Niemand dürfte heutzutage ernsthaft bestreiten, dass der Unternehmenskultur und den Elementen des Führungsstils eine erhebliche Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens beizumessen ist. Deshalb ist es als erstaunlich zu bezeichnen, dass die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass diesen Erfolgsfaktoren offensichtlich immer weniger Bedeutung beigemessen wird. Die festzustellende, ständige Erosion, der Unternehmenskulturen in den Unternehmen ist deshalb auch bemerkenswert, da in allen Managerlehrgängen und ähnlichen Veranstaltungen sehr deutlich auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Kultur, welche diese Bezeichnung verdient, hingewiesen wird. Dass diese sich dann im Führungsstil niederzuschlagen hat, dürfte als selbstverständlich anzusehen sein.
Der bestehende neoliberale Zeitgeist ist die Ursache dafür, dass die Mitarbeiter in den Unternehmen in vielen Fällen lediglich als Kostenfaktor verstanden werden. Dieser Zeitgeist dürfte eine narzisstische Verhaltensweise der Führungskräfte gegenüber ihren Untergebenen begünstigen.
So werden ständig Kürzungen im Personalbereich angestrebt, welche Verdichtungen der Leistungen beinhalten. Neben Leistungsverdichtungen werden teilweise absurde Vorstellungen, welche die Produktivität von Mitarbeitern betreffen sollen, erfunden. Zwecks Veränderung der Altersstruktur werden zum Beispiel Listen erstellt, und entsprechende Anforderungen an Führungskräfte gerichtet, den Wünschen der Geschäftsleitung zwecks Korrektur, nachzukommen. Diese, mittels individueller Datenverarbeitung erstellten Tabellen, sind dann noch mit Kennziffern versehen, welche Mängel in der Leistungsfähigkeit und Fehlverhalten als Selektionskriterium beinhalten. Selbstverständlich sind die Gehälter ebenfalls zugeordnet, damit man die Konkurrenzfähigkeit über niedrigere Personalkosten bewerkstelligen kann.
Die logische Folge ist, dass den selektierten Mitarbeitern direkt oder subtil nahegelegt wird, das Unternehmen zu verlassen. Als besonders perfide ist zu bezeichnen, dass diese Mitarbeiter keinerlei Möglichkeit haben sich zu wehren. Sie wissen nicht, was Ihnen geschieht. Es wird ein Umfeld geschaffen, was für die Betroffenen als außerordentlich unangenehm empfunden wird, um den Vorgang der Umstrukturierung zu beschleunigen. Derartiges kann als Mobbing bezeichnet werden. In vielen Fällen kann sogar vom Bullying gesprochen werden. Dieser Begriff stammt aus England. Das Verb to bully bedeutet tyrannisieren, schikanieren und drangsalieren.
Mobbing ist heute die betriebliche Praxis. Man unterscheidet hierbei zwischen horizontalem und vertikalem Mobbing. Dieses Verhalten kann demnach nicht nur von den Führungskräften gegenüber den Mitarbeitern ausgehen, sondern auch umgekehrt, und unter den Mitarbeitern selbst. Erst seit den 80er Jahren existieren Untersuchungen in dieser schweren Form der seelischen Gewalt (2). Dieses ist Heinz Leymann, den in Schweden lebenden deutschstämmigen Psychologen, zu verdanken. Der Begriff Mobbing ist zurückzuführen auf den Verhaltensforscher Konrad Lorenz, welcher das aggressive Verhalten bestimmter Tiergruppen, die einen Eindringling verjagen wollen, schilderte. Der Arzt Peter-Paul Heinemann hat diesen Begriff dann erneut in seinem Buch, welches 1972 veröffentlicht wurde, aufgegriffen. Dieses Buch ist das erste über Mobbing, und handelt von der Gruppenaggression bei Kindern.
Begriffe wie Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Erfahrungs- und Wissensaustausch sowie Kollegialität werden offensichtlich in der heutigen Zeit immer häufiger als Relikte angesehen, welche lediglich der Produktivität im Wege stehen. Es erfolgen Verhaltensweisen, welche mit dem Begriff Unternehmenskultur wohl kaum in Einklang zu bringen sind, da Menschen nur noch wie Objekte und nicht als Subjekte behandelt werden.
