Über Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, sondern im Schatten des übermächtigen Bezirks

Fotocopyright: Reinhold Roppert

Wir dürfen bei den Sitzungen nichts sagen. Für die Gäste des öffentlichen Bezirkstags sind nicht einmal Stühle vorhanden, so daß sie über mehrere Stunden hinweg stehen müssen. (Da bin ich mit meinem Rollstuhl mal echt im Vorteil, denn ich bringe mein Sitzmöbel ja quasi selber mit.) So macht man bezirksseitig nonverbal deutlich, daß Gäste eigentlich gar nicht erwünscht sind. 

Nun wird zum ersten Mal beim Bezirkstag live gestreamt. Bezirkstagspräsident Mederer schwalllt großspurig wie gewohnt voller Eigenlob vom Rednerpult aus in die Kamera. Man merkt die jahrelange Routine in der Selbstinszenierung als vermeintlicher Wohltäter. Er beklagt bei seiner Rede zum Haushaltsplan die hohen Kosten für die Schwerbehinderten und psychisch Kranken und betont, der Bezirk stünde vor einer „gewaltigen Aufgabe“.  

Der Siebzigjährige, der noch weitere vier Jahre im Amt sein wird, machte ursprünglich nach seinem Hauptschulabschluß eine Ausbildung zum Facharbeiter einer Brauerei und schloss 1985 ein Abendstudium zum Betriebswirt bei der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie ab. Seit 2008 jongliert er als Bezirkstagspräsident mit Milliardenbeträgen. 
(Die Bezirkstage Bayerns werden am gleichen Tag wie der Bayerische Landtag für eine Amtsperiode von fünf Jahren gewählt.)

In den Sitzungen der Ausschüsse und im Bezirkstag wird über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden. Mit ihnen redet so gut wie niemand, man befindet sich ja auf „höherer Ebene“. So werden z.B. Studien entschieden, die einen hohen Kostenaufwand darstellen, aber keinerlei Nutzen bringen, da die Erkenntnisse dazu längst vorliegen. In der öffentlichen Darstellung des Bezirks sind natürlich immer die Leistungsempfänger die Schuldigen, für die soviel Geld rausgeschmissen wird.

Man muß sich dabei klar machen, daß im Bezirksrat vor allem Leute sitzen, die von der Thematik und den Problemen der Betroffenen mit der sogenannten Eingliederungshilfeabteilung des Bezirks wenig bis überhaupt keine Ahnung haben und sich auch gar nicht dafür interessieren. Sie bekommen GELD für das „Ehrenamt“.

Der von Frau Tuttas (von den Grünen) – auf meine Anregung hin – vorgeschlagene RUNDE TISCH wurde vom Bezirk (insbesondere von Herrn Bertenbreiter, dem Leiter der Abteilung Soziales) stur abgelehnt. Frau Tuttas schrieb mir auf meine Nachfrage hin Folgendes: 
 Die Widerstände gegen den Runden Tisch sind enorm, er wird damit begründet, dass man keine Auswahl treffen kann, wer eingeladen wird und die LAG wäre ja in verschiedenen Gremien eingebunden.“
Man will nicht MIT den Leistungsempfängern reden, sondern nur über sie und so dürfen sich  Bezirksräte und Gäste dann auch anhören, daß der, von Herrn Mederer schwülstig angekündigter, Herr Prof.Dr. Markowetz  im Sozialausschuß Schwerbehinderte als „diiiiiese schwierigen Menschen“ bezeichnet und voller Verachtung über die Problematiken beim Umgang mit Schwerbehinderten mit kognitiven Einschränkungen spricht, aber sich bei dem, ihm offensichtlich sehr wohlgesonnenen, Herrn Mederer die nächsten Gelder für die nächste überflüssige Studie über „diiiiiese schwierigen Menschen“ sichert…

Herr Prof. Dr. Weber (die Linke) sprach dies im Anschluß vor dem versammelten Ausschuß an und kritisierte sowohl die Wortwahl als auch die grundsätzliche Einstellung. Schwerbehinderte und psychisch Kranke seien keine „schwierigen Menschen“, sondern Menschen mit Schwierigkeiten. Er forderte den Berufs-Kollegen zu mehr Respekt und Wertschätzung auf, was zu einer sichtlichen und hörbaren Verärgerung bei Herrn Mederer und dem Angesprochenen führte. 

