Ulrich Schödlbauer Sollten wir unsere oder eine andere Kultur bevorzugen?

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von Ulrich Schödlbauer

In einer jüngst gehaltenen Brüsseler Ansprache skizziert der Historiker und bekennende ›Hesperianer‹ David Engels seine Antwort auf die Frage, ob (und warum) ›wir‹ ›unsere Zivilisation‹ anderen vorziehen sollten. Die deutsche Fassung, nachzulesen im Sandwirt, ist insofern bedenkenswert, als sie an gewissen Stellen den Ausdruck ›western civilisation‹ durch den etwas anders konnotierten des ›Abendlandes‹ ersetzt. Das dürfte nicht ohne Absicht des Spenglerianers Engels geschehen sein. Es macht also Sinn – um dem Anglizismus an dieser Stelle die Ehre zu geben –, sich auf der Spur der deutschen Terminologie zu bewegen, und sei es nur deshalb, weil sonst die ganze Fragestellung (ob und warum wir alle nun Patrioten des Westens sein sollten) seltsam flach daherkommt. Western patriotism ist bekanntlich immer dann in Europa angesagt, wenn der amerikanische Freund sich der Loyalität – und Zahlungswilligkeit – seiner europäischen Verbündeten versichern möchte. Ansonsten genügt den USA der US-Patriotismus ebenso wie den Europafreunden in Großbritannien der britische.

Dort, wo er in Spuren existiert, hat der europäische, über die Grenzen des Nationalstaates hinausgehende Patriotismus in der Tat etwas mit dem Abendland und seiner Geschichte zu tun, also dem, was ebenso wolkig wie präzise der Begriff des gemeinsamen Herkommens der Europäer umschreibt. Die EU jedenfalls hat bisher, wie oft vermerkt wurde, keinen solchen Patriotismus hervorzubringen vermocht und ist inzwischen, schon des Wortes wegen, offenkundig nicht daran interessiert. Die Europäische Union ist ein Konglomerat unterwegs zum Superstaat, zusammengehalten durch ökonomische und neuerdings geteilt durch ideologische Interessen. Das Abendland hingegen – nun, kratzt man ein wenig an dem Begriff, so kommt darunter die Christenheit zum Vorschein, soll heißen, jener mittelalterliche Kulturraum, dem angehörte, wer immer das Knie vor Kreuz und Altar zu beugen gelernt hatte.

Diese Welt ist seit langem versunken, wie bereits der Romantiker Novalis bemerkte, der sich für seinen rückwärtsgewandten Aufsatz Die Christenheit oder Europa prompt von seinen progressiven Jenaer Freunden schelten lassen musste. Wobei das ›seit langem‹ historisch präzisiert werden kann: Jenes Europa versank in den ›Wirren‹ des Dreißigjährigen Krieges, mit dem Westfälischen Frieden als Schlussstrich. Seither herrscht in Europa die sogenannte Moderne, jedenfalls im Westen des Kontinents, wo die Politik peinlich darauf achtete, dass das Heilige Römische Reich der Deutschen, das Kernstück des alten Europa, als sanfter, gelegentlich lächerlicher Traum in der Wiener Hofburg verdämmerte, bis die Kanonen Napoleons ihm endgültig den Garaus machten.

Nein, sie waren keineswegs Abendländer, die modernen Franzosen und Briten, die sich als aufsteigende Kolonialmächte ihre eigenen Zivilisationen schufen, bis sie es angesichts der nordamerikanischen und letztlich der deutschen Herausforderung für nützlich erachteten zusammenzulegen und und unter Einschluss Amerikas jenes leicht hybride Gebilde, genannt westliche Zivilisation, Gestalt gewinnen zu lassen, an dem sich die Deutschen im Ersten Weltkrieg die Schädel einrannten. Entsprechend beginnt die deutsche ›Moderne‹ signifikant später als die Englands und Frankreichs, sie beginnt mit dem ökonomischen und schließĺich politischen Wiederaufstieg der europäischen Mitte angesichts einer zwischen den ›Mächten‹ (zu denen das ›unmoderne‹ Russland hinzugerechnet werden muss) weitgehend aufgeteilten Welt im Zeichen jener ›Kultur‹, die als Übersetzung und Gegenbegriff zur westlichen Zivilisation verstanden werden sollte: Ausdruck des Dazugehörens und der Alterität in einem.

