal fürs Team erfreulich, und setzt nebenbei alle anderen Anbieter unter Druck.
Für die Regisseure stellt sich die Vereinbarung als reines Lohndumping dar.
Dafür legen Netflix und ver.di ebenfalls die Höhe der Regiegagen fest und schreiben dem entsprechenden Passus die „Wirkung einer Gemeinsamen Vergütungsregel“ zu. Es fehlt alles, was eine Regievergütung i.d.R. ausmacht: Angemessene und proportionale Beteiligungsregelung an den Verwertungserlösen, Zahlungstermine entsprechend dem Fortschritt der Werkschöpfung, Festlegung einer proportionalen Vergütung entsprechend der Filmlänge oder des Arbeitsaufwands u.a.m.
Wer weiß, wie komplex die gesetzlichen Regelungen und Bedingungen zum Finden und Verhandeln von angemessener Vergütung sind, muss feststellen, dass so etwas im deutschen Urheberrechtsgesetz nicht vorgesehen ist. Netflix und ver.di scheuen offenbar keine rechtlich fragwürdigen Konstruktionen.
Die schlechtesten Ergebnisse für Regie aller europäischen Filmnationen.
Die Höhe dieser ausgehandelten Regiegagen ist bescheiden und es sind die schlechtesten Ergebnisse in ganz Europa. Nur knapp reichen sie zudem über das Niveau der Erstvergütung deutscher Vorabendserien von 2016 im Privatfernsehen, die für einen Bruchteil der Netflix-Etats hergestellt werden, – für eine weltweite und zeitlich unbegrenzte Nutzung.
ver.di hat offensichtlich nicht verstanden, worum es für die deutschen Regisseure und Regisseurinnen geht, und man darf ernsthaft bezweifeln, ob sie es je verstanden haben. Nur zu deutlich wird, dass sie sich nicht darum gekümmert haben, was im internationalen Vergleich gezahlt wird, zum Beispiel bei ihren Schwesterorganisationen im Ausland. Mehr als wahrscheinlich ist, dass es sie auch nicht interessiert.
NETFLIX nutzt ver.di, um die freischaffenden Regisseure und Regisseurinnen in Deutschland auszubremsen.
ver.di – und NETFLIX – versuchen damit, einen Alleinvertretungsanspruch zu zementieren, der es Außenseitern, wie den traditionsreichen deutschen Urheberverbänden schwermachen soll, mit NETFLIX eigene Regelungen zu verhandeln. Man kann es auch anders sagen: NETFLIX nutzt ver.di, um die freischaffenden Regisseure und Regisseurinnen hinsichtlich ihrer Ansprüche auf angemessene und faire Vergütung nach § 32 UrhG auszubremsen.
Denn der Vertreter der fiktionalen Regie in Deutschland, der Bundesverband Regie, BVR, steht bereits seit 2020 in Verhandlungen mit NETFLIX zur angemessenen Vergütung für Serie. Der BVR hatte vor wenigen Wochen wegen Ergebnislosigkeit angekündigt, in die gesetzlich vorgesehene Schlichtung einzutreten. Der Versuch einer von ver.di erzwungenen Einordnung in einen Vertrag mit dem US-amerikanischen Produktionsarm von Netflix und die „Übertragung“ des Ergebnisses in die bestehende GVR ver.di-Netflix von 2020 soll das offensichtlich verhindern.
Netflix macht letztlich klar: Seid ihr nicht billig, ziehen wir einfach weiter.
In Dänemark erpresst NETFLIX die Regisseure, Regisseurinnen und Kreativen direkt, weil ihnen die dort zwischen dänischen Verbänden und Produzenten verabschiedeten Vergütungsregelungen nicht passen. Um die Kreativen am Boden zu halten, drohten sie mit Produktionsstopp.
ver.di kommt jeder Erfolg recht – auch auf Kosten anderer.
Seit 2001 haben die Urhebertarife der Gewerkschaften in den Sendern so gut wie keinen Fortschritt gemacht. So gibt es bspw. bis heute keine differenzierte Regelung für die hochfrequenten Nutzungen im Online-Bereich. Und im privaten Rundfunk gibt es gar keine Abschlüsse. Da kommt ver.di jeder Erfolg recht – offenbar auch einer auf Kosten anderer.
