Wer den Lebenslauf und die politische Entwicklung der einstigen DDR-Bürgerin Sahra Wagenknecht genauer betrachtet, wird feststellen, dass sie, nach dem Abitur 1988 an der Erweiterten Oberschule „Albert Einstein“ in Berlin-Marzahn, nirgendwo eine geistige Heimat gefunden und in den Gruppen, in denen sie aktiv wurde, immer aufbegehrt hat.
Geboren am 16. Juli 1969 in Jena-Göschwitz, wuchs sie bis zum Schulbeginn 1965 bei ihren Großeltern auf. Ihr persischer Vater, der in Westberlin studierte, gilt nach einem Besuch seines Heimatlandes bis heute als verschollen. Sahra Wagenknecht durfte, trotz guter Noten im Abitur, an keiner DDR-Universität studieren, weil sie sich nicht ins Kollektiv einfügen konnte.
Stattdessen wurde ihr eine Arbeitsstelle als Sekretärin an der Ostberliner Humboldt-Universität zugewiesen, die sie nach zwei Monaten kündigte. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie jetzt mit Nachhilfeunterreicht im Schulfach Russisch und las die philosophischen Werke des preußischen Staatsphilosophen Hegel (1770-1831).Obwohl der Untergang des DDR-Sozialismusschon absehbar war, trat sie noch im Sommer 1989 in die SED ein, um die DDR zu retten. Den Mauerfall vom 9. November 1989, der den DDR-Bürgern die Freiheit brachte, bezeichnete sie verächtlich als „Konterrevolution“.
Seit dem Sommersemester 1990 studierte sie Philosophie und deutsche Literaturgeschichtein Jena und in Ostberlin, wo sie das Studium aber abbrach, um 1996 an der niederländischen Universität Groningen bei dem Altmarxisten Hans Heinz Holz (1927-2011) den Titel „Magistra Artium“ zu erwerben. Promoviert wurde sie allerdings in Volkswirtschaft, an der Universität Chemnitz2012.
Schon 1991 war Sahra Wagenknecht Mitglied im Vorstand der von Gregor Gysi geführten „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS). Fortan gab es laufend Auseinandersetzungen zwischen der jungen Stalinistin und dem erfahrenen SED-Politiker des Jahrgangs 1948. Den PDS-Reformkurs Gregor Gysis lehnte sie vehement ab, auch die 2007 erfolgte Verschmelzung mit derwestdeutschen „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG), was die schließlich gescheiterte Westausdehnung der Partei beschleunigen sollte. Zwischen 1995 und 2000 musste sie auf Wunsch Gregor Gysis, der mit seinem Rücktritt gedroht hatte, aus dem Vorstand ausscheiden. Dafür war sie von 1991 bis 2010 Vorsitzende der innerparteilichen Oppositionsgruppe„Kommunistische Plattform“, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Im Jahr 2000 erneut in den Vorstand gewählt, gehörte sie im März 2006 zu den Initiatoren der „Antikapitalistischen Linken“ innerhalb der Linkspartei, von Juni 2007 bis Mai 2014 war sie Mitglied des Vorstandes der Partei „Die Linke“. Ihr Wunsch, stellvertretende Vorsitzende der „Linken“ zu werden, scheiterte allerdings am Widerspruch desVorsitzenden Prof. Dr. Lothar Bisky (1941-2013). Ihr Ziel erreichte sie schließlich im Mai 2010 und hatte das Amt bis 2014 inne.
In den folgenden neun Jahren bis 2023 gab es von ihr ständige Verstöße gegen Parteibeschlüsse, weshalb parteiinterne Kritiker im Juni 2021 ihren Ausschluss forderten, was aber nicht durchsetzbar war. Vor allem ihr gegen die Parteiführung gerichtetes Buch „Die Selbstgerechten“ (2021)wurde als Provokation empfunden. Ihre peinlichen Aussagen zum von Russland am 24. März 2022 begonnenen Ukraine-Kriegverschärften die Kritik an ihrer politischen Orientierung, weshalb der Parteivorstand sie am 10. Juni 2023 aufforderte, ihr Mandat im Bundestag niederzulegen, da sie „parteischädigende Strukturen“ aufbaue. Ihr Ziel war offensichtlich, möglichst viele Bundestagsabgeordnete der „Linken“ für ihre noch zu gründende Partei abzuwerben.
Dieses offensichtlich unaufhaltsame Strebennach Macht fand 2024 schließlich seine Erfüllung. Sahra Wagenknecht gründete am 20. Juli 2023 mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten der „Linken“ den Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“, der sich amJanuar 2024 in eine Partei umwandelte und am 2. Februar 2024 von der Bundestagsverwaltung auch als Partei anerkannt wurde. Kritik an der DDR-Funktionärskaste und dem vom SED-Politbüro erlassenen Schießbefehl gegen Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze wies sie zurück. Als die PDS 2002 erklärte, für die erschossenen Flüchtlinge an der Berliner Mauer gäbe es keine Rechtfertigung, stimmte sie als einziges Mitglied des Parteivorstandes gegen dieses Diktum. Ihre Haltung zum Stalinismus, mit dem sie sympathisiert, war auch in der Mutterpartei „Die Linke“ höchst umstritten. So kritisierte sie 2008 das Aufstellen eines Gedenksteins auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde mit der Aufschrift „Den Opfern des Stalinismus“, da sich unter diesen Opfern auch „Faschisten“ befunden hätten.
Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das ganz auf seine Gründerin zugeschnitten ist, steckt noch mitten im Aufbau. Ein Parteiprogramm gibt es noch nicht und soll erst zur Bundestagswahl 2025 vorgelegt werden. Von den 16 Landesverbänden sind erst sieben gegründet worden. Als Hauptgegner der neuen Partei wird das „Bündnis 90/Die Grünen“ angesehen, das bei den Landtagswahlen am 1. September in Sachsen und Thüringen in die Bedeutungslosigkeit abgesunken ist. In Sachsen scheint es möglich, dass die alte Koalition noch einmal die Regierungsverantwortung übernimmt. In Thüringen dagegen ist die von der zweitstärksten Partei CDU angestrebte Regierungsbildung fast unmöglich, da es einen Parteibeschluss gibt, weder mit der „Alternative für Deutschland“, also mit Björn Höcke, noch mit der Schwundpartei „Sie Linke“ zu koalieren. Eine verfahrene Situation.