Um nicht missverstanden zu werden: Es waren nicht die Deutschen allein, die aus freien Stücken oder ideologischer Verwirrung ihren ›Sonderweg‹ beschritten. So wenig Deutschland im neunzehnten Jahrhundert, auch wenn es sich gelegentlich das Aussehen gab, eine junge Nation war, vergleichbar den Vereinigten Staaten von Amerika, so wenig war das Machtgebilde, das da entstand, ein willkommener Partner in einer westlichen Wertegemeinschaft. Wie der angelsächsische Kulturraum weiterhin seine Schwierigkeiten mit ›den Franzosen‹ pflegte, auch wenn Realpolitik und westlicher Lebensstil darüber letztlich hinweggingen, so fremdelte die ›westliche Zivilisation‹ mit ›den Deutschen‹ (und selbstverständlich den Russen, deren Orthodoxie niemals Teil des Westens wurde und offenbar weiterhin nicht werden soll), ähnlich wie heute Europa mit ›den Türken‹ fremdelt, selbst wenn es damit seinen Interessen Schaden zufügt.

Warum diese Ausflüge in die Vergangenheit? Es ist bequemes Denken, Zivilisation und Kultur, Europa und den Westen, US-Dominanz und Abendland bruchlos ineinanderlaufen zu lassen, so wie es bequemes Denken ist, angesichts chinesischer Weltmachtattitüden oder der Konfrontation zwischen Nato und Russland auf dem Staatsgebiet der Ukraine sich in eine imaginäre Verteidigung des Westens hineinzusteigern und damit ideologisches Unterfutter für einen neuen Weltkonflikt zu liefern, das fatal an die falschen Heldentaten europäischer Intellektueller im Vorfeld des Ersten Weltkriegs erinnert. Diese Einsicht sollte nicht davon ablenken, dass auch der sogenannte Osten den sogenannten Westen als einheitlich dekadenten Raum betrachtet, dessen durch US-amerikanisches Kapital und Militär gedeckte Weltdominanz gegenwärtig im Schwinden begriffen ist.

Es gibt keine Zivilisationen ohne die dazugehörigen ›Reiche‹, es gibt kein Pulsieren der Zivilisationen außerhalb der Machtverhältnisse, die ihnen auf die eine oder andere Weise inhärent sind. Insofern erledigt sich die Frage, welche der beiden Bedeutungen von Verteidigung in Engels’ Ausführungen wohl gemeint sein könnten, die machtgestützte, deren letztes Mittel der Krieg ist, oder die moralgestützte, die mit Friedenszungen lispelt und das Himmelreich im eigenen Herkommen findet, in der Praxis von selbst. Das akute Problem Europas, um es nüchtern zu konstatieren, ist nicht der Ansturm des Morgenlandes gegen die letzten Bastionen europäischen Denkens und europäischer Lebensart, sondern die Indienstnahme eines zusehends verflachenden, mit präzedenzlosen demographischen Problemen geschlagenen europäischen Kulturraums durch einen Hegemon, der sich offenbar nicht aus dem Klammergriff einer hektisch nach Weltdominanz strebenden Wirtschaftselite zu befreien vermag.

Wenn es dafür eines Beleges bedurft hätte, dann liefert ihn die ›woke‹ Ideologie, die im Kern nichts weiter darstellt als Begleitgetümmel der Enteuropäisierung der amerikanischen Eliten – zweifellos ein bizarres Programm, sobald man es auf Europa selbst überträgt, so dass gefragt werden darf, wessen Interessen damit wohl gedient wird. Es mag schon sein, dass Europa – und hier der ›liberale‹, eher westliche Block – seine jüngsten Konflikte per Massenmigration importiert. Richtig ist aber auch, dass sie durch Faktoren scharf gemacht werden, die der Westen selbst hervorgebracht hat und weiterhin hervorzubringen nicht müde wird – mit jener Spenglerschen Konsequenz, die Kulturen nun einmal eignet. An dieser Stelle scheitert jeder Versuch, zum zivilisatorischen Status quo ante zurückzukehren und damit einen konservativen Reset durchzuführen, der nicht ohne Grund das genaue Spiegelbild zum WEF-Programm abgeben würde.

