Ein Gastbeitrag von Viktor Medwetchuk
Der Krieg in der Ukraine beschäftigt seit einem Jahr die Öffentlichkeit nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Dabei sind die Narrative der meisten führenden Medien und einer großen Mehrheit der westeuropäischen Politiker klar: Russland ist der Aggressor, die Ukraine das arme Opfer und die USA ein edler Helfer, der die Demokratie und Freiheit in der Ukraine beschützen will. Doch so einfach ist die Lage nicht.
Der Konflikt begann schon viel früher. Die USA spielten dabei eine entscheidende Rolle, jedoch eine andere, als es in den globalen Medien dargestellt wird. Die USA haben in den Jahren 2013 und 2014 einen Regierungswechsel in der Ukraine initiiert und finanziert. Dies ist kein Geheimnis, denn die damals führenden Akteure wie Victoria Nuland geben offen zu, dass dieser faktische Staatstreich den USA volle fünf Milliarden US-Dollar wert war. Selbstverständlich heißt es offiziell nicht, man wollte die demokratisch gewählte Regierung stürzen und durch eine pro-amerikanische ersetzen.
Offiziell sollte das Geld ausschließlich den Kampf gegen die Korruption sowie der Ermöglichung von fairen und demokratischen Wahlen dienen. Doch das wirkliche Ziel des angestrebten Regierungsumschwungs war es, die politische und wirtschaftliche Kontrolle über die Ukraine zu erlangen. Ein noch wichtigeres Ziel der US-Politik war es, in Folge eines anschwellenden Konfliktes die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland zu zerstören und die EU als Konkurrentin der USA dauerhaft zu schwächen.
Dieser Prozess stagnierte während der Amtszeit von Donald Trump. Er verschwand zwar nicht, er eskalierte aber auch nicht. Dramatisch an Fahrt gewann der Konflikt, nachdem Joe Biden zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Die „Drahtzieherin“ eines von außen erzwungenen ukrainischen Regierungswechsels, Victoria Nuland, kehrte ins US-Außenministerium zurück. Die US-Aktivitäten zur Zerstörung der Beziehungen zwischen Europa und Russland wurden intensiviert.
Seit 2029 ist Wladimir Zelenski Präsident der Ukraine. Er stand ab Beginn seiner Amtszeit unter den vollen Einfluss US-amerikanischer und britischer Politiker, und das intensivierte sich nach der Wahl Bidens zum US-Präsidenten. Fortan war eine stetiges Wachsen des militärischen Konflikts zwischen der Ukraine, Russland und europäischen Ländern zu beobachten. Ursprünglich war der Schauspieler und Komiker Zelenski zum Präsidenten der Ukraine gewählt worden, weil er versprochen hatte, die Korruption zu beenden und den Konflikt im Dombass friedlich zu lösen. Doch geschehen ist das Gegenteil.
Am 26. September 2022 explodierten die Gaspipelines Nord-Stream 1, Nord-Stream 2 sowie eine weitere Pipeline auf dem Meeresgrund vor der Küste Schwedens. Es war Sabotage. Diese Aktion ist geeignet, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Russland, vor allem im Energiesektor, endgültig abzubrechen. Ich bin der Meinung, dass die Recherchen des Pulitzer-Preisträgers Seymour Hersh korrekt sind, nach denen US-Hintermänner hinter diesem Anschlag stecken. Das wäre dann ein zumindest mittelbarer Einsatz von US-Militärgewalt zur Zerstörung von drei der insgesamt vier Gas-Pipelines, die Russland mit Zentraleuropa verbinden, ist ein Akt der Aggression gegen Deutschland, die EU sowie Russland.
Im aktuellen Konflikt in der Ukraine verfolgen die USA und ihr engster Verbündeter in Europa, das Vereinigte Königreich, vor allem die folgenden Ziele:
1.) Die Unterbrechung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa, Russland und China, vor allem im Hinblick auf den Export billiger Energieressourcen, und infolgedessen die Schwächung der europäischen Wirtschaft, indem ihr Industrien entzogen werden, die mit den amerikanischen konkurrieren, und High-Tech-Industrien in die USA verlagert werden.
2.) Die Schwächung des europäischen Finanzsystems, wodurch der Euro seinen Status als sichere Währung einbüßt. Die Kämpfe in Europa und die Gefahr eines Übergreifens auf die NATO/EU-Länder sollen Investoren veranlassen, sich aus Europa zurückzuziehen.
3.) Die Schwächung der Rüstungsindustrie. Ein Teil der europäischen Rüstungsindustrie als Konkurrent der Vereinigten Staaten ist bereits weggefallen: die Entwicklung und Produktion von Kampfjets.