Wer ver.di fragt, kriegt keine Antwort.
BVR, VDD, AGDOK, BVK, BFS und VSK, also die gesamten Urheberverbände der Branche, haben im April ver.di in einem Brief um eine enge Abstimmung für zukünftige Verhandlungen gebeten, um genau solche branchenschädigenden Alleingänge zu vermeiden. ver.di hat noch nicht einmal geantwortet. So segensreich die Arbeit ver.dis in anderen Branchen und in den Sendeanstalten war, so verheerend ist sie jetzt im Bereich der Filmauftragsproduktion, wenn sie sich derartige Übergriffe auf einen Regelungsbereich erlaubt, den sie nicht kennt.
Der nächste Konflikt ist schon vorprogrammiert.
Das noch in Beratung befindliche EU INCEPTION IMPACT ASSESSMENT, eine europäische Kartell-Bestimmung, bereitet den Weg für die gewerkschaftliche Vertretung von Selbstständigen vor – tarifrechtlich ein absolutes Novum. Was vor allem Solo-Selbstständigen in anderen Branchen helfen soll, zeichnet beim Film bereits die nächsten Konfliktlinien mit ver.di vor. Das Ergebnis ist das Aufreißen von Konfliktlinien innerhalb der verschiedenen Arbeitnehmer- und im Film Urhebervertretungen – und damit ein gefundenes Fressen für die Auftraggeberseite – wie beim Film bspw. NETFLIX.
Die Teams gewinnen auf Kosten der Regie.
Allein das vorliegende Beispiel zeigt, wie gewerkschaftliches Denken funktioniert, wenn es um die Definition von ver.di-Verhandlungserfolgen geht: Unkenntnis und eine profunde Verachtung für die Arbeit und Leistung der Regie führen zu einem Ausspielen der unterschiedlichen Beteiligten am Filmwerk gegeneinander: Die mit einer Wochengage, Urlaubsansprüchen und Überstundenvergütung ausgestatteten Mitarbeiter des Teams gewinnen auf Kosten der Regie, die mit diesen mageren und definitiv unangemessenen Regiegagen schlechter dasteht als ohne eine Regelung: Team gewinnt zu Lasten der Regie.
Der BVR verhandelt mit allen Sendergruppen und gibt seit Jahren die Gagen vor.
Der BVR hat seit vielen Jahren mit den Verwertern im Bereich der Auftragsproduktion und für den Bereich Kino gemeinsame Vergütungsregelungen abgeschlossen und so deutliche Mindeststandards in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft setzen können. Die dortigen Tarife haben sich auch für die angestellten Regisseurinnen und Regisseure als branchenübliche Mindeststandards durchgesetzt.
Entsprechend hat der BVR Netflix nach langen und erfolglosen Verhandlungen in die Schlichtung gebeten – ein nach deutschem Urheberrecht verpflichtenden Verfahren für alle, die in Deutschland produzieren lassen.
Dass ver.di bereit ist, ohne Beteiligung des Bundesverband Regie (BVR), Regiegagen in einem schlichten Vertrag mit Netflix IO zu vereinbaren, ist nicht nur ein massiver Ausverkauf deutscher Regieinteressen, sondern auch ein Angriff auf das Urheberrecht selbst, denn es zielt darauf ab, dass es das Schlichtungsbegehren des BVR direkt angreift, und damit das gesetzliche Prozedere aushebelt.
Konsequenterweise forderte der Bundesverband Regie seine Mitglieder – sofern sie auch bei ver.di Mitglied sind – auf, dort auszutreten.
Man kann die deutsche Regierung und den deutschen und europäischen Gesetzgeber nur dringend bitten, sich der Sache anzunehmen und Tarifpluralität bei den freiberuflichen und den angestellten Regisseuren sicherzustellen, also für die Urheber und deren Vertreter klare rechtliche Verhandlungskorridore zu ermöglichen, denn im Gegensatz zu den Gewerkschaften, kennen die Urheberverbände ihr Geschäft und das ihrer Mitglieder sehr genau, sind gut international vernetzt, und können auf die Erfahrungen ihrer Mitglieder direkt zurückgreifen. Und genau das fürchtet offenbar NETFLIX.