Plan
Die Idee kam mir vor einigen Monaten, als ich in Riga sah, dass Direktbusse nach Kiew verkehren, eine Fahrt kostete etwa 80 EUR. Nachdem schon die ganze Kriegszeit über ich mit vielen Menschen, Letten, Deutschen, Engländern, Russen über die Ursachen und Folgen diskutiert hatte, wurde der Gedanke immer klarer, dass ich selber mal in die Ukraine fahren müsste, um mir ein Bild von der Lage vor Ort zu machen und mich mit den dortigen Menschen zu unterhalten.
Der Plan war von Bulgarien über Rumänien, Moldawien in die Ukraine einzureisen und Odessa als Ziel anzuvisieren, wo ich schon 2005, 2011, 2015 und 2017 gewesen war (siehe dazu Kultur.lv Rubrik Reisen).
Die Sichtweise eines ukrainischen Seemanns
Im Bus von Burgas nach Varna habe ich mich auf englisch mit einem ukrainischen Seemann unterhalten. Er war ca. 33 Jahre alt, schon seit 11 Jahren auf See beschäftigt für eine italienische Reederei, seine Familie lebt in der Ukraine zwischen Cherson und Odessa. Nun hatte er mehrere Wochen Urlaub. Da er seit 6 Monaten seine Frau und seinen 15jährigen Sohn nicht mehr gesehen hatte, lud er sie ein, ihn in Bulgarien zu besuchen. Er selbst scheute sich, in die Heimat zurückzukehren, weil er dann direkt zum Militärdienst eingezogen würde.
Dann sprachen wir über die Situation in der Ukraine, über den Krieg. Mehr als die Hälfte seiner Freunde und Bekannten seien mittlerweile eingezogen worden und viele davon bereits tot, sagte er mir. Das größte Problem an diesem Krieg wäre, dass die gut ausgebildeten intelligenten jungen Menschen in der Ukraine im Krieg sterben würden und das wäre sozusagen ein kultureller Genozid, da im Gegenzug die Russen darauf achten, nur „minderwertige“ Menschen aus Gefängnissen und unausgebildete Menschen aus der fernen Steppe in den Krieg zu schicken.
Auf die Frage wie es denn weitergehen soll, meinte er, dass die Unterstützer der Ukraine, sprich der Westen, bei etwaigen Friedensverhandlungen durchaus ein großes Mitspracherecht hätten, das heißt nicht, die Ukraine alleine könne entscheiden, ob Gebiete den Russen überlassen werden, sondern auch der Westen müsste das durch seine geleistete Waffenhilfe mit entscheiden. Dann berichtete er noch, dass besonders in Odessa in der letzten Zeit Militärtransporter am Strand auftauchen, die dort gezielt alle Besucher, die zwischen 18 und 25 Jahre sind, befragen und Ausweispapiere verlangen, und wenn sie sehen, dass es sich um Ukrainer handelt, direkt mit in den Bus nehmen und zur Armee schicken, eine sogenannte Hetzjagd auf Rekruten.
Eine Bulgarin trauert dem Kommunismus hinterher
Dobritsch, eine früher bedeutende Industriestadt, jetzt mit vielen Toten und verlassenen Gebäuden, brachte mir zufällig die Gelegenheit, mich mit einer Bulgarin auf Deutsch über ihre und die allgemeine Haltung ihres Heimatlandes zu Russland zu unterhalten.
In Bulgarien ist die Einstellung bezüglich des Krieges in der Ukraine anders als im Westen. Die Bulgaren hatten immer ein besonders gutes und enges Verhältnis zu Russland.Einerseits wegen der Geschichte, Russland hat praktisch Bulgarien aus der türkischen Umklammerung befreit, andererseits bestanden immer sehr tiefe und intensive Handelsbeziehungen, Bulgarien hat also auch technische Unterstützung im großen Stil von Russland erhalten.
Eine Sicherheitsfirma in Dobritsch hat mit einem gewissem Humor die Firma KGB benannt, siehe Bild.
Das ist einem großen Teil der Bevölkerung bewusst und deshalb sehen sie Russland nicht als ihren Feind an. Sie selber wohnt jetzt schon seit vielen Jahren in Deutschland, da es in der Stadt nach dem Ende des Kommunismus keine Perspektiven mehr gab, alles wurde privatisiert, die grossen Fabriken geschlossen. “Demokratie” in Bulgarien habe nur zu mafiösen Verhältnissen geführt und den ökonomischen Niedergang vorbereitet. Tourismus verlagere sich zunehmend in die Türkei, dort sei besserer Service, gebe es niedrigere Preise …
Tatsächlich macht Bulgarien einen etwas verwahrlosten und teils verlassenen Eindruck, erinnert irgendwie an das Jugoslawien der späten 80er Jahre.