4.) Verwicklung europäischer Länder in militärische Aktionen. In der ersten Phase könnten es Polen und die baltischen Staaten sein, das wird analog zur Logik der Waffenlieferungen geschehen. Deutschland und andere Länder werden hier beizeiten „angeschlossen“.
Das Ergebnis wird sein, dass die europäischen Länder entindustrialisiert und zerstört werden. Die EU hat ihre außenpolitische Unabhängigkeit bereits jetzt nahezu vollständig verloren, sie ist wirtschaftlich zunehmend von den USA abhängig. Dabei wäre es möglich, den Krieg in der Ukraine, der ohnehin stagniert, schnell zu beenden, indem man die Ursachen und Bedingungen beseitigt, die zu ihm geführt haben. Falls die die Bemühungen Russlands, Chinas und Europas vereint würden und ein Gegengewicht zur vereinten Politik der USA, Großbritanniens und Europas zu schaffen, würde das zumindest auf Europa bezogen bedeuten, dass man in mehreren Weltsystemen präsent wäre. Eine solche, mehrschichtige Politik würde Kriege verhindern.
Zum Glück verstehen immer mehr Menschen, dass der gegenwärtige konfrontative Kurs ihrer Regierungen den eigenen Ländern schadet, und zwar auf allen Seiten. So wurde in Deutschland am 10. Februar 2022 eine Petition mit einem Appell an den Bundeskanzler ins Leben gerufen, die Eskalation der Waffenlieferungen an die Ukraine zu stoppen. Bis zum 1. März 2023 war sie bereits von 716.235 Menschen unterzeichnet worden. Nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen EU finden zunehmend Kundgebungen gegen Waffenlieferungen an Kiew und für die Normalisierung der Beziehungen zu Russland statt. Die Teilnehmerzahlen gehen, über einige Wochen hinweg geht das schon, in die Hunderttausende. Wäre es nicht an der Zeit, dass die europäischen Politiker ihre Stimme erheben und eine eigenständige, von den USA unabhängige Politik verwirklichen?
Unerwartete Hilfe könnte ausgerechnet aus den USA kommen, denn dort wächst auch die Kritik an dem kriegerischen Kurs des demokratischen Präsidenten Biden – vor allem aus dem konservativen Lager. Der 45. US-Präsident, Donald Trump, erklärte am 9. Oktober 2022, es gebe eine „Notwendigkeit sofortiger Verhandlungen mit Russland zur Beendigung des Konflikts in der Ukraine“. Trump beschuldigte die Biden-Administration, diesen Krieg zu schüren: „Unser Land und unsere so genannte Führung haben Putin schikaniert.“ Das habe zu den Kämpfen geführt. Und auch in den USA gibt es Straßenproteste gegen den Ukraine-Krieg. Allein am 19. Februar 2023 kamen tausende Menschen – darunter mehrere ehemalige Sprecher des Außenministeriums, Politiker, Journalisten und Aktivisten – zu einer Kundgebung unter dem Titel „Rage Against the War Machine“ nach Washington. Sie riefen dazu auf, gemeinsam gegen eine Fortsetzung dieses Kriegs vorzugehen.
Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass sich der Wahlkampf zwischen den Demokraten und den Republikaner bei den US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 weitgehend um den Ukraine-Konflikt drehen wird. Sollten Trump oder ein anderer Republikaner ein weiteres Mal das Weiße Haus gewinnen, könnte sich wiederholen, was schon in den vier Jahren von Trumps Präsidentschaft zu beobachten war: Eine ganze Amtszeit ohne eine einzige US-Militärintervention, weltweit.
Wiktor Medwedtschuk (68) war bis zu seiner Vertreibung aus der Ukraine Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender der größten Oppositionspartei des Landes, Oppositionsplattform – Für das Leben (OPZH). Ein Jahr vor Ausbruch des Krieges war die Partei in Meinungsumfragen die stärkste politische Kraft in der Ukraine, sie lag sechs Prozent vor Selenskij-Partei. Medwetchuck wurde genau zu diesem Zeitpunkt wegen Hochverrats angeklagt, über sechs Monate unter Hausarrest gestellt – widerrechtlich, wie er sagt. Immer wieder wurde er seitdem auch gedrängt, das Land zu verlassen. Er blieb, ging mit Ausbruch des Krieges in den Untergrund, wurde verhaftet und schließlich im Zuge eines Gefangenenaustausches nach Russland überstellt. Der hier vorliegende Text wurde zuerst in Österreich bei Unser Mitteleuropa veröffentlicht.