Anders als Computerprogramme besitzt Zivilisation keine Reset-Taste. Wer immer versucht, ihr Idealbild gegen die Zeit selbst zu verteidigen, wird sich am Ende des Tages der Frage stellen müssen, was von ihr bleibt und ob sie nicht längst irgendwann im Kampfgetümmel verschieden ist. Zivilisation ist kein Besitz, sondern die Summe der Verkehrs- und Verständigungsformen, die das Zusammenleben der Menschen einer Region regeln, wobei das, was hier ›Summe‹ genannt wird, nur erahn-, aber definitiv nicht fixierbar ist. Wir wissen nicht, was tagtäglich davon unwiederbringlich verlorengeht, so wie niemand den Überblick darüber besitzt, was von Tag zu Tag neu hinzukommt. Zu den Verständigungsformen gehört, für Europäer selbstverständlich, auch die gemeinsame Geschichte als imaginärer, gelegentlich fiktiver Erlebnisraum. Aber man mache sich da nichts vor: die Zahl der Europäer, die in ihren Geschichten leben, ist rapide im Schwinden begriffen. Andere ›Zivilisationen‹ sehen das ohnehin lockerer.

Schwerlich lässt sich vom Kulturraum Europa reden, ohne seinen doppelten Selbstmord im frühen zwanzigsten Jahrhundert zu erwähnen. Auch Engels spielt auf ihn an, wenn er ›uns Europäer‹ zu Spätgeborenen erklärt, die sich davor hüten müssen, geschichts- und zivilisationsblind in einen dritten (definitiven) Selbstmord hineinzustolpern. So zu denken ist sicher ehrenhaft. Richtig ist auch: Die Entscheidung, das neue Europa als Abkehr von seiner Geschichte zu inszenieren, fiel vor langen Jahrzehnten und es darf als sicher gelten, dass Europas Stimme dabei von durchaus minderem Gewicht war. Das heutige Europa, das gilt nicht erst seit gestern, ist nicht Herr seiner selbst. Es ist, so darf man es formulieren, nicht einmal Herr seiner eigenen Geschichte. Wer heute abseits wissenschaftlicher Seminare von Geschichte redet, spricht von Propaganda. Er spricht nicht allein von ihr, sondern er bewegt sich in ihr ohne Aussicht, aus diesem Labyrinth der Täuschungen jemals herauszufinden. Wer hat das Abendland gesprengt? War’s Luther? Oder doch Galilei oder Newton? Wer hat das alte Europa definitiv ins Reich der Fiktionen verwiesen? Kopernikus? Hobbes vielleicht? Nein? D’Alembert? Möglich wär’s. Vielleicht Robbespierre, Napoleon, Marx? Oder waren sie alle am Ende doch Grenzwächter eben jenes Abendlandes, jeder auf seinem Posten ein Prinz Eugen oder Johann III. Sobieski? Die Welt hat sie überlebt und Europa liegt immer noch dort, wo sie es vorgefunden hatten, ganz wie Indien nach dem Abzug der britischen Truppen oder wie Afrika nach dem unvollständigen Rückzug der Weißen. Nur Amerikas Indigene müssen neuerdings sogar auf den Namen verzichten, den ihnen unkundige Eroberer aufgedrückt hatten.

II.

Der Redner Engels will einen alten Knoten auflösen, der da lautet: Warum soll ich ›meiner‹ Zivilisation den Vorzug geben, wenn ich doch von der Gleichwertigkeit aller Zivilisationen überzeugt bin? Die Antwort jedes Psychologen, der nicht am Korrektheitssyndrom leidet, würde lauten: Weil ich bereits entschieden bin, während die angenommene ›Gleichwertigkeit‹ bloß meinen Verstand in Schwierigkeiten bringt. Denn in Wahrheit – in Wahrheit, Freunde! – kann ich letzteres gar nicht wissen. Erstens, weil mir das Vorurteil dauernd zuflüstert: »Wo ich zuhause bin, ist es richtig«, zweitens, weil hier kein Überblickswissen gefragt ist, sondern das Inkommensurable selbst, dasjenige, was dem Menschen vor sich selbst seinen Wert gibt, drittens, weil Menschen die Eigenschaft haben, an anderen Zivilisationen dasjenige zu bewundern oder zu verachten, woran sie in ihrer eigenen achtlos vorübergehen. Und auch diese Wahrheit ist weit davon entfernt, nichts als die Wahrheit zu sein. Eine Zivilisation, der es im Lauf der vergangenen Jahrhunderte gelungen ist, den Rest der Welt aufzurollen und die Wunder der modernen Technologie mit all ihren Konsequenzen für das menschliche Leben konkurrenzlos über den Planeten zu verbreiten, ist von ihrer Superiorität so tief überzeugt, dass sie schon aus rationalem Kalkül zu zweifeln beginnt: Was ist falsch an diesem Sieg? Denn etwas muss einfach falsch sein oder das Rad des ›westlichen‹ Fortschritts stünde von heute auf morgen still.