Auf der Fahrt nach Reni durch die ukrainische Grenze
Der Übergangspunkt Jowkowo nach Rumänien ging relativ schnell und unkompliziert, auch wenn die beiden Staaten sich nicht im Schengen-Abkommen befinden; von dort sind wir weiter über Medgidia nach Harsova über die Donaubrücke gefahren, um dann gleich rechts abzubiegen und den Dammweg neben der Donau zu nehmen, dann auf die Nebenstrasse über Chiscani nach Galati zu fahren.
Im Gegensatz zu Bulgarien findet man in Rumänien bessere Strassen, aber auch noch einige wenige Eselskarren vor.
Da wir in Giurgiulesti über die Grenze nur 2 km von Moldawien sahen, konnte man schwerlich auch nur einen flüchtigen Eindruck vom Land bekommen. Die Grenze von Moldawien in die Ukraine (Grenzpunkt Reni) war total überfüllt mit Tanklastwagen. Da die früher durch Russland gesicherte Treibstoffversorgung eingestellt ist, wird das Benzin hauptsächlich über Reni aus Europa eingeführt. Es waren kaum PKW an der Grenze. Uns erwartete eine unangenehme eisige Atmosphäre auf der anderen Seite. Der ukrainische Zoll hat mit 3 Leuten unser Auto mehr als eine Stunde lang durchsucht. Jede einzelne Tasche durchstöberten sie. Vermutlich ist nun jeder Ausländer als Spion oder möglicher Saboteur verdächtig, welcher in Kriegszeiten in die Ukraine einreist. Bis auf ein Fahrzeug mit deutschem Kennzeichen habe ich in der ganzen Ukraine nirgendwo ein ausländisches Fahrzeug gesehen. Der Rubel kann in der Ukraine nicht mehr umgetauscht werden.
Nach ca. 2 Stunden, bei nur 3 PKW vor uns, konnten wir endlich weiterfahren. Es waren um die tausend LKW um Reni platziert, ein kleinerer Teil von ihnen die besagten Tanklastzüge, die meisten aber Getreidelaster; vermutlich wird mittlerweile der Hauptteil des ukrainischen Getreides über den erweiterteten Donauhafen in Reni nach Europa und andere Länder exportiert, da das Getreideabkommen in Odessa auf wackligen Füssen steht.
Ismail, eine ukrainische Stadt am Donauarm und seltsame Denkmalsmoral
Die Nacht verbrachten wir in zwei Zelten neben der Hauptstraße, da in der Dunkelheit gute Plätze zum übernachten kaum zu finden waren. Morgens dann nach Ismail gefahren und ein Cafe zum frühstücken gesucht. Zunächst fiel uns auf, dass kaum jüngere Männer zu sehen waren; wenn dann waren es Männer, die entweder eine leichte Behinderung aufwiesen oder relativ alt waren. Im Café wollte man uns aus irgendwelchen Gründen am Anfang nicht bedienen. Dann aber sah ich an einem Nebentisch ausnahmsweise einen jungen Mann, der überraschend sehr gut Englisch sprach. Er versuchte dann mit der Bedinung zu klären, dass auch wir ein ukrainisches Frühstück bekommen können, welches nach mehrmaligen Verhandlungen seinerseits auch gelang. Das ukrainische Frühstück besteht aus einem kleinen Omelett, etwas gebratenem Schinken und Salat. Als wir dann auf das Frühstück warteten, kamen wir weiter ins Gespräch; er hatte einige Jahre in Amerika gelebt, dort seine Ausbildung fortgesetzt und ist jetzt zurückgekehrt in die Ukraine, um bald als Computerspezialist in die Armee einzutreten. Er meinte aber, seine Position sei relativ gut und sicher, jedoch würde die Ukraine immer mehr ihrer ausgebildeten Männer verlieren, ebenso werde die Möglichkeit der Ausbildung in zivilen Berufen vernachlässigt, was in der Zukunft ein Problem werde. In Ismail steht noch ein grosses Denkmal für die Flotte der UdSSR für die Befreiung, welches noch unangetastet ist und gepflegt erscheint.Diese Denkmäler bereiten den Ukrainern Kopfzerbrechen, denn sie haben zusammen mit den Russen viele Männer im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen die deutschen Besatzer verloren.