Peter Münster, Bezirksrat von der FDP, merkte dazu auch noch an, daß er Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer weiteren Studie hätte, weil sie voraussichtlich keine neuen Erkenntnisse bringen werde, da es bereits mehrere Studien zu der Thematik gebe. 

Der Bezirk, vor allem die Behördenleitung, zeigt sich hartnäckig als äußerst faktenresistent, was berechtigte Beschwerden angeht und ist auch zu keinerlei Gesprächen mit Betroffenen bereit. Herr Mederer leitet lediglich alles an seine Untergebenen weiter, die bei der Bearbeitung vermutlich völlige Narrenfreiheit genießen. Seine Interessen sind dann eben doch eher anders gelagert, wenn keine Kameras auf ihn gerichtet sind. 

Selbst Oswald Utz, der Behindertenbeauftragte der Stadt München (die Grünen) bestätigte mir in einem Gespräch bei einer öffentlichen Veranstaltung in der Pfennigparade die Probleme und erzählte, daß auch ihm diesbezügliche Gespräche verweigert würden. 

Man will eben herrschen, abwerten und ausgrenzen. Der Bezirk verabscheut jegliche Kritik. 
Wollen wir mal hoffen, daß diese rückständige Einstellung der Behörde den Betroffenen gegenüber nicht noch weiter unkontrolliert eskalieren kann. 

Nur zwei Beispiele von vielen:

1) Als Herr Mederer beim letzten Bezirkstag am 12.12.2019 von Prof. Dr. Weber (die Linke) auf Missstände im Umgang mit den Leistungsberechtigten hingewiesen wurde, reagierte er äußerst verärgert. Man konnte ihm seine Wut ansehen, als Prof. Dr. Weber darüber sprach, daß Schwerbehinderten in der Zielvereinbarung – zu deren Unterschrift sie blödsinnigerweise vom Gesetz her gezwungen sind, da sie sonst keine Leistungen erhalten – nahegelegt wird, keinen (!) Umgang mit anderen Schwerbehinderten zu haben.  Dies sei vor allem für Schwerbehinderte, die sich in Selbsthilfegruppen befinden, eine sinnlose Erschwernis. 
Prof. Dr. Weber, der mit Selbsthilfegruppen in Kontakt steht, kritisierte auch, daß sich die Betroffenen vor Sachbearbeitern, also völlig fremden Menschen, völlig nackt machen müssen und daß dabei auch privateste Infos, wie z.B. mal ein Bordellbesuch, den Sachbearbeitern bekannt gemacht werden müssen.

2) Als Herr Mederer in der letzten Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit am 21.11.2019 von Frau Neubauer (die Grünen) gefragt wurde, wie es in dem Fall Böhner – einer jungen Rollstuhlfahrerin, der ihr Baby weggenommen wurde, weil der Bezirk mal wieder eingereichte Papiere verschlampt hatte – möglich war, daß es so fürchterlich falsch lief, meinte er dazu nur, er werde sich dazu nicht öffentlich äußern. 

