Von Hans Gärtner
Da muss erst Stefano Poda aus Italien kommen, um den Münchnern zu zeigen: Giacomo Puccinis „Tosca“ ist ein Nachtstück. Ein Film Noir mit Schreckenswirkung. Mit Gänsehautkriegen und Atemanhalten. Kein TV-Thriller schafft die düster-bedrängende, tiefschwarze Albtraumartigkeit so überzeugend wie Podas faszinierende Inszenierung auf den Brettern des „Kleinen Opernhauses“ der Landeshauptstadt, die lange Zeit, im Großen Haus an der Maximilianstraße, eine abgestandene, darauf eine eher fade, eingedunkelte „Tosca“ ertragen musste – die von Luc Bondy wird im Nationaltheater bleiben, schon wegen ihrer kaum überbietbaren Sänger-Größen in den drei wichtigen Rollen des Puccini-Straßenfegers: Titelheldin, Cavaradossi, Scarpia.
Dass Allrounder Poda, verantwortlich für Personenführung, Ausstattung und – nicht zuletzt, weil hier entscheidend wichtig – Lichtdesign, für jede Hauptpartie hochpassable Stimmen und Spieltalente zusammenführte, geht wohl auch auf sein Konto. Gefüllt hatte er es bereits mit „Toscas“ in Klagenfurt und Wuppertal.
In München schätzt man es, einen Weltschlager des Musiktheaters live genießen zu können, ohne – zum Beispiel – auf die zweifellos hoch zu lobende „Tosca“ warten zu müssen, die man 2020 von den Osterfestspielen 2018 ins Sommerfestival übernimmt. Am Gärtnerplatz ereignet sich das Drama um die römische Sängerin Floria Tosca, die sich durch die gewaltsame Tötung ihrs Vergewaltigers aus den Fängen des Polizeipräsidenten Scarpia zu retten versucht. Auch bei Poda stirbt Tosca und folgt so – aber freiwillig – ihrem nur scheinbar geretteten Geliebten Cavaradossi in den Tod.
Revolutions-Drama. Legendäre Sonnenfinsternis vom 17. Juni 1800. Napoleon-Bedrohung. Monumentale Katholizität. Te Deum-Geprassel. Alles getaucht, wenn nich in schrilles Scheinwerferlicht, dann in abgründig-höllische Finsternis. Gerafft in „echt“ gedachte 15 Stunden eines musikalisch brennend hochgepeitschten Dreiecks-Zwists, der für alle, ausgenommen das Kirchenvolk, vertreten durch den bravourös einstudierten Gärtnerplatz-Chor, katastrophal endet.
Oksana Sekerina singt und mimt mit Verve eine mannstolle, robuste, auch mit ihrer Haupt-Arie durchdringend hart bleibende Tosca. Artem Golubev müht sich mit den Lyrismen des aufgewühlten, nicht zu bremsenden revolutionären Cavaradossi. Noel Bouley kommt die Schurken-Partie des niederträchtigen Scarpia für seinen Brutalo-Bariton entgegen. Die Chargen fügen sich gut in das strikt ästhetisierende, zwischen Realismus und Abstraktheit changierende Regie-Konzept, das im ergreifenden Schluss-Bild mit dem großen gefiederten Flügel – Pendant zu dem mächtigen liegenden Holzkreuz – ein, allen voran der allzu macho-betonte Mesner des hauseigenen Levente Páll.
Dirigent Anthony Bramall, der dem Gärtnerplatztheater noch lange erhalten bleiben möge, wirft sich blendend in die Fluten der pittoresken Oscurità der 119 Jahre alten Puccini-Partitur. Er erzwingt keine Effekte, sondern lässt sie langsam entstehen. Er hält die Waage zwischen Draufhauerei und Feinschliff, entgleist weder ins Manisch-Veristische noch ins gefühlig-flirrende Filmmusik-Genre und nimmt sich des gut eingefügten Kinderchors genauso liebevoll an wie der als Gäste willkommenen Protagonisten. Der Beifall ist in diesem Haus selten rauschend gewesen. Hätte es aber – nach dieser beachtlichen „Tosca“-Premiere – durchaus sein dürfen.
Foto von Hans Gärtner
Nächtlich erleuchtetes Gärtnerplatztheater – damals (vor 4 Jahren) außen, heute (mit einer ersten „Tosca“) auch auf der Bühne