Das bei Indienreisenden vor allem als Badeort beliebte Mahabalipuram liegt 58 km südlich von Chennai (ehemals Madras) im indischen Bundesstaat Tamil Nadu. Neben dem vom Massentourismus noch unberührten, kilometerlangen, feinsandigen Strand hat der nur 5.000 Einwohner zählende Ort jedoch auch zahlreiche archäologische Kostbarkeiten zu bieten.
Bereits vor mehr als 2.000 Jahren war Mahabalipuram phönizischen, griechischen und arabischen Händlern bekannt, wie Funde entsprechender Artefakte – Münzen, Bronzestatuetten und Amphoren – aus dieser Zeit beweisen. Im 7. Jahrhundert n. Chr. wurde der Hafen nochmals ausgebaut und entwickelte sich zum bedeutendsten Handelsplatz des Pallavareiches mit seiner heiligen Hauptstadt Kanchipuram. Vom 7. bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. blühte die Stadt unter der Herrschaft der Pallava-Könige. Diese fruchtbare Periode endete jedoch nach etwa dreihundert Jahren übergangslos und auf mysteriöse Weise. Im 10. Jahrhundert n. Chr. wurde Mahabalipuram von seinen Einwohnern verlassen.
Die uralten architektonischen Schätze fielen bis ins 17. Jahrhundert dem Vergessen anheim. Ein Grund für diesen Rückzug der Bewohner aus dem reichen Küstenlandstrich soll das Ansteigen des Meeresspiegels und die damit verbundene teilweise Überflutung der Stadt gewesen sein. Die heutigen archäologischen Befunde sprechen jedoch gegen eine solche Interpretation. Der alte Hafen von Mahabalipuram, dessen Anlagen derzeit im Rahmen einer umfangreichen Grabungskampagne freigelegt werden, befindet sich noch immer unmittelbar an der Küste und nicht etwa unter Wasser.
Die Einheimischen hingegen erzählen, daß Mahabalipuram auf Weisung der Götter – insbesondere der Gottheit Shiva – aufgegeben worden sei. Verbindungen zur hinduistischen Götterwelt finden sich allerdings in vielfältiger Weise in und um Mahabalipuram.
Am bekanntesten dürften die unter der Herrschaft von Narasimhavarman I. (630 – 668 n. Chr.) entstandenen Tempelbauten und Reliefs sein, die der deutsche Asienreisende Erwin Drinnenberg 1926 begeistert beschrieb.
Nahe des Ortszentrums findet sich das wohl berühmteste Basrelief aus jener Zeit – eine Darstellung von mythologischen Figuren, Pflanzen, Vögeln und Tieren, einschließlich lebensgroßer Elefanten. Archäologen und Historiker streiten sich noch heute darüber, ob es bei sich dem 32 m langen und 12 m hohen Fries nun um die figürliche Darstellung von Arjunas Buße – einer Geschichte aus dem Mahabharata, in welcher der sterbliche Arjuna bei Shiva für seine Schuld, in der Zehnkönigs-Schlacht Verwandte und ehemalige Freunde getötet zu haben, Buße tut – oder aber um die mythologische Herabkunft des heiligen Flusses Ganges auf die Erde handelt, so wie dieses Ereignis im Epos Ramayana beschrieben wird. Der Ganges jedenfalls soll sich nach dieser Theorie symbolisch in einer natürlichen Felsspalte manifestieren. Rechts davon sieht man den Gott Shiva, der sich die Fluten durch seine Haare strömen läßt und somit die Zerstörung der Welt durch den Aufprall des Wassers verhindert. Welcher Theorie nun auch immer der Vorzug gegeben wird – der faszinierenden Ausstrahlungskraft dieser meisterhaften Steinmetzarbeiten vermag man sich nicht zu entziehen.
Über die nahen Berghänge verteilen sich acht Mandapams. Das sind flache, vollständig aus den harten Gneisgestein herausgearbeitete Höhlentempel. Im Innern der Heiligtümer finden sich auf Basreliefs fein einziselierte Szenen der Hindumythologie. Der schönste dieser Höhlentempel ist der Krishna Mandapam, in dem ein Relief zeigt, wie der Gott Krishna mit dem Berg Govardhama als eine Art Schutzschild seine Schafherde und die Hirten vor Indra, dem rachsüchtigen Regengott, rettet.
