Ulrich Schödlbauer hat einen Roman, einen politischen Roman über T. geschrieben

schreiben kommunikation füller füllfeder stift, Quelle: Bru-nO, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Ulrich Schödlbauer hat einen Roman, einen politischen Roman über T. geschrieben. Hören Sie mir überhaupt zu? Was? Politisch? Über T? Diesen durchgeknallten Irren, der das Weiße Haus gekapert hat und seither durch die moderne, bisher so gut aufgeräumte Welt irrlichtert? Das liest doch keiner, wo doch jeder schon weiß, was für ein unmöglich aufgeblasener Volltrottel dieser T. ist.

Eigentlich ist es ja auch gar kein Buch über T., sondern mehr über uns aus der Perspektive von T. Der Plot: Zwei alte lebenserfahrene Männer, ideengeschichtlich versiert, auf dem Weg nach unten unterhalten sich auf entsprechend hohem Niveau über T. ’s Weg nach oben und seine unvermeidlichen Begleiterscheinungen. Der eine, ein gereifter, vietnamesischer Kommunist, der andere ein von ‚Lolita‘ verführter Menschheitsfreund mit zu viel Geld. Schon der Plot verspricht intellektuelles Vergnügen.

Ein herrliches homerisches Gelächter durchzieht das Buch von der ersten bis zur letzten Seite, weil es ein so wunderbares Buch über den westlichen Ikarus ist, der der Sonne zu nah kam, abstürzte, als neuer Phönix wieder aufstieg und – dumm und erfahrungsresistent, wie er ist – immer wieder verbrannte. Zur Einstimmung möchte ich einen Punkt etwas näher beleuchten: den Zeitpunkt. Wie T. und sein angelsächsischer Gefährte B. erscheint auch dieser ‚politische‘ Roman zu einem bestimmten, einem machiavellischen Moment.

„Virtu“ ist nie ohne „fortuna“ und „fortuna“ gibt es nicht ohne „virtu“, wer „fortuna“ hat, dem spielt die Welt ihre Bälle als Chancen zu, damit er sie auffange und mit ihnen jongliere; wer „virtu“ hat, dem hat sich die Welt in der „fortuna“ geöffnet und biete ihm ihre Chancen an. In der Wechselwirkung zwischen diesen beiden zeigt sich eine Harmonie zwischen Mensch und Welt, die sich aufeinander einspielen und in der darum alles glückt. Die Überlegenheit dieses Menschen, des „Fürsten“, den die Toren nicht verstehen, liegt offensichtlich ebenso weit ab von der Weisheit des Staatsmannes, wie von der Kompetenz des Experten.“ (Hannah Arendt)

1945 stand das weltherrschaftliche christliche Abendland wieder mal vor den Trümmern seiner Tradition. Der erneute Versuch ganz Europa gewaltsam unter die Herrschaft des Einen zu zwingen, hatte zur großen Verwüstung geführt. Der Westen, der von sich dachte, er sei die beispielgebende Avantgarde der Gesamtentwicklung der Menschheit, der alle anderen mit mehr oder weniger zeitlichem Verzug nachzufolgen hätten, war wieder an sich selbst gescheitert. Man sprach von der Stunde Null, von der großen Epochen- und Zeitenwende und überall ertönte das damals schon abgenutzte ’nie wieder‘. Ab jetzt sollte – natürlich – alles anders werden.

Nach Hitlers Scheitern holten sich die Franzosen ihren angestammten Platz des Souveräns wieder zurück. Der Weltgeist zu Pferde hieß jetzt de Gaulle und sein hegelianischer Einflüsterer Kojève beeilte sich, den lateinischen und katholischen Ländern, natürlich unter französischer Führung die Hegemonie über ganz Europa anzuraten. Nach dem Zwischenspiel der Teutonen sollte endlich wieder der wahre Souverän die Alleinherrschaft übernehmen und ein neues Lateinisches Reich errichten. Ob es auch tausend Jahre dauern soll, hat Kojève wohlweislich nicht verraten. Die politisch reiferen Amerikaner, die ihre Regierung stets misstrauisch beäugen, weil sie keinen Herrn mehr im Hause haben wollen, wussten nicht so recht, was sie mit den dauerpubertierenden europäischen Bengeln anstellen sollten, die sich entweder auf dem Schulhof prügelten oder vereint im Chor Brüderlichkeit in die weite Welt hinaus posaunten, sich aber partout weigerten, erwachsen zu werden und immer wieder an der Versetzung scheiterten. Die Klasse wiederholen, hieß daher die Vorgabe.

Nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland blieb der anfängliche Schwung schon im Ansatz stecken. Die neue christliche Partei verarbeitete lediglich die Erfahrungen des Bismarckschen Kulturkampfes, erweiterte den ideologischen Rahmen, um auf unverändertem Spielfeld auch die Evangelen, die sich am anfälligsten gegenüber der nationalsozialistischen Verführung gezeigt hatten, einzubinden und mit christlicher Ideologisierung gegen die Einflüsterungen sozialistischer Provenienz abzudichten. Wer erfahrungsresistente Glaubenssätze dauerhaft verankern will, muss früh anfangen. Der wichtigste Streitpunkt damals wie heute für die Islamisten: die Konfessionsschule. Adenauer machte mit seinem Verständnis von Politik da weiter, wo er im Kaiserreich angefangen hatte. Mit seiner anti-sozialistischen Kampagne gewann er zwar, wenn auch knapp die Mehrheit, verspielte aber die belastbare politische Neuordnung. „Man muss dem Volk eine neue Ideologie geben“ soll er, schreibt ein Biograph, im Kabinett gesagt haben. Mehr Urteilskraft im Volk stand auf Schumachers, aber nicht auf Adenauers Plan.

Ein Ansatz mit nachhaltiger Wirkung. Die Generationen von heute sind noch deutlich leichter ideologisierbar als die von 1933. Alsbald schrumpfte der große Zivilisations- und Traditionsbruch zum Betriebsunfall der Geschichte, schon Anfang der 50er Jahre hatte Arendt die Hoffnung auf eine Verantwortung des Geschehenen aufgegeben und schimpfte über die Wiederkehr des verstunkenen Liberalismus. Der spätere, ohnehin monothematisch aufgestellte Hofhistoriker Heinrich-August Winkler lieferte die passende Erzählung von der Abkehr vom deutschen Sonderweg. Im Westen nichts Neues also.

Als die tatsächlichen Gefahren näher rückten, die Kommunisten hatten den Koreakrieg entfesselt, die Amerikaner rannten wie die Hasen, verschwanden die Verantwortungsscheuen sogleich hinter den Büschen, ganz vorn die Protestanten. Die schlotternden Knie gut getarnt zeigten sie allen den hoch erhobenen, eigens zuvor vom geschichtlichen Ballast gereinigten Moralfinger. Wird dem entpolitisierten Protestanten das Böse gezeigt, lässt er alle Hemmung fahren. Von Niemöller ist der Weg zur protestantisch geprägten RAF so kurz wie zu Käßmanns außenpolitischer Sternstunde: Teetrinken mit Taliban.

Die 68er drehten den Spieß wieder um und beanspruchten gegenüber der christlichen, jetzt als reaktionär entlarvten, die sozialistische Ideologie als fortschrittlichste Deutungsmacht, das alte Spiel. Wie schon bei den Nationalsozialisten liefen die nach Ideologie süchtigen haltlosen Protestanten auch den runderneuerten Globalsozialisten wieder in Scharen zu. Die schleichende Zersetzung gesetzter rechtlicher Verhältnisse erstreckt sich diesmal über einen längeren Zeitraum, schreitet aber bislang unaufhaltsam voran. Mandatsträger, Medien, Juristen und das intellektuelle Gesindel lassen sich, von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, widerstandslos gleichschalten wie eh und je.

