Unstatistik des Monats: Elon Musk schrieb auf dem sozialen Netzwerk X: „Fast 80% der Asylbewerber machten Urlaub in ihren Heimatländern“

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Elon Musk schrieb vor kurzem auf dem sozialen Netzwerk X: „Fast 80% der Asylbewerber machten Urlaub in ihren Heimatländern.“ Joe Lonsdale, Mitgründer von Palantir Technologies, kommentierte: „Millionen nutzten ‚Menschenrechte‘ um ins Land zu kommen und kostenlose Sachen zu bekommen, aber es handelt sich um einen riesigen Betrug, der von linksradikalen NGOs und anderen begangen wird.“ Empörung geht durch die Welt. Und der Algorithmus von X sorgt dafür, dass die Botschaft Musks große Verbreitung findet. Asylbewerberinnen und Asylbewerber reisen ausgerechnet in das Land, aus dem sie geflüchtet sind! Und vier von fünf davon missbrauchen unser Asylsystem! Hat Musk recht oder hat er uns hinters Licht geführt?

Die Zahl „fast 80 Prozent“ (genauer gesagt 79 Prozent) geht auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Novus aus dem Jahr 2022 in Schweden zurück. Aus einem Panel von 50.000 in Schweden lebenden Personen wurden etwa 1.000 zufällig ausgewählt, die im Ausland geboren wurden. 85 Prozent davon waren in ihr Heimatland in Urlaub gefahren – kein Wunder, da viele davon von Finnland, Norwegen, Dänemark oder Deutschland nach Schweden gezogen waren. Lediglich 183 Personen sagten, dass sie vom Krieg geflohen waren oder aus politischen Gründen nach Schweden kamen, was als Hinweis darauf gewertet wurde, dass diese Asylsuchende seien. 79 Prozent davon sagten, sie seien in ihr Heimatland in den Urlaub gefahren. Das ist die Zahl, die Musk verbreitete und die in den sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung auslöste.

Umfrage lässt keine Rückschlüsse auf aktuelle Situation zu

Um empört sein zu können, wurde unterstellt, dass diese Personen erst vor kurzem migriert seien. Doch das ist nicht der Fall. Die 183 Personen waren in den vergangenen 80 Jahren nach Schweden gekommen, meist in den 70er- bis 90er-Jahren, wegen des Krieges in Jugoslawien, dem Iran-Irak-Krieg der 1980er Jahre, der Flucht vor dem Chilenischen Diktator Pinochet und dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Sie lebten also in der Regel bereits 30 bis 50 Jahre in Schweden und sprachen auch fließend Schwedisch – sonst wären sie auch nicht in das Panel von Novus selektiert worden. Nur 23 davon kamen nach 2010 nach Schweden, aber woher sie kamen und was ihr Immigrationsstatus war, das hat die Umfrage nicht erfasst.

Also, was hat die Umfrage nun wirklich gezeigt? 79 Prozent von 183 Migranten, die in den vergangenen 80 Jahren nach Schweden gezogen sind, haben Urlaub in ihrem Heimatland gemacht. Das sind die Fakten. Der Rest ist gezielte Irreführung der Öffentlichkeit.

Die Lektion? Die ungehinderte Verbreitung von Falsch- und Fehlinformation, egal durch wen, schadet unserer demokratischen Gesellschaft. Facebook und X ersetzen nun institutionalisierte Faktenchecks durch Anmerkungen ihrer Nutzer, sogenannte „Community Notes“. Wie gut das Community-Notes-System wirklich funktioniert, können Sie selbst testen, indem Sie Musks obige Aussage mit einer Anmerkung versehen. In einem früheren Fall hat Musk allerdings die Community Notes zu einem seiner eigenen Beiträge als „Missbrauch“ bezeichnet. Wir wären gespannt, von Ihnen zu erfahren, ob die Kritik diesmal angenommen wird.

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.deabrufbar.

Weiterführende Literatur: „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich – Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“, das zweite Unstatistik-Buch (ISBN 9783593516080), erhältlich im Buchhandel zum Preis von 22 Euro. Es wurde im Oktober 2023 mit dem „getAbstract-International Book Award 2023“ in der Kategorie Business Impact ausgezeichnet. Das Unternehmen getAbstract hat sich auf die Zusammenfassungen von Wirtschaftsbüchern und Klassikern der Weltliteratur spezialisiert und vergibt seine Awards jährlich im Rahmen der Frankfurter Buchmesse. Speziell mit der Bewertung von Risiken beschäftigt sich das Buch „Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“von Unstatistik-Autor Prof. Dr. Gerd Gigerenzer.

Quelle: rwi