Zwei der Mandapams sind unvollendet geblieben. Die Archäologen nehmen daher an, daß es sich hier um Modelle und Versuchsbauten für andere, später erbaute Tempel Südindiens handelt. Erwiesen ist, daß heutige statische Berechnungen in der Architektur nur unwesentlich von der damaligen Praxis abweichen – ein Beispiel dafür findet sich in der „School of Sculpture“ in Mahabalipuram. Der Ort war also ein antikes architektonisches Versuchsfeld. Zu diesem Ergebnis sind auch die Historiker gekommen.
Betrachtet man jedoch den Gesamtkomplex von Mahabalipuram, so gelangt man unschwer zu der Erkenntnis, daß die Tempel der Pallava-Epoche auf dem Areal einer mit Sicherheit weitaus älteren Anlage entstanden sind. Werden schon die sakralen Bauten der Pallava als Versuchsfeld bezeichnet, so verdient die ursprüngliche Anlage diese Bezeichnung erst recht. Da gibt es mehrere Meter hohe Felsen, die wie mit einem gigantischen Messer mittendurch geschnitten sind. Selbst unter Verwendung modernster Sprengtechnologien ließe sich ein solches Ergebnis nur schwerlich erzielen. Vielmehr scheint es, als seien die Felsen an der Schnittstelle hohen Temperaturen ausgesetzt gewesen, da die Trennflächen vollkommen glatt sind.
Andere Felsen wurden – wohl unter Verwendung derselben Bearbeitungsmethode – planmäßig terassiert. Sauber aus dem harten Gestein geschnittene Treppen führen ins Nichts. Rechteckige und quadratische Löcher von teilweise beachtlicher Tiefe sind aus dem Fels gestanzt. Teilweise Verglasungen weist jener mehrere Dutzend Tonnen schwere Gneisblock auf, der „Krishnas Butterkugel“ genannt wird und seit Jahrtausenden in einer allen Gesetzen der Schwerkraft hohnsprechenden Balance an einem stark geneigten Hang thront. Der Überlieferung zufolge formte die Gottheit Krishna diesen Block aus Butter. Als der Gott des Spieles überdrüssig war, ließ er die Kugel an besagtem Hang zu Stein erstarren. In der Tat wirkt dieser Stein wie ein vergessenes Spielzeug. Es lassen sich an ihm jedoch keine Bearbeitungsspuren finden. Ebenfalls gibt es keinen Beleg, daß der Felsblock auf künstliche Weise in die beschriebene Lage gebracht worden wäre, obwohl diese Möglichkeit jedenfalls theoretisch besteht. Als die englischen Kolonialherren 1910 den riesigen Gneisbrocken für den Bau des neuen Leuchtturmes verwenden wollten, gelang ihnen dies nicht, obwohl zunächst zehn (!) Elefanten und später zwei Lokomobilen (Dampfschlepper) für den Abtransport sorgen sollten. Für die einheimischen Tamilen war das Scheitern der englischen Bemühungen bereits im Voraus abzusehen. Den Stein, der von einem Gott an diesen Platz gebannt worden war, konnte eben kein Sterblicher bewegen.
Das Gefäß, in dem Krishna die Butter für seine Kugel gestampft haben soll, gibt den Forschern noch größere Rätsel auf. Bei diesem „Butterfaß“ der Legende handelt es sich um ein exakt kreisrundes Loch von etwa 2,5 m Durchmesser und 2 m Tiefe, das aus einem gewachsenen Felsblock buchstäblich herausgeschnitten worden ist. Es fanden sich auch bei näherer Betrachtung keine Anhaltspunkte wie etwa Meißelspuren, welche auf eine konventionelle Bearbeitung schließen ließen. Statt dessen wirken die Wandungen des Loches ebenfalls wie geschliffen.
Über die Felsen des gesamten Areals ziehen sich Rinnen und Kanäle, die wohl einstmals der Aufnahme eines flüssigen Mediums dienten. Die Länge dieses seltsamen, zweifellos künstlichen Kanalsystems kann nur geschätzt werden und dürfte mehrere Kilometer betragen.
Doch Mahabalipuram birgt auch unterirdische Geheimnisse, die bislang in keiner Publikation Erwähnung fanden. Im Süden des Ortes errichteten die Engländer um 1910 den modernen Leuchtturm, der bis heute seinen Dienst versieht. Unterhalb dieses Leuchtturmes auf der dem Meer abgewandten Seite des Felsplateaus wurde in ferner Vergangenheit einer der beschriebenen Höhlentempel aus dem harten Gneisgestein herausgearbeitet. Dieser Varagha-Mandapam wird noch heute von einer Brahmanen-Familie betreut und ist für Touristen nicht zugänglich. Das Innere des Heiligtums besticht durch hervorragend gearbeitete Darstellungen von Göttern und Helden des alten Indien.
Doch nicht nur die ausgezeichnet erhaltenen Skulpturen und Reliefs machen den Mandapam so interessant, sondern die Eingänge zu einem geheimen Labyrinth von Tunneln und unterirdischen Straßen. Diese subterranen Verbindungen haben nach Aussagen der Tempelpriester eine Länge von etwa 65 Kilometern. Die Gänge führen zunächst in die 25 km entfernt gelegene Kleinstadt Chengalpatthu zu einem als Thirukalikum Davam bezeichneten Shiva-Tempel, der hoch über dem Ort auf einem Felsmassiv thront.
Von da aus setzen sich die Tunnel bis in die den Hindus heilige Tempelstadt Kanchipuram fort, die etwa 60 km von Mahabalipuram entfernt ist. Dort enden sie in dem alten, bereits stark verfallenen und für Besucher offiziell unzugänglichen Teil des ebenfalls Shiva geweihten Sri Ekambaranatha Tempels, der auch als „Mangobaum-Tempel“ bekannt ist. Nur wenige Tempelpriester und Fremdenführer wissen noch über diese unterirdischen Labyrinthe Bescheid.
Einstmals sollen diese Gänge den Herrschern der Pallava als geheime Verbindungs- und Fluchttunnel gedient haben, durch die sich im Kriegsfall auch ganze Truppeneinheiten ungesehen und rasch von einem Ort zum anderen verlegen ließen. Lokale Legenden belegen jedoch ebenso wie die Aufzeichnungen in den Archiven des Sri Ekambaranatha Tempels von Kanchipuram, daß die Pallava lediglich ein bei weitem älteres künstliches Höhlensystem für ihre Zwecke um- und ausbauten. Die Tunnel, welche Mahabalipuram mit Chengalpatthu und Kanchipuram verbinden, sind demnach also viel älter als die Pallava-Dynastie. Auffällig ist darüber hinaus die Tatsache, daß diese unterirdischen Gänge eben zwei Orte verbinden, an denen der hinduistischen Mythologie zufolge einst die „Götter“ mit ihren „fliegenden Maschinen“ – den Vimanas – vom Himmel herab gestiegen sein sollen.
Die Tunnelsysteme sind offensichtlich sogar heute noch weitgehend intakt. Eine Begehung jedoch wird von den Behörden mit Hinweis auf einige – teilweise tödliche – Unfälle untersagt, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten in diesem unterirdischen Labyrinth ereignet haben sollen. Offenbar hatten sich in manchen Abschnitten des unterirdischen Systems Stickgase angesammelt, die als Ursache der Todesfälle in Betracht kommen. Begehbare Eingänge zu den künstlichen Höhlen finden sich nur noch auf dem Gelände des Sri Ekambaranatha Tempels in Kanchipuram. Die Eingänge im Varagha-Mandapam von Mahabalipuram sind auf behördliche Anweisung mit Ziegelmauern verschlossen worden.
In der Nähe des geheimnisvollen Varagha-Mandapams befinden sich die fünf Rathas. Diese monolithischen, aus einem Felsblock gearbeiteten Tempel in Form von Prunkwagen gelten als die ältesten sakralen Bauten der Region und waren Vorbild für einen Großteil der späteren drawidischen Tempelbaukunst.
Gerade bei der Errichtung dieser ältesten Gebäude fand eine sehr komplizierte und arbeitsintensive Methode ihre Anwendung, nämlich das Herausarbeiten des gesamten Bauwerkes aus einem Felsblock, während der bei weitem jüngere, Shiva und Wishnu geweihte Shore-Tempel – auch Ufer-Tempel genannt – am Strand von Mahabalipuram in nicht-monolithischer Bauweise errichtet wurde. Auch in diesem Fall scheint das Wissen um die prähistorische Technik, welche eine scheinbar mühelose Bearbeitung des Gesteins und somit die monolithische Bauweise ermöglichte, im Lauf der Zeit verloren gegangen zu sein.
Dennoch verdient auch der durch die Einwirkung der Naturgewalten bereits stark verwitterte Ufer-Tempel Beachtung. Dieses Areal in unmittelbarer Nähe der Küste ist seit mehreren Jahren wieder Gegenstand einer Grabungskampagne von Archäologen der Universität von Chennai. Bei diesen Arbeiten wurde auch ein recht merkwürdiger „Shiva-Linga“ zutage gefördert. Der Gott Shiva gilt in der hinduistischen Mythologie als Schöpfer und Zerstörer in einem, als Gott der Askese und der Fortpflanzung. Von gläubigen Hindus wird er vor allem in Form des Linga verehrt. Archäologen und Religionswissenschaftler halten den Linga für die abstrakte Darstellung des männlichen Phallus. Der Linga wird zumeist als ein kurzer, zylindrischer Stumpf aus schwarzem Granit oder Basalt abgebildet. Im Sri Ekambaranatha Tempel von Kanchipuram existiert jedoch auch eine Darstellung des Linga aus dunklem Lehm. Der bei den Ausgrabungen in Mahabalipuram entdeckte Shiva-Linga nun unterscheidet sich in seinem Aussehen grundlegend von allen anderen bekannten Darstellungen. Dieser Linga besteht wie der gesamte Ufertempel aus Gneis und hat eine Größe von ca. 1,50 m. Er befindet sich außerhalb des eigentlichen Heiligtums inmitten eines halbrunden Bassins, das wohl einst mit Wasser gefüllt war. Der Fuß des Linga besteht aus mehreren, sich nach oben hin konisch verjüngenden Ringen. Darauf wurde eine würfelförmige Konstruktion plaziert. Auf dieser wiederum erheben sich erneut mehrere Ringe, die sich abermals nach oben hin konisch verjüngen. Den Abschluß des Linga bildet eine kleine massive Kuppel. Somit erinnert die gesamte Darstellung weniger an das klassische Abbild eines Shiva-Linga, sondern eher an das Modell eines drawidischen Tempelturms. Solche Tempeltürme aber werden noch heute als Vimana bezeichnet, da sie Nachbildungen der fliegenden Maschinen der Götter sein sollen. Dieser Eindruck wird noch durch zahlreiche plastische Verzierungen des Gebildes verstärkt, die feuerspeiende Mischwesen zeigen. Solche Darstellungen symbolisieren in der drawidischen Tempelbaukunst stets Aspekte wie „Energie“, „Antrieb“. und „Fortbewegung“. Der würfelförmige Teil der Konstruktion weist eine Nische in der Art eines miniaturisierten Felstempels auf. In dieser Nische ist der Gott Shiva auf einem Relief dargestellt – gleichsam als würde er sich im Innern eines startbereiten Vimana befinden.
Von den ursprünglichen Anlagen in Mahabalipuram sind nur Reste erhalten, so daß über ihre einstige Bedeutung nur spekuliert werden kann. Jedoch sind die Tempel der Pallava-Epoche an einem „Heiligen Platz“ erbaut wurden, einem Ort, an dem der Legende nach die „Götter“, insbesondere die Gottheiten Shiva, Wishnu und Krishna gewirkt haben sollen.
Bei der Errichtung der Anlagen von Mahabalipuram und der unterirdischen Tunnel nach Kanchipuram kamen offenbar hochentwickelte Technik und Technologien zum Einsatz, die für uns heute noch nicht vorstellbare Möglichkeiten der Gesteinsbearbeitung eröffneten und nicht mit den klassischen Vorstellungen von antiken Baumethoden vereinbar sind.
Die Bauwerke von Mahabalipuram und Kanchipuram stellen sich daher als weitere Indizien für das Vorhandensein prähistorischer oder antiker Hochtechnologien dar.