1989 schien der Westen am Ziel. Die nur mit Gewalt zusammengehaltene Sowjetunion zerfiel, seine imperiale Potenz schien fürs Erste neutralisiert. Die herausragenden politischen Revolutionen der osteuropäischen Länder nahm der Westen wenn’s hoch kam, gelangweilt, meist gar nicht zur Kenntnis. Die erste friedliche hierzulande störte nur die eingefahrenen Kreise, war eigentlich auch gar keine und wird folgerichtig geschreddert.

Alles schien in der richtigen Richtung zu laufen. Man erklärte den kalten Krieg und damit die Geschichte für beendet, brachte polemos brav ins Bett, sang ihn in den Schlaf und deckte ihn zu. Es hätte alles so schön laufen können. Eine kleine Clique gut organisierter globaler Kleptokraten hatte sich gedacht, es wäre doch ganz praktisch, wenn wir alles kontrollieren könnten, die Finanz- die Material-, die Ideen- und die Menschenströme. Weltorganisationen und NGO’s lassen sich leicht in die Hände bekommen. Funktionäre sind, was sie immer schon waren, maßlos korrupt und jederzeit käuflich. Könnten Sie etwas, wären Sie keine Funktionäre. Eigentlich hätte es doch funktionieren müssen. Den urteilslosen Pöbel seift man mit Sonntagsreden ein – die großen, hehren Werte, sie wissen schon, und mit den vereinzelten, daher ohnmächtigen Querköpfen wird man leicht fertig. Für die haltlosen modernen Sinnsüchtigen reicht eine einfache Geschichte mit apokalyptischem Unterton. Wer als wichtiger Weltretter angesprochen wird, fühlt sich doch gleich viel besser und mehr will man doch gar nicht.

Was in Europa, besonders Deutschland ganz leicht ist, mit der Geste der großen Menschlichkeit genügend Migranten hereinholen, um jede politische Potenz im Ansatz zu vernichten, funktionierte in Amerika aber genau anders herum. Die Freiheitsstatue versprach gerade kein komfortables, geschütztes Plätzchen in einer Nische im Haus des Herrn und die Verfassung ist ein heiliger Text. Auch die großen Spiele gehen nicht ganz auf. Irgendwo bleibt immer ein, wenn auch kleiner Rest.

Es gab im England des 17. Jahrhunderts eine Diskussion, die unter dem Namen ‚court and country‘ Eingang in die Bücher gefunden hat. Anders als der klassische Westen, der mit dem christlichen Herr-Knecht Modell operierte, hatten die Engländer eine sportlichere Lösung gefunden, die es über den Teich geschafft hat. Irgendwie muss sie auch bei T. angekommen sein, denn er dachte wohl, es sei jetzt an der Zeit, sie wieder hervorzuholen.

Und dann gewann T. plötzlich gegen das gesamte politische Establishment. Niemand hatte ihn ernst genommen, die auf dem falschen Fuß ertappte neofeudale Gauner Clique, die doch alles schon so schön untereinander verteilt hatte, spuckt Gift und Galle und seither spielt T. genüsslich mit ihnen Pawlow. Und dann kam B. und plötzlich sind die Briten draußen und es gibt nur noch eine Atommacht in der Europäischen Union, ausgerechnet die unzuverlässigen, stets wankelmütigen Franzosen. Und dann kam noch ein kleines Ding obendrauf, nicht mal ein vollwertiges Lebewesen und die Zierde der Menschheit, die Erben der Aufklärung, all die emanzipierten, in ihre Mündigkeit entlassenen autonomen Subjekte, die Krone der Vernunft, entpuppten sich als nichts weiter als eine Herde völlig verblödeter Schafsköpfe, die sich von einer FDJ-Funktionärin mit ihrem Hofstaat geschlechtsneutraler Propagandist*innen hinter die Fichte führen ließen.

Wenn das nicht zum Lachen ist, dann weiß ich auch nicht. Es gibt in Schödlbauers politischem Roman kaum eine Seite, auf der es nichts zu lachen gibt. Das ist in diesen Zeiten eine erstklassige Leseempfehlung.

Ulrich Schödlbauer: T – Die Stufen des Kapitols. Politischer Roman, Heidelberg (Manutius) 2020, 376 Seiten

Finanzen