Trotz der postulierten Sanktionspolitik gegen Russland sind die Gas-Importe der Europäischen Union (EU) auf einen Rekordwert gestiegen

Rote Vespa, Foto: Stefan Groß

Das ist wirklich eine Riesenblamage! Trotz der postulierten Sanktionspolitik gegen Russland sind die Gas-Importe der Europäischen Union (EU) auf einen Rekordwert gestiegen. Laut Daten des mehrheitlich staatlichen Moskauer Energiekonzerns Gazprom flossen im Jahre 2017 rund 195 Milliarden Kubikmeter nach Mittel- und Westeuropa (inkl. Türkei). Das sind 8,1 Prozent mehr als im Vorjahr, Deutschland ist weiterhin größter Abnehmer. Bringt die EU außer Sanktionsgerede nichts zuwege?

Tatsache ist: der Europäische Rat hat nun mal wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen die Russische Föderation beschlossen. Einstimmig. Anlass: die illegale Annexion der Krim und die vorsätzliche Destabilisierung des unabhängigen Nachbarlandes Ukraine. Die russische Wirtschaft bekommt das zu spüren, etwa die Banken.

Dagegen merkt der russische Energiesektor eher wenig von dem Boykott. Das belegen die neuen Gazprom-Verkaufszahlen. Anachronistisch wirkt dabei, dass die EU seit einem Jahrzehnt postuliert, die Rohstoffabhängigkeit vom politisch unzuverlässigen Russland verringern zu wollen.

Der Staatenbund ist gewarnt, seit Moskau 2006 und 2009 im Preisstreit mit der Ukraine die Pipelines in Richtung Kiew zudrehte, lange vor dem Kreml-Griff nach Krim und Ost-Ukraine. Und doch floriert der Gashandel von Ost nach West. Letztlich steht die EU damit düpiert gegenüber Kreml-Herrscher Wladimir Putin da.

Wenig hilfreich ist in dieser Lage, dass mancher deutsche Politiker – und ein Ex-Kanzler – einem Aufweichen der Sanktionspolitik das Wort reden. Dazu gibt es keinen Grund, zumal der politische Gesprächsfaden zum Kreml nie abgerissen ist. Letzteres ist auch gut so, weil nur die Kombination aus Konsequenz und Konversation zielführend ist.

Eine Normalisierung der Geschäfte darf aber nur erfolgen, wenn Russland bereit ist, sich an international bindende Gepflogenheiten zu halten. Dazu gehört, das Abkommen von Minsk vollständig umzusetzen. Davon sind wir weit entfernt.

Es gibt also Einiges zu bereden in Brüssel. Die EU-Staaten müssen schauen, ihren Hunger nach Energie verstärkt durch eine konsequent diversifizierte Beschaffung und mit neuen Energietechnologien zu stillen. Problem: die nationalen Regierungen kriegen bislang keine koordinierte Energiepolitik hin. Weder bei der Schaffung einer echten Energie-Union, noch bei der Ordnung der Einkaufspolitik.

Doch ein Fenster für neue Blicke aufs Gasgeschäft öffnet sich: das weltweit immer verbreitetere Verflüssigungsverfahren für Erdgas befeuert den Konkurrenzkampf. Denn Flüssiggas (LNG) kann global via Tankschiffen quer über die Weltmeere an den Kunden gebracht werden. So entfällt der starre Lieferweg über Rohre von Punkt zu Punkt, der sich nur regional rechnet und daher dem EU-nahen Russland nutzt, insbesondere seinem faktischen Pipeline-Monopolisten Gazprom.

Beim LNG hingegen spielen weitere Hauptexporteure mit. Etwa Katar, bereits größter LNG-Exporteur der Welt. Dazu kommen Malaysia, Indonesien, Australien. Zusätzlich drängen die USA beim Energie-Export nach vorne: soeben ist das 40 Jahre alte Öl-Ausfuhrverbot gefallen. Bisherige US-Schutzgebiete dürfen aufgebohrt und die umstrittene Fracking-Methode für konventionelle Erdgasförderung angewandt werden. US-Innenminister Ryan Zinke träumt schon davon, „die stärkste Energie-Supermacht der Welt“ zu werden.

In der Tat mausern sich die Vereinigten Staaten zum Energie-Selbstversorger. Das bricht den monolithischen Gasmarkt auf: die internationale Nachfrage wird gedämpft und der Wettbewerb angekurbelt. Das kann dem Verbraucher nützen und – bei guter Einkaufsgestaltung – unliebsame Abhängigkeiten lockern (wenn auch nicht über Nacht).

Alles in allem: pekuniäre Aspekte sind auch im Gasgeschäft wichtig und richtig. Aber zugleich darf sich die Wertegemeinschaft EU nicht dem möglichen politischen Druck gesetzloser Annexionsdesperados ausliefern. Deshalb ist das Gazprom-Gas ein gefährliches Gift für unsere Glaubwürdigkeit.

Finanzen

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