Das Jahr 2024 verspricht, ein unruhiges Jahr zu werden. Seit der zweiten Woche des Jahres protestieren Landwirte, Fuhrunternehmen, Mittelständler jeder Herkunft und viele andere zu Hause und in Berlin gegen die Politik der Ampel. Bei der Bahn wird regelmäßig gestreikt, im Gesundheitssektor gibt es Arbeitsniederlegungen und Mangelwirtschaft. Seit einigen Tagen aber wird dies alles von Kundgebungen gegen den um sich greifenden Rechtspopulismus überlagert, der sich seinerseits ganz offensichtlich in großen Teilen auf den Weg in den Rechtsradikalismus begeben hat.
Unsere Gesellschaft scheint langsam zu begreifen, dass die Demokratie in unserem Land nicht von selbst fortbesteht. Aber wie umgehen mit diesen Entwicklungen? Die AfD verbieten, und dann ist alles wieder gut?
„Unterkomplex“ könnte man diese Antwort wohl mit Fug und Recht nennen. Und unhistorisch sind die Vergleiche auch, die da bisweilen angestellt werden. Auf der „Wannsee-Konferenz“ wurde vor ziemlich genau 82 Jahren von Himmler und Heydrich die längst begonnene, systematische Vertreibung und Ermordung der Juden in Europa noch einmal beschleunigt und der Übergang auf die „genozidale Vergasung“ (Richard Overy in „Weltenbrand“) beschlossen. Da saßen nicht einige verirrte Geister zusammen, das waren sie auch; aber es waren vor allem die maßgeblichen Verbrecher des SS-Staates, der sich fest in der Hand der Nationalsozialisten befand, an die Macht gekommen nicht allein durch Wahlen, sondern durch das Versagen der Vorgängerregierung, einen schwachen Reichspräsidenten, ein feiges Parlament und ein notleidendes Volk, das sich in Massen der brauen Bewegung anschloss.
Jeder Vergleich mit dem NS-Regime relativiert daher nicht nur den Holocaust und die Grauen des Mordes an sechs Millionen Juden. Die Vergleiche führen auch zu den falschen Schlüssen.
Deutschland ist heute eine gefestigte Demokratie mit stabilen Institutionen. Und auch wenn die AfD bei 30 Prozent oder gar darüber liegen mag, dann sind eben doch zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler in Deutschland bei den demokratischen Parteien einer breiten politischen Mitte innerhalb unseres Verfassungsbogens. Das Zusammenwirken der Institutionen funktioniert, wir sind – ganz anders als die Weimarer Republik – eine wehrhafte Demokratie.
Damit soll nun keineswegs das Problem verharmlost werden, und gerade wir Deutschen haben allen Anlass, jeder um sich greifenden Fremdenfeindlichkeit und jeder Erscheinungsform von Antisemitismus unzweideutig entgegen zu treten. Die vielen Tausend Menschen, die dies in diesen Tagen in vielen Städten tun, sind ein Beleg unserer starken und wehrhaften Demokratie. Aber unsere Demokratie braucht nicht nur den Protest und den Widerspruch gegen die rechtsradikalen Netzwerke und ihre Protagonisten. Unsere Demokratie braucht Demokraten in den Parlamenten, von der kommunalen Ebene bis in das Europäische Parlament. Der Protest kann die mühevolle Arbeit in den demokratischen Institutionen nicht ersetzen, allenfalls ergänzen und stützen. Wir haben ein Super-Wahljahr vor uns, die Europawahl, neun Kommunalwahlen und drei Landtagswahlen. Bei allen diesen Wahlen, in Ost und West, muss sich zeigen, wie stark wir bleiben gegen den aufkeimenden Rechtsradikalismus. Und unsere Demokratie ist dann besonders stark, wenn sie sich als fähig erweist, die Probleme des Landes zu lösen.
Quelle: MerzMail