Unklare Machtverhältnisse in Thüringen – AfD erstmals stärkste Partei bei Landtagswahl

Landtagswahl in Thüringen Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen

Bildquelle: Landeswahlleiter

Presse-Information: Die Linke, vor fünf Jahren in Thüringen noch
stärkste Partei mit ihrem besten Ergebnis überhaupt, stürzt ab und wird
mehr als halbiert. Die AfD wird erstmals stärkste Partei bei einer
Landtagswahl und dies mit deutlichem Abstand vor der CDU, die sich nur
leicht erholen kann. Das BSW ist aus dem Stand stark, die SPD bleibt
unverändert schwach, FDP und vielleicht auch die Grünen werden dem neuen
Landtag nicht mehr angehören.

Ausgangslage: Unzufriedenheit und Polarisierung
Überlagert von höchster Unzufriedenheit sowohl mit der Bundes- als auch
der Landesregierung, einer extremen Polarisierung und personeller sowie
inhaltlicher Schwächen aller Parteien wird die AfD in einem stark
fragmentierten Umfeld erstmals stärkste Partei bei einer Landtagswahl.
Wie im benachbarten Sachsen punktet die AfD klar beim Top-Thema
„Flüchtlinge/Asyl“, bleibt ansonsten aber genau wie das BSW inhaltlich
schwach und hat mit Björn Höcke einen Spitzenkandidaten, der außerhalb
der eigenen Reihen extrem kritisch gesehen wird. Ministerpräsident Bodo
Ramelow (Linke) liegt auf der persönlichen Ebene zwar vor seinen
Herausforderern von AfD, CDU und BSW, hat aber an Zugkraft verloren.

Kandidaten: Schwache Imagewerte
So bevorzugen die Thüringer den Amtsinhaber, wenn es um den gewünschten
Regierungschef geht, vor den Spitzenkandidaten der anderen Parteien. Die
Regierungsbilanz Ramelows – 60 Prozent bescheinigen ihm eine gute
Regierungsarbeit – ist im Vergleich zu anderen Länderchefs allerdings
eher unterdurchschnittlich, und auch sein Ansehen
(plus 0,8 auf der +5/-5-Skala; 2019:1,6) hat gelitten.
CDU-Herausforderer Mario Voigt (0,0) und Katja Wolf vom BSW (minus 0,4)
empfehlen sich ebenfalls nicht. Noch schwächer ist der Imagewert von
AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke (minus 2,0). Nach wie vor sehen 61
Prozent in Höcke „eine Gefahr für die Demokratie“. Dabei wählen 32
Prozent der AfD-Wähler die AfD primär als „Denkzettel“, aber 62 Prozent
„wegen ihrer politischen Forderungen“.

Parteien: Imageeinbruch bei fast allen Parteien
Die Unzufriedenheit mit der Landesregierung ist auf Rekordniveau (minus
0,8), auch die Arbeit der Opposition wird kritisch bewertet. So haben
sämtliche Parteien zum Teil massive Ansehensverluste. Einzig die AfD
verbessert ihr Image etwas, bleibt aber dennoch negativ (minus 1,4). Der
BSW schafft aus dem Stand einen vergleichsweise guten Wert (0,1).

Die Unzufriedenheit der Thüringerinnen, von denen 57 Prozent die
Zukunftsvorbereitung ihres Landes als schlecht beurteilen, beschränkt
sich nicht auf die Politik in ihrem Land. Die Bundesregierung wird mit
minus 2,2 so negativ wie noch nie bei einer Landtagswahl bewertet. Den
Grund für das schlechte Abschneiden von Grünen und FDP sehen die
Thüringer primär „bei der jeweiligen Partei im Bund“.

Top-Themen: Flüchtlinge/Asyl und Schule/Bildung
Lediglich beim Thema „Flüchtlinge/Asyl“ (34 Prozent) genießt die AfD
unter allen Befragten deutlich mehr Vertrauen in ihre Politik als andere
Parteien. Beim Thema „Bildung und Schule“ punktet die CDU knapp vor der
AfD. Bei „Sozialer Gerechtigkeit“ liegen AfD, Linke, CDU und BSW nah
beieinander und bei „Wirtschaft“ führt die CDU deutlich.

Wie wenig die Thüringer sich von der aktuellen Bundespolitik abgeholt
fühlen, wird denn auch deutlich bei der Frage, welche Partei sich am
ehesten um die Sorgen und Nöte der Ostdeutschen kümmert: 25 Prozent
nennen die AfD, 22 Prozent die Linke – vor fünf Jahren lag deren Anteil
noch bei 40 Prozent -, elf Prozent die CDU und zehn Prozent das BSW. Die
Parteien der Bundesregierung spielen hier keine Rolle.

Koalitionen: Unklare Verhältnisse
Wie unklar die politische Lage ist, zeigt die Frage, wer die künftige
Regierung führen soll: 33 Prozent nennen die CDU, 26 Prozent die AfD, 20
Prozent die Linke und 12 Prozent das BSW (weiß nicht: neun Prozent).

Dass die CDU im Vorfeld der Wahl ein Bündnis mit der Linken
ausgeschlossen hat, finden 67 Prozent aller Thüringer nicht richtig und
selbst 68 Prozent der CDU-Anhänger. Dass sie ein Bündnis mit der AfD
ausgeschlossen hat, erachten umgekehrt 54 Prozent als richtig und auch
88 Prozent der CDU-Anhänger, 43 Prozent der Befragten insgesamt erachten
es als falsch.

Erneut lehnen die Thüringer mehrheitlich (58 Prozent) eine
Regierungsbeteiligung der AfD ab, 36 Prozent befürworten sie. Eine
Beteiligung des BSW fänden nur 28 Prozent schlecht, 36 Prozent gut und
29 Prozent wäre das egal.

Wer wählte wen: Große Altersunterschiede
Die AfD ist in allen sozialen Gruppen stark, dazu kommt ein massiver
Gender-Gap: Bei Wählerinnen erreicht die AfD 28 Prozent, bei Wählern
sind es 39 Prozent. Bei den unter 60-jährigen Männern erhält die AfD
besonders viel Zuspruch (43 Prozent). Die CDU ist wie gewohnt bei den ab
60-Jähigen besonders erfolgreich (31 Prozent), bei den unter 30-Jährigen
erzielt sie nur 13 Prozent. Die Linke bricht bei der beteiligungsstarken
Gruppe der ab 60-Jährigen ein (minus 27 Punkte). Umgekehrt erzielt das
BSW in dieser Altersgruppe ihr bestes Ergebnis (17 Prozent).

Die Zahlen basieren auf einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen unter
1.217 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten in Thüringen in der Woche
vor der Wahl (telefonisch/online) sowie auf der Befragung von 16.416
Wähler/innen am Wahltag.