Paralell dazu wird ein Suworow Denkmal auf dem Marktplatz teildemontiert, die Statue eingelagert und das Fundament umhüllt, als wenn man es sich später vielleicht nochmal anders überlegen könnte.
Was ist eigentlich so antiukrainisch an Suworow (gelebt 1730 – 1800)? Betrachtet man das Verhältnis Suworows zum heutigen ukrainischen Gebiet, so stellt man fest das er 1778 die christliche Bevölkerung aus dem Krimkhanat rettete und aufs russisches Territorium umzusiedelte. Das heisst er befreitete christlich orthodoxe Einwohner, welche unter islamischer Unterdrückung auf der Krim lebten, fühlen sich etwa die heutigen Ukrainer der türkisch islamischen Bevölkerungsgruppe zugehörig? Oder will man damit die russischen Eroberung der Krim, besiegelt 1792, ebenfalls als Verbrechen kennzeichnen, obwohl unter dem Krimkhanat nachweislich Eroberungszüge auf dem ukrainischen Gebiet abgehalten wurden um Menschen zu fangen und als Sklaven zu verkaufen? Oder ist das ein Hinweis auf die Unterdrückung der Krimtataren in der Sowjetzeit, also sollte man vielleicht den Krimtataren die Krim zurückgeben? Eigentlich hätte historisch gesehen die Türkei dann ein grösseres Anrecht auf Rückgabe der Krim als die Ukraine.
Ab Ismail Richtung Wylkowe ist die Straße eigentlich technisch gesehen unpassierbar; eine Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 20 km ist auch mit einem Geländewagen das Maximum.
In einem kleinen Dorf angehalten und mit einer Frau gesprochen, die einen schönen alten Mercedes ihres Vaters fuhr; sie sagte, allein aus diesem kleinen Dorf seien schon 5 Männer als Soldaten an der Front gestorben.
Wylkowe das kleine ukrainische Venedig und andere ungenutzte Ferienorte an der Küste
Ein einsamer Ferienpark – Ausflugsboote säumen ungenutzt die Kanäle.
Mit einem Mann gesprochen, der sagte, der Krieg sei sinnlos, alle möglichen Völker lebten in der Ukraine.Und wenn der Krieg noch ein Jahr weitergehe gebe es keine Männer in der Ukraine mehr und alles sei erledigt.
Dann weiter an die Küste nach Prymorske, wie viele der kleinen Urlaubsorte in der Ukraine heissen.Dort absoluter Totentanz.Hunderte von Läden und Unterkünften leer, ein großer Freizeitpark mit Riesenrad, Karussell vergammelt und verrostet, ungenutzt seit Jahren. Dann eine einzige Kneipe gefunden mit einem Tisch, an welchem 4 Ukrainer saßen, alle waren sturztrunken, haben uns eingeladen zu Wein, Schnaps, Fischsuppe.
Es waren zwar Patrioten, welche immer noch hofften, dass die Ukraine erhalten bleibt, aber der Krieg wäre ein Bruderkrieg und ein Hahnenkampf zwischen politischen Machthabern, letztlich alle Slawen – russische Männer, die sich gegenseitig in der Ukraine bekämpfen.
Wir übernachteten im Zelt am Meer, dort waren diverse improvisierte Schützenstände für Übungen der ukrainischen Armee aufgestellt, in der Bar meinte man schon das wir nachts eventuell Besuch von der Armee bekommen würden.
Auf der Karte war eine kleine weiße Straße eingezeichnet, auf welcher man theoretisch von Prymorske über ein Haff nach Lyman gelangen konnte. Bevor wir dort hingelangten waren diverse Panzersperren aufgestellt.Dennoch gelang es uns durch umfahren auf das Haff zu gelangen. Die Straße war ein Pfad, welcher wegen vorangegangenem Starkregen praktisch auch mit einem Geländewagen unbefahrbar war, aber das Haff war zur Innenseite mit leicht schrägen Betonplatten abgesichert, auf welcher wir dann auf die andere Seite polterten. Dort waren auch wieder Betonblöcke zur Absperrung platziert und ein einsamer Posten saß auf einem Wachtturm, der ganz erstaunt wahrnahm, wie wir mit dem Landrover näherkamen. Wir wechselten ein paar nette Worte und konnten weiterfahren.