Hinweis: Siehe Video zu der Sendung quer über den Fall Böhner auf YouTube: https://youtu.be/kHzo-8FtO_4 und den SZ-Artikel, der auch noch verriet, daß er zuständige Sachbearbeiter der jungen Frau eine gesetzliche Betreuung verpassen wollte https://www.sueddeutsche.de/muenchen/elternassistenz-mutterschaft-mit-behinderung-1.4630274?reduced=true 
Im Bericht von Jetzt sieht man dann auch schon, welche Auswirkungen dieser Fall auf junge Mütter mit einer Behinderung haben und welche Ängste sie davon abhalten, dass sie sich beim Bezirk Oberbayern die Hilfen holen, auf die sie einen klaren Rechtsanspruch hätten:
https://www.jetzt.de/politik/behinderung-angst-vor-dem-antrag-zur-elternassistenz

Frau Büllesbach, die persönliche Referentin des Bezirkstagspräsidenten und Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, verschickte nach der Sendung quer eine aufgeregte Rundmail, in der sie sich darüber beklagte, dass „im Bayrischen Fernsehen bei quer ein Beitrag lief, in dem der Bezirk Oberbayern katastrophal dargestellt wurde“.
Katastrophal war die Darstellung jedoch nicht, katastrophal sind vielmehr die Zustände in der Eingliederungshilfe des Bezirks, wenn man sich die zahlreichen Klagen der Betroffenen mal anhört, die nach Ansicht des Bezirkstagspräsidenten, wie er es immer zu nennen pflegt, „nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen“, sondern im Schatten des übermächtigen Bezirks. 

Immerhin gibt es vereinzelte Bezirksräte, die mal die richtigen Fragen stellen, aber sie sind extrem selten. Der Rest winkt unkontrolliert alles durch, weil sie sich ganz offensichtlich überhaupt nicht mit der Thematik auskennen und sich auch nicht einarbeiten wollen. Die wenigsten haben überhaupt Kontakt mit Betroffenen, um die es ja schließlich geht.

Die von Herrn Mederer vielgepriesene „Transparenz“ existiert nicht. Wer als Betroffener Informationen zu den Sitzungen haben möchte, erhält NICHTS. Die Beschlußvorlagen und Protokolle sind nicht einsehbar. In den öffentlichen Bekanntmachungen werden sie nur stichpunktartig erwähnt, so daß anwesenden Gästen die notwendigen Informationen verwehrt werden, die sie bräuchten, um verstehen zu können, worum es gerade geht. 

Ich möchte hier auch noch ein Beispiel erwähnen, wie Herr Mederer mit Anträgen der Oppostion umgeht: 
Am 21.11.2019 begann die Sitzung etwas zu früh. Frau Neubauer von den Grünen war noch kurz zur Toilette und schon war ein Dringlichkeitsantrag der Grünen durch Herrn Mederer (CSU) vom Tisch gefegt worden. Als sie zurück in den Sitzungssaal kam, durfte sie nicht einmal mehr eine Begründung zu dem Antrag ausführen. 

Herr Mederer meinte dazu, dass man eben rechtzeitig im Sitzungssaal sein sollte und dass der Antrag auf das nächste Jahr zurückgestellt sei, da es ja um 10 Millionen gehe.

Frau Neubauer war aber bereits vorher im Saal und wurde von diversen Kolleg*innen und auch von Herrn Mederer selbst in Gespräche verwickelt. Er verlor dabei keinen Ton darüber, dass der Antrag ablehnend behandelt werden würde. Üblicherweise beginnt die Sitzung nie so pünktlich, aber als sie um 9:31 (also eine Minute zu spät) zurück war, hatte Herr Mederer bereits abstimmen lassen, obwohl noch nicht alle Bezirksräte an ihrem Platz saßen. Die Anwesenden fühlten sich überrumpelt. 
Frau Neubauer meinte auf meine diesbezügliche Nachfrage dazu: 
Ich hatte in meiner Stellungnahme zum Haushalt auf die Ausführungen des Präsidenten reagiert, der von hoher Transparenz sprach. Das war Anlass für mich, dies im Zusammenhang mit meiner Haushaltserwiderung zu thematisieren und auch im Umgang mit Empfehlungsbeschlüssen transparent umzugehen. Die Erwiderung von Herrn Mederer: „Vielen Dank für Ihren belehrenden Beitrag.“ Unter dem TOP „Verschiedenes“ bat ich dann, mir die Begründung für die Ablehnung der Dringlichkeit schriftlich zukommen zu lassen. (Die Begründung der Ablehnung einer Dringlichkeit ist zu begründen, daher der Antrag diesbezüglich.)“

