Unter Naturschutz

Es gibt Konjunkturen für die „ewige Wiederkehr des Naturrechts“ (Heinrich Rommen). Sie treten meist zu Zeiten unmenschlicher Zustände und ungerechter Gesetze in Erscheinung. Erst die negative Erfahrung mit einer „positiven“, d.h. von der Obrigkeit positivierten Rechtsordnung provoziert die typisch naturrechtliche Frage: Sind die Gesetze überhaupt gerecht? Als Reaktion auf schlimme Entwicklungen kann diese gar nicht „theoretische“ Frage gelegentlich zu Protest- und Widerstandsaktionen, gar Revolutionen führen, an denen sich vorzugsweise „Wertkonservative“ beteiligen. Jedenfalls in den USA und Frankreich, wo die bürgerlichen Familien wenigstens noch die Kraft der öffentlichen Reaktion aufbringen. Etwa in Sachen Abtreibung und Homo-„Ehe“.
Konservative berufen sich gerne auf das Naturrecht, aber gerade darin unterscheiden sie sich. Die konservative Gemeinsamkeit hört auf, wenn es bloß um die Bewahrung des geschichtlich Gewordenen, um die Erhaltung des „von allein“ Gewachsenen, um die Rettung des „Bewährten“ geht. Denn was hat sich nicht alles geschichtlich verfestigt, was ist nicht alles wie „von selbst“ gekommen, und was soll sich nicht alles „bewährt“ haben? Auf diese Fragen wird man nur eine zeit- und raumübergreifende Antwort finden auf der Grundlage eines Wertmaßstabs, der nicht die jeweils aktuelle Modernitätsphrase nachplappert.
Auf die hinterhältige Frage, warum „die“ Kirche eigentlich „die“ Frauen zweitausend Jahre lang unterdrückt habe, hat ein zynischer Spaßvogel geantwortet: „Es hat sich bewährt!“ Ein die Frauen nachträglich schlagendes Argument, das gewiß nicht dem Christentum, sondern der aufgeklärten Philosophie (etwa Kant oder Schopenhauer) anzulasten ist, die uns auch den Rassismus beschert hat. Die Herabwürdigung der Frau zum mondänen arbeitslosen Luxusweibchen ist ein Produkt des modern-bürgerlichen 19. Jahrhunderts. Noch um die Wende zum 20. Jahrhundert konnte der Neurologe Paul J. Möbius ein vielbeachtetes wissenschaftliches Werk „Über den physiologischen Schwach sinn des Weibes“ veröffentlichen. Und Otto Weiningers Buch „Geschlecht und Charakter“ (1903) hat sogar auf Karl Kraus Eindruck gemacht.
Seitdem ist besondere Vorsicht geboten bei der „wissenschaftlichen“ Bestimmung dessen, was man als „die Natur des Menschen“ und seiner Gesellschaft ausgibt. Über den hypothetischen Charakter der Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften hat Karl R. Popper hinreichend aufgeklärt und davor gewarnt, sie dogmatisch zu verfestigen. Das hält jedoch bis heute Journalisten, Politiker, Juristen und leider auch Theologen nicht davon ab, wissenschaftliche Hypothesen (z. B. „der Klimawandel ist reines Menschenwerk “ oder „das Geschlecht des Menschen ist bloß gesellschaftlich konstruiert“) für bare Münze zu halten und zu hypostasieren, statt sie mit Bedacht zu interpretieren.
Auf diese leichtfertige Weise hat man im zwanzigsten Jahrhundert bis heute immer neue „Wahrheiten“ über den Menschen, seine naturale und soziale Welt eher erfunden als entdeckt. Auch die katholische Sozialethik ist vor dieser Versuchung, sich möglichst nahe am jeweiligen wissenschaftlichen Fortschritt anzuschließen und danach ihre Naturrechtslehre anzupassen, nicht gefeit gewesen.
Davor hat vor allem der große Systematiker des NaturrechtsArthur F. Utz deutlich gewarnt, wenngleich er noch 1958 eine von ihm betreute Doktorarbeit durchgehen ließ, die den seltsamen Titel trug „Das natürliche Entscheidungsrecht des Mannes in Ehe und Familie“. Wie Utz später aus Erfahrung zugab, hat in seiner eigenen Familie die Mutter das Sagen gehabt. Geschadet hat es ihm nicht und bewährt hat es sich auch. Wenigstens bei
ihm. Auch wenn bei der Erziehung der Kinder sehr oft die Mütter die Hosen anhaben – schon weil sich viele Väter davonschleichen, bleibt es beim Erziehungsrecht „der Eltern“. Dieses „natürliche“ Recht und sogar die „zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ ist in Artikel 6 unseres Grundgesetzes klipp und klar geregelt.
Man wird wohl noch das Grundgesetz zitieren dürfen,ohne als Verfassungsfeind verdächtigt zu werden. Aber man ist es inzwischen leid, diesen und andere Grundgesetzartikel ihrem Wortlaut nach zu zitieren und ihren ursprünglichen Wortsinn zu ergründen. Journalisten, Politiker und Juristen sind nicht mehr daran interessiert. Wenn sie geltende Rechtsnormen bis zur Unkenntlichkeit reformieren, wollen sie sie der „Lebenswirklichkeit“ anpassen – statt umgekehrt. Und um Rechtfertigung gefragt, antworten sie meist mit der hinterhältigen Gegenfrage: Warum eigentlich nicht? Darauf fällt den meisten Konservativen nicht viel ein.
Für die absehbaren Folgen massenhafter Abtreibung, der Entwertung der Ehe, der Verstaatlichung familiärer Erziehung werden andere später eintreten müssen. Was ist jetzt beispielsweise mit staatlich „gleichgestellten“ Homosexuellen, die einen Kinderwunsch verspüren, obwohl sie biologisch, d.h. von Natur aus nicht disponiert sind, eigene Kinder auf die Welt zu bringen? Hier zeigt sich zunächst jene „naturale Unbeliebigkeit“ als Grenze, die von der allgemeinen praktischen Vernunft zu respektieren ist. Freilich wird weder durch Glaubensbekundungen noch durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse jene Naturordnung durcheinandergewirbelt, welche das Verhältnis der Geschlechter und die „Rolle“ von Vater und Mutter normativ reguliert.
Der Naturordnung entsprechend, also gemäß der Schöpfungsordnung, die einen Schöpfergott voraussetzt, sind es die Frauen, die ein Gebärmonopol haben: Also ein naturgegebenes Privileg, das Männer nicht diskriminiert. Aber warum können eigentlich Männer, die biologisch dazu indisponiert sind, keine eigenen Kinder bekommen? Das ist eine Gerechtigkeitsfrage, die sich wohl nur schöpfungstheologisch beantworten läßt. Also von einem Gott her, den man nicht als Gewährsmann für Gender-Ideologie und Gleichheitswahn in Anspruch nehmen kann, wenn man Seine Zehn Gebote anerkennt. Das Vierte Gebot lautet: Du sollst Vater und Mutter ehren. Nicht zufällig interessieren sich Kinder dafür, ihre eigenen Eltern zu kennen, denen sie ihre Existenz zu verdanken haben.
Quelle: www.die-neue-ordnung.de

Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.

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