Auffällig ist, dass fast sämtliche Ortsschilder demontiert sind, ebenso Straßenschilder, als ob man damit im Ernstfall eine Besetzung verhindern könnte.Wenn wir als Zivilpersonen mit Google Maps uns orientieren können, warum sollten eventuelle Besetzer dazu nicht in der Lage sein? Das ganze Verteidigungsspiel mit Betonblöcken und Panzersperren kam mir ein wenig kindisch vor.
Auf der anderen Seite des Haffs gabs überhaupt keine Straßen nichtmals mit wenigstens ein paar Teerresten. Die meisten Dörfer waren verlassen oder nur noch vereinzelt bewohnt. Wir kämpften uns von Lyman durch den Matschpfad bis zur größeren Straße hinter Tatarbunary durch; ein junges Mädchen schaute ganz erschrocken auf unser Fahrzeug und rannte weg.
Es befand sich dort auch ein Denkmal, eine Frauenstatue, aber keiner im Dorf wusste was sie zu bedeuten hatte, wann sie dort aufgestellt wurde.
Die sogenannte Hauptstrasse entpuppte sich als ebenso unbefahrbar wie zuvor; mit ca. 20 km/h hoppelten wir bei extremem Starkregen weiter, um einen nächsten Küstenort zu besuchen. Kurortne, dort war schon der Zugang zum Meer gesperrt, ein unfreundlicher ukrainischer Soldat wies uns an umzukehren.
An einer anderen Stelle in Shabo trafen wir einen Mann, der im großen Stil Landwirtschaft betreibt, ein paar tausend Hektar und Getreide umsonst an die Armee liefert als Unterstützung, von seinen fünf Arbeitern sind drei an der Front, so dass er jetzt versuchen muss, mit den zwei verbliebenen auszukommen.Er denkt, dass es möglich sei, die Russen aus der Ukraine zu vertreiben.
Dann haben wir uns die Festung Belgorod angeschaut, in der Stadt fanden wir kein brauchbares Lokal zum Essen, der Verkäufer in der Pizzabude meinte, für 3 Pizzas müssten wir 1 ½ Stunden warten – nein, die Fahrt ging weiter nach Satoka, um über das nächste Haff den kurzen Weg Richtung Odessa zu nehmen. Daraus wurde aber nichts, die Militärposten hatten die Strasse abgeriegelt, keiner kam durch, also mussten wir wieder zurück und über Palanca Richtung Odessa fahren.
Odessa wird sehr stillDen Markt besucht, er war sowohl am Sonntag als auch am Montag sowie am Dienstag sehr leer – nicht dass es ein schwindendes Angebot gäbe, aber die Kunden bleiben aus, das heißt: Waren werden immer noch viele verschiedene in großer Menge angeboten, bloß es fehlen die kaufenden Kunden. Dafür sind die Kostproben, die man von allen Waren bekommen kann, sehr großzügig bemessen.
Insgesamt ist die Stimmung in Odessa weitgehend gedrückt. Man man spürt förmlich die Resignation nach dem über einjährigen Krieg, der hier stattfindet, und viele der Leute sehen keine wirkliche Zukunft mehr, weder für die Ukraine noch für sich selber.
In einem Klamottenladen mit einer alten Frau geredet, die als Verkäuferin dort arbeiten muss, da sie mit 50 € Rente nicht überleben kann. Was sie von Selensky hält, war unsere Frage, plocha, schlecht, er wäre kein Rechtgläubiger.
Ob sie sich vorstellen könnte, unter Russland zu leben, ja, wäre kein Problem. Dann einen Flaggen-Laden mit vielen Militaria aufgesucht, unter anderem auch viele Propaganda-T-Shirts mit antiussischen Sprüchen oder ukrainischen Motivationsparolen. Darunter eine Flagge mit dem ukrainischen Satz, den meine Bekannten zuerst nicht richtig verstanden haben. Sie fragten einen anderen Passanten, was er bedeutet. Er sagte „alles wird ukrainisch“ stehe auf der Flagge. Er fügte noch mit einem zynischen Humor hinzu, dass ja auch Deutschland bald alles ukrainisch werde.Dieser Spruch auf der Flagge noch dazu verbunden mit einer kirchlich angehauchten ukrainischen Marienfigur ist Hybris par excellence.
Überall um den Markt herum befinden sich Obdachlose und völlig Betrunkene, die in den Gassen liegen, daneben dann die völlig verarmten älteren Männer, die in den Mülleimern herumkramen. Als wir den Markt verließen und uns untereinander etwas auf Deutsch unterhielten, sagte ein Mann in schlechtem Deutsch ganz treffend „Alles kaputt“.
Früher hat man in Osteuropa meist den einzigen deutschen Satz von den Menschen vernommen, den sie kannten, nämlich „Hitler kaputt“.Am Nachmittag dann an der Küste Odessas entlang gefahren, die meisten alten Gebäude stehen leer oder sind zerfallen. Ein neu errichtetes Gebäude des Militärs wurde von einer Rakete getroffen. Wir haben versucht, mehrere Passanten zu fragen, was das überhaupt für ein Haus gewesen sei, ob eine Akademie oder was auch immer, darauf antworteten sie, darüber dürften sie nicht reden.
Überhaupt merkt man, dass viele Menschen in Odessa gar nicht so gerne mit Fremden reden. Der Großteil der Strände ist gesperrt, mit Militärposten besetzt, nur ein Strand ist für das Publikum zugänglich, welcher weiter im Westen von Odessa liegt. Der Hafen ist vollständig leer, keine Aktivitäten, außer ein paar kleine Schlangen von LKW mit Getreide, die aber in keiner Weise mit der irrsinnig großen Menge solcher Transporte in Reni zu vergleichen sind. In der Nähe des teils abgebrannten Gewerkschaftshauses, wo über 50 Russen 2014, die gegen den Maidan protestiert hatten, geflüchtet waren und im brennenden Gebäude starben, haben wir mit zwei Ukrainern gesprochen, die uns den Vorfall noch mal genauer erklärten. Sie meinten, die Untersuchungen sind bis heute noch nicht abgeschlossen. Und sie meinten, dass Russland im Austausch für die Krim Belgorod bekommen hätte. Belgorod gehörte 1917 bis 1919 zur Ukraine. Sie meinten, dass die ukrainischen Einwohner der Krim schon seit dem Jahr 2000 nach und nach die Halbinsel verlassen hätten.
Die Cafés und Restaurants, die noch geöffnet haben, sind weitgehend leer.
Später am Abend, als wir noch mal einen Gang um die Ecke machten, um vielleicht ein Bier zu trinken, kamen wir in ein Café bzw. Kneipe, da war zwar noch Licht, aber der Kellner sagte, es sei kurz vor 22 Uhr und nach 22 Uhr werde kein Bier mehr verkauft. Dann sei das Restaurant geschlossen, sogenannte Sperrstunde.Also noch schnell ein Bier im kleinen Supermarkt um die Ecke gekauft, gerade noch rechtzeitig, zwei Minuten bevor auch er geschlossen hätte und ein wenig an der Straße herumgestanden. Verschiedene Leute standen ebenfalls dort, einige Hunde, ein großer von ihnen fiel einen Mann an. Man spürte, wie die Stimmung gegen Abend von Resignation und Enttäuschung in Aggression umschlagen konnte.
Nachts dann gegen 1 Uhr hörte man Artilleriegeschosse, Raketen oder Drohnen, die irgendwo im Hafen einschlugen.
Wenn man etwa gegen 21.30 Uhr abends aus dem Fenster schaut und die vielstöckigen Wohnhäuser betrachtet, sieht man, dass zuweilen in weniger als einem Drittel der Häuser die Wohnungen beleuchtet sind.
Nicht dass es keinen Strom gäbe, dort lebt keiner mehr. Das heißt, dass vermutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Odessa schon die Stadt und vielleicht sogar das Land verlassen haben und einen Teil von ihnen sind auf dem Schlachtfeld gestorben.
Ebenso ist natürlich der Verkehr relativ spärlich, es gibt keine Staus, dafür sieht man immer noch sehr viele, sehr teure, dicke Fahrzeuge.Wo einst die Straßenbahn stets mit einem Anhänger gefahren war, genügt jetzt ein Einzelfahrzeug.
Ein armenischstämmiger junger Taxifahrer meinte noch auf dem Weg zum Bahnhof bezüglich des Krieges in der Ukraine, dass er ja eventuell im September schon beendet sein werde, da beide Parteien kriegsmüde seien. Es könne zu irgendwelchen vorläufigen Friedensvereinbarungen kommen, die aber bestimmt nach 1-2 Jahren wieder gebrochen würden. Dann werde der Krieg wieder von Neuem aufflammen wie in anderen Krisengebieten z.B. in Armenien.
Die Zugreise
Der Direktzug nach Polen war natürlich randvoll, in unserem Abteil saß eine russische Frau mit ihrem Sohn. Wir sprachen etwas über die Situation in der Ukraine. Sie war ausgebildete Physikerin.
Die Lage für Russen in der Ukraine, auch wenn sie dort geboren und fließend ukrainisch sprechen können wie sie, sei so wie für Aussätzige. Die ganze russische Kultur werde vernichtet, um- und abgewertet oder gelöscht.Die russische Sprache darf an der Schule nicht mehr gelehrt werden, folglich hat ihr Sohn ein Defizit in der russischen Sprache.
Das einzige, was er besonders gut könne, sind halt die russischen Schimpfwörter, weil die auch noch von den Ukrainern benutzt werden. Sie war auf dem Weg nach Warschau, dort hatte ihr Mann schon vor sechs Jahren eine Arbeit gefunden, wesentlich besser bezahlt als in der Ukraine.Dann meinte sie noch, dass in der Ukraine das Kindergeld unter Selensky abgeschafft wurde und das darüber sehr viele Ukrainer empört sind.
Auffällig war auf der ganzen Strecke in der Ukraine, dass nirgendwo auch nur ein einziger Militärtransport zu sehen war, weder auf der Eisenbahnstrecke noch auf den vielen verschiedenen Straßen, die wir gefahren sind. Das war 2015 noch ganz anders. Ebenso auffällig war, dass die gesamte Landwirtschaft noch vollständig in Betrieb ist.
Die Zugreise von Odessa nach Polen erinnert am Grenzübergang auf der ukrainischen Seite an die ehemalige DDR.
Männern von 18 bis 60 Jahren ist die Ausreise verboten, natürlich gibt es da diverse Ausnahmen. Ich sah, wie ein junger Mann von den Grenztruppen mitgenommen wurde, aber nach ungefähr einer knappen Stunde kam er wieder zurück mit Papieren in der Hand, er durfte weiterfahren. Im Zug spürte ich die Angst, die alle Leute hatten. Es war eine bedrückende Atmosphäre, ich hörte kaum jemanden lachen.
Das auf und ab in der Geschichte, die Grenzen wurden geöffnet und jetzt werden sie wieder dichtgemacht zwischen Ost und West.
Schlussbetrachtung
Wenn man ein Fazit von der Reise ziehen will, was die Situation der Ukraine betrifft, dann bleibt es auf den ersten Blick so gespalten wie in der Propaganda, beide Seiten behaupten, sie würden siegen. Russland behauptet, seine besetzten Gebiete auf Dauer zu halten oder gar auszudehnen. Die Ukraine glaubt, Russland wieder aus allen besetzten Gebieten vertreiben zu können. Beide Seiten behaupten das je die andere von Korruption durchsetzt sei, beide Seiten sind von Korruption durchsetzt. Kein Arsch interessiert sich für die Bevölkerung, für die Menschen, für die wirtschaftliche Lage. Bei vielen Menschen die wir dort befragt haben endet die Einsicht damit das letztlich es sich immer nur um internationale Macht- und Geldspiele handelt, welche auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung blutig ausgetragen werden.
Es ist offensichtlich, dass alles in der Ukraine gewaltig den Bach runtergeht, russischstämmige Einwohner fühlen sich diskriminiert und sind in den betroffenen besetzten Gebieten aber auch in Odessa mindestens zu 50% vertreten.
Auch wenn einige behaupten, es kehrten wieder viele in die Ukraine zurück, so sagen meine Augen mir etwas anderes, der Zug war voll, nach Polen kaum Plätze zu kriegen, das Land wird ausgeblutet im internationalen Einvernehmen.
Denn beide Seiten unterstützen die militärische Eskalation und vernichten damit unzählige Menschen und Existenzen.Die Russen halten die Front und die eroberten Gebiete und schicken zwischendurch mal Raketen auf unbesetzte Städte um psychologisch die Menschen in der Ukrainer weiter zu demotivieren und zu demoralisieren und die Ukrainer versuchen mittlerweile das gleiche im Raum Belgorod.Die ukrainische Regierung erzählt vom Endsieg gegen die Russen, der faktisch nicht stattfindet, und viele westlichen Staaten liefern weiter Waffen, um den Krieg am Laufen zu halten und die Rüstungsindustrie reibt sich, wie vor mehr als 3 Jahren die Pharmaindustrie die Hände angesichts gigantischer Gewinne.
Etwas ausführlicher und in 4 Teilen mit zahlreichen Fotos kann man den Artikel unter: lettlandweit.info finden.