Wir wohnten der öffentlichen Sitzung als Gäste bzw. Pressevertreter bei, da wir uns für den Sachstandsbericht zum BTHG & BayTHG interessierten. Dieser stand auf TOP 12. Um es vorwegzunehmen: Für die Verantwortlichen kam das BTHG offenbar so plötzlich und überraschend wie jedes Jahr Weihnachten. Nicht einmal das Bedarfsermittlungsinstrument (ein Fragebogen) ist fertig geworden. Andere Bundesländer sind da schon wesentlich weiter, aber das vielgepriesene Bayern ist dann eben doch nicht so fortschrittlich, wie es die CSU immer wieder gerne behauptet. Mir erscheint es gerade im Bereich Behindertenpolitik eher senil. 

Laut dem Berichterstatter muß das (noch nicht existente) Bedarfsermittlungsinstrument erst noch vorher in einem Pilotprojekt getestet werden und es ist nicht zu erwarten, dass es 2020 zur Anwendung kommt. Dazu war geplant, dass 100 Personen aus ganz Bayern ausgewählt werden, die repräsentativ für diejenigen sein sollen, für die betroffen sein werden. Man hat jedoch festgestellt, dass das doch zu wenig sind und so sollen nun mehr Menschen an dem Pilotprojekt teilnehmen müssen. 

Das Pilotprojekt startet angeblich im ersten Quartal 2020. 

Anmerkung: Mit dem BTHG haben wir mal wieder ein Bundesgesetz, das in jedem Bundesland anders umgesetzt werden wird. Ich halte das für einen grundlegenden Fehler im deutschen System. Gerade Schwerbehinderte und psychisch Kranke brauchen Rechtsklarheit und Sozialrechts-Anwälte, die sich auskennen. Wenn jedes Bundesland ein eigenes Kasperltheater aus einem Gesetz macht, wird das unnötig erschwert. 

So lange Gesetze den Behörden den Ermessensspielraum bei der Bedarfsermittlung überlassen, werden sie ohnehin stets zu den eigenen Gunsten und niemals für die Betroffenen entscheiden. Sozialbetrug findet meines Erachtens genau anders herum statt, als er der Allgemeinheit glauben gemacht wird. Nicht die Bedürftigen betrügen, sondern die Behörden enthalten den Leistungsberechtigten ihre Rechtsansprüche vor.

Ein anderer Punkt auf der Tagesordnung in der Sitzung des Sozialausschusses war das Projekt BASTA, ein Bündnis für psychisch erkrankte Menschen, das sich gegen Ausgrenzung und Vorurteile engagiert. BASTA wurde vom Bezirk Oberbayern letztes Jahr mit dem Inklusionspreis ausgezeichnet. 
Der Bezirk übernimmt nun aber die, von den Grünen beantragten, 25.000 Euro für Basta nicht. Herr Mederer verwies auf die Zuständigkeit des Kultusministeriums.  

Das Risiko besteht nun, dass das hochgelobte Projekt stirbt. 

Anwesende Berzirksräte hofften noch ermunternd auf die „Weisheit des Präsidenten“, doch der schaltete auf stur. 

Herr Mederer beschwert sich in der neuesten Pressemitteilung zum Haushalt 2020 über hohe Kosten für Menschen mit Schwerbehinderung und psychischen Erkankungen.  

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Über Patricia Koller 22 Artikel
Die Autorin Patricia Koller recherchiert und schreibt zu sozialen Themen (wie z.B. Opfer von Gewaltverbrechen) und kämpft als Aktivistin für die Verbesserung der Rechte von Schwerbehinderten und psychisch Kranken. Sie ist ehrenamtliche Helferin für Schwerbehinderte und psychisch Kranke und Leiterin der Selbsthilfegruppe “Persönliches Budget für Schwerbehinderte – Behindertenrecht”.