Im Wasserschloss herrscht winterliche Ruhe: Die Fenster sind finster, der Park verschlossen, das Liebhabertheater steht auf unsicherem Fundament – bislang ist nur das Jahr 2024 abgesichert…
Wie mag da einer Frau zumute sein, die ein Vierteljahrhundert im Schloss gelebt hat und nunmehr in einem Nebengebäude wohnt und arbeitet? Fünfzehn Jahre lang war sie Direktorin des Kochberger Künstlerheims sowie des Liebhabertheaters. Der Berliner Theaterregisseur Manfred Wekwerth nannte sie sie liebevoll-ironisch die „Hausherrin“.
An vielen Theatern hat Heidemarie Förster gearbeitet – meist als Musikdramaturgin. Bis zur Jahrtausendwende war sie an der Rudolstädter Bühne. Auch Libretti und Übersetzungen brachte sie zu Papier.
Erst nach dem Umbruch 1989 wurde Heidemarie Förster vornehmlich publizistisch tätig. Bleibendes hat sie geleistet: Nunmehr liegt ihre Trilogie zum Kulturraum Rudolstadt-Kochberg vor. Auf die liebevoll gestaltete Broschur „Geschichte des Liebhabertheaters von Schloss Kochberg“ (1994) folgten in den „Rudolstädter Schriften“ das umfangreiche Buch „Theater in Rudolstadt“ (Vgl. „Palmbaum“ 1 / 2022) sowie jüngst das „Refugium auf Zeit – Die Arbeits- und Erholungsstätte für Schriftsteller und Künstler Schloss Kochberg 1977-1990“. Zu den Anregern dieser gediegenen Publikation gehörte erneut der Buchkünstler Jens Henkel, der für das gestalterische Gesamtkonzept der Buchreihe verantwortlich zeichnet.
Sechs Kapitel, von der „Geschichte“ bis hin zu dem poetischen Ausblick „Was bleibt“ umfasst das anekdotenreiche Buch. Förster bevorzugt einen unaufgeregten, oft unterhaltsamen Erzählton. Namhafte Gäste werden vorgestellt: Dichter, Musiker, Schauspieler, Regisseure, Publizisten… Die Autorin erfasst indessen die Atmosphäre des Hauses im Ganzen und so spricht sie gleichermaßen von ihrem Personal im Büro, in der Küche, vom Hausmeister und dem Fahrer. Auch Letzterer sorgte für gutes Essen und kümmerte sich um gediegene Weinsorten.
Das eigentliche „Wunder von Kochberg“ geschah jedoch im Vorfeld der Arbeits- und Erholungsstätte. In der Ägide Helmut Holtzhauers, der ein schwieriger Chef, aber ein großartiger Organisator und Visionär war, gelang es, allen Widrigkeiten zum Trotz, gemeinsam mit den Menschen vor Ort und den Betrieben der Umgebung, einen herausragenden Gedenkort der klassischen deutschen Literatur zu gestalten. Zuvor war der Schlossbau in einem erbärmlichen Zustand und in dem runtergewirtschafteten Park befand sich ein Kinderferienlager.
Immer wieder erinnert Förster daran, dass Kochberg ein Arbeits- und Erholungsort war. Die Autoren suchten vor allem Ruhe, die Musiker benötigten Proberäume.
Im letzten Buchteil kommen Schriftsteller zu Wort, die in besonderer Weise und nachhaltig mit Kochberg verbunden waren – Sigrid Damm etwa und Wulf Kirsten. Den Essayisten Friedrich Dieckmann lernt der Literaturfreund hier als Lyriker kennen. Auch der weniger bekannte Leipziger Autor Horst Drescher, der Erfinder der Kochberger „Klinkenpost“, wird nicht vergessen. Einer seiner Freundesgrüße kann auf Seite 92 bewundert werden.
Dem Leser dürfte es nicht schwerfallen, auf Musikschaffende und Autoren zu verweisen, die im Buch fehlen. So bleibt leider die 2010 verstorbene Pianistin Elfrun Gabriel, deren Kochberger Sommerkonzerte ausserordentlich beliebt waren, unerwähnt. Auch den Jenaer Germanisten Hans Richter sucht man im Namensregister vergeblich. Während der Wendeunruhen hat er im Schloss an seinem wichtigsten Buch geschrieben, einer umfangreichen Biographie über den böhmischen Landsmann Franz Fühmann. Ein Blick auf Försters Darstellung zeigt: Das Glas ist hier nicht halbleer, sondern reichlich gefüllt.
Ein Kochberger Stammgast war bis 1990 Volker Braun. Immer wieder wohnte er im Zimmer 307. Einige seiner Hauptwerke hat er hier geschrieben. Für das „Wendestück“ „Die Übergangsgesellschaft“, lesen wir bei Förster, fand Braun hier Anregungen: Einzelne Kochberger Bürger waren den Figuren des Dramas nicht unähnlich. Der Aussage, Braun hätte man in der DDR nicht zensiert, ist hingegen entschieden zu widersprechen. (Vgl. „Palmbaum“ 1 / 2021)
Hier gilt es nicht nur, von namhaften Gästen zu reden. Sprechen sollte man ebenso von dem Buchgestalter Alexander Bernhardt. Dieser bescheidene Mann steuerte einen Bild-Block bei, der den Wert des Buches noch erheblich steigert.
Das letzte Wort überlassen wir der vormaligen „Schlossherrin“: „Als nach 1990 wütende Gerechtigkeitsfanatiker von außerhalb die Räume von Keller bis Dachboden inspizierten, zogen sie enttäuscht wieder ab – nirgends eine Spur von Orgien und Skandalen. Die zweckmäßige Einrichtung wirkte ernüchternd und bot keinen Anlass für Enthüllungsstories.“
Heidemarie Förster-Stahl, Refugium auf Zeit – Die Arbeits- und Erholungsstätte für Schriftsteller und Künstler Schloss Kochberg 1977-1990. Rudolstädter Schriften 7, 140 Seiten. ISBN 978-3-9825046-0-5