Thomas Bernhard: Wenn Grantler das Wort ergreifen

Thomas Bernhard, Foto: Hans Gärtner

Etwas zum Hören, etwas zum Lesen. Beides passt für Regentage. So düster und grau es draußen ist, so grau und düster kommt es aus dem CD-Player, aus dem Buch. Das Buch erschien vor kurzem in Salzburg, der Band mit 3 CDs voriges Jahr in München. Geschimpft wird da wie dort. Von einer Dame, von einem Herrn. Beide Österreicher. Beide tot: Christine Nöstlinger und Thomas Bernhard. Nöstlinger seit Sommer 2018, Bernhard seit gut 30 Jahren.

Auf das Buch, das posthum 50