Etwas muss falsch sein. Nach Lage der Dinge ist der Schuldige rasch gefunden: Es ist der Mensch, vorzugsweise derjenige, der sich und seinesgleichen das Verdienst anheftet, die biologische Ursache der Überlegenheit, gleichsam die personifizierte Überlegenheit in persona darzustellen. Nicht ohne Grund nennt man dieses Konzept Rassismus: Die simpelsten biologischen Merkmale sind gerade diejenigen, an denen Menschen, die keinerlei Glaube als der an die eigene ›Suprematie‹ zusammenhält, sich am einfachsten zu erkennen glauben. Es ist ein Glaube ohne Anstrengung und damit das schiere Gegenteil eines mit schwierigen Übungen verbundenen religiösen Glaubens. Der Rassist exponiert sich selbst als eine Art positiver Sündenbock, der sich alle Verdienste seiner ›Zivilisation‹ zurechnet. Deshalb besteht stets die Gefahr, dass der Antirassismus entgleist und zum Rassismus mit umgekehrtem Vorzeichen mutiert. Dann wird aus dem ›alten weißen Mann‹ ein (negativer) Sündenbock, der für alle Übel dieser Welt, sprich, der ›von ihm‹ geschaffenen Zivilisation, verantwortlich gemacht wird.

Natürlich weiß ein Kulturkonservativer wie Engels um diesen Mechanismus. Dass die Brisanz seiner Fragestellung aus diesem Wissen herrührt, zeigt das offene ›wir‹ zu Beginn seiner Ausführungen. Wer (oder was) hat diese Menschen zusammengeführt und welches Merkmal vereint sie? Wie zu vermuten ist, handelt es sich um Leute, die es leid sind, als kulturelle Sündenböcke unter Dauerverdacht zu stehen und dadurch mundtot gemacht zu werden. Ihnen bietet Engels vier (gute) Gründe an, Europäer (Westler) zu sein und bleiben zu wollen. Der erste ist offen kollektivistisch: Er leitet sich aus der Zugehörigkeit zu der Gruppe her, in die einer hineingeboren und -gewachsen ist, genauer, einer Gruppenhierarchie, in der irgendwann, nachdem die engeren Kreise abgearbeitet sind, die ›Zivilisation‹ auftaucht, die, anders als die alle verbindende Menschheit, noch Unterscheidung und damit Gruppenloyalität ermöglicht. Man mag diesen Gedanken mögen oder auch nicht, er ist mit Sicherheit realistisch. Noch realistischer mutet der zweite Grund an: die (Beinahe-)Unmöglichkeit, sich einer fremden Zivilisation hinreichend zu assimilieren, um sich der eigenen ganz und gar zu entledigen oder sie auch nur als gleich bedeutend neben sie zu stellen.

Auch wenn sie den Realitäten eines durchschnittlichen Lebens Rechnung tragen – imponieren können beide Gründe nicht. Erstens ist der Menschheitsaffekt in der europäischen Tradition, nicht zuletzt im Christentum, hinreichend verankert, um dem Denken in differenten Kulturen Paroli zu bieten. Zweitens ist Europa seit altersher der neugierige Kontinent, stets auf dem Sprung, sich in anderen Kulturen und Zivilisationen kundig zu machen, sich auf vielfältige Weise auf sie einzulassen und sich anzueignen, was immer der Ausbildung des äußeren und inneren Menschen nützlich erscheint. Schopenhauers Buddhismus mag aus religionshistorischer Sicht alles andere als authentisch sein, aber er hat im europäischen Denken Furore gemacht und und ist Teil jener heiliggesprochenen Tradition geworden, die neuerdings gegen die Fremden verteidigt werden soll. Besonders plausibel erscheint das nicht. Warum bringt Engels nicht den Mut auf, die näherliegenden Gründe für die seine Zuhörer plagenden Überfremdungsängste zu nennen, als da wären: erstens die Aussicht, über kurz oder lang sich im eigenen (oder noch als eigen empfundenen) Land in der Minderheitsposition wiederzufinden, zweitens die ideologische Bevormundung, die das Reden über diese Aussicht mit dem Bekenntnis zu extremistischen Ansichten gleichsetzt? Aber es handelt sich vielleicht nicht um fehlenden Mut, vielmehr um den Versuch, Kultur als Mutmacher zu aktivieren. So redet jemand, der den clash of civilizations für unausweichlich hält.

Der dritte Grund verblüfft: Transzendenz. Umrissen ist damit der christliche Glaubensraum samt unmittelbarer Gotteserfahrung und Jenseitserwartung. Aber das Christentum hat sich niemals gescheut, zivilisatorische Grenzen zu überschreiten und dem Gedanken der einen Menschheit Gehör zu verschaffen. Ein christlicher Glaube, eingehegt in die Grenzen der abendländischen Zivilisation, ist gleichsam der Widerchrist selbst, es sei denn, man empfindet bereits die Existenz der anderen, wer immer sie seien, als Bedrohung für die eigene Glaubensbereitschaft. Eine allzu kühne Hypothese wäre das nicht in Anbetracht der inneren und äußeren Lage der christlichen Kirchen auf dem ehemals christlichen Kontinent. So plausibel es ist, die christliche Prägung der ›westlichen Zivilisation‹ hervorzuheben, so wenig sind praktizierte Religion und civilization dasselbe. Betrachtet man die Geschichte Europas, so hat eher die fortgesetzte Reibung zwischen beiden als Motor der Entwicklung die heutigen Zustände herbeigeführt – jedenfalls dann, wenn man die säkularen Glaubensmächte des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts als Erben – legitim oder illegitim – christlicher Glaubensherrlichkeit gelten lässt.

Bleibt – viertens – das Schicksal, das es keinem erspart, an seinem Platz und zu seiner Zeit den Akt der Sinngebung zu vollziehen – unter Erwägung aller Umstände, der günstigen wie der ungünstigen – und sich zu verorten: Fast hätte ich ›geistig‹ geschrieben, wissend, dass das Schicksal mittlerweile den Gebrauch auch dieser Vokabel sanktioniert hat. An dieser Stelle mag die Mahnung, Christ zu sein und zu bleiben, einen guten Zweck erfüllen. Die ihr zugedachte Aufgabe erfüllt sie dennoch nicht: Wäre der Westen identisch mit dem, was einmal christliches Abendland hieß, so hätten ›wir‹ mit Sicherheit andere Probleme als solche der Identität, die sich wiederum auflösen im Meer der Unbestimmtheiten, wie sie in Spätzeiten aufzutreten pflegen. Anders gesagt: Solange der kulturbeflissene Konservatismus die Kultur der letzten zweihundert Jahre nur vom Hörensagen kennt, solange wird er vergebens den Schlüssel zu den verschlossenen Seelen der Zeitgenossen suchen. Seine Devise lautet: Überzeuge die Überzeugten. So redet, wer nicht ganz von seiner Sache überzeugt ist und es gerade deshalb ganz so aussehen lassen möchte.

III.

Wenn Europas Kolonialgeschichte etwas lehrt, dann dies: Es gibt sie, die tiefe Kultur, die jeder oberflächlichen Überformung standhält und gerade dort ihre formende Kraft ausspielt, wo man sie am wenigsten vermutet. Gleichzeitig verfügt Europa – oft übersehen – über eine Geschichte der inneren Kolonisierung, die mit der eigenen Bevölkerung kaum weniger rigoros umsprang als mit den Bewohnern anderer Kontinente. Es bleibt zweifelhaft, ob eine innere Dekolonisierung des Kontinents jemals stattgefunden hat. Eine Zeitlang konnte es – fast – danach aussehen. Doch angesichts sich aufschaukelnder Tendenzen, das wirkliche Leben ganz normaler Menschen für neue Phantasmen unter Druck – und aufs Spiel – zu setzen, wächst das Gefahrenbewusstsein: Daran ändert eine aufgesetzte Kultur der Belehrung gar nichts.

David Engels: Should We Prefer Our Own Civilisation to Others? NatCon Conference Brussels 2 (YouTube)

David Engels: Abendland first? (https://www.dersandwirt.de/abendland-first/)

Quelle: Globkult

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