Sicherlich sollte man die negativen Vorgänge, die in sehr vielen deutschen Unternehmen stattfinden, nicht verallgemeinern. Jedoch der Trend in dieser Richtung tritt immer stärker in Erscheinung. Eine Ursache hierfür dürfte, neben dem neoliberalen Zeitgeist, wohl das schlechte Vorbild des Staates sein, welches sich u. a. in der Sozialgesetzgebung II niederschlägt. Diese wurde dazu geschaffen, um die so genannten Lohnstückkosten auf breiter Basis zu senken, und einen Leichtlohnsektor im großen Stil einzuführen.
Es dürfte den Rahmen sprengen, sämtliches Fehlverhalten, was mit Ethik nichts zu tun hat, aufzuzählen. Auf jeden Fall ist festzustellen, dass aus Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes seitens der Führungskräfte auf breiter Basis ein Rückfall in ein Autoritätsunwesen gegenüber den Mitarbeitern erfolgt ist. Dieses beinhaltet, dass die Führungskräfte behaupten, Inhaber der absoluten Wahrheit und Sicherheit zu sein, und dieses, durch einen logischen Beweis jederzeit darstellen können. Diese Aussage beideutet, dass man auf seinem Gebiet alles zu wissen hat, um als Autorität zu gelten. Natürlich muss man sein überlegenes Wissen den Unwissenden bei jeder sich bietenden Gelegenheit nahe bringen. Nur so genießt man dann, als anerkannte Autorität, den Schutz seiner Kollegen. Fehler zu machen, ist allerdings absolut unerlaubt. Daher dürfen gemachte Fehler niemals zugegeben werden.
Es braucht wohl nicht betont zu werden, wie intolerant diese alte professionelle Ethik ist. Karl R. Popper stellt in einem seiner Aufsätze (1) die Forderung nach einer neuen Berufsethik auf. Sehr anschaulich wird begründet, dass es keine Autoritäten, auch in Spezialfächern, geben kann, da unser Vermutungswissen immer weiter über das hinausgeht, was ein Mensch meistern kann. Demnach gibt es offensichtlich keinen Menschen, welcher die „Weisheit mit Löffeln gegessen“ hat.
Demnach lassen sich Fehler nicht vermeiden. Auch in tausendfach bewährten Theorien besteht die Möglichkeit, dass Fehler darin verborgen sind. Die Aufdeckung dieser Fehler können bahnbrechende und wichtige Entdeckungen beinhalten. Diese Erkenntnis bedeutet, dass wir unsere Einstellung zu Fehlern ändern müssen. Die autoritäre Auffassung führt zur Vertuschung, welches somit eine intellektuelle Sünde zum Inhalt hat. Grundsätzlich sind demnach Fehler aufzudecken, zu analysieren und ihnen auf den Grund zu gehen.
Eine selbstkritische Haltung und Aufrichtigkeit werden demnach zur Pflicht!
Wir müssen letztendlich begreifen, dass Selbstkritik im Grunde die beste Kritik ist. Aber auch Kritik durch andere ist als Notwendigkeit zu betrachten. Uns muss auch klar sein, dass wir andere Menschen zur Entdeckung und Korrekturen von Fehlern brauchen, insbesondere Menschen, die mit anderen Ideen und in einer anderen Atmosphäre aufgewachsen sind. Auch dieses führt zur Toleranz. Rationale Kritik muss spezifische Gründe angeben, warum spezifische Hypothesen falsch zu sein scheinen, oder spezifische Argumente ungültig sind. Sie muss in diesem Sinne unpersönlich sein.
Abschließend ist die Frage zu stellen, wie man diese neue Ethik in dieser Zeit durchsetzen kann? Erfolge einer derartigen Ethik lassen sich wohl kaum kurzfristig in Euro quantifizieren, was im neoliberalen System zwecks Begründung erforderlich ist. Erkenntnisse aus dem Bereich der Geisteswissenschaften werden offensichtlich sträflich vernachlässigt. Der Schaden der dadurch entsteht, und schon entstanden ist, dürfte nach Auffassung des Verfassers als gewaltig anzusehen sein. Die Zunahme der seelischen Erkrankungen in dieser Republik ist ein beängstigendes Indiz.
(1) Karl R. Popper: „Auf der Suche nach einer besseren Welt“
(2) „Warum eine narzisstische Gesellschaft seelische Gewalt fördert“ http://tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3267/
Literaturhinweis:
Heinz Leymann: „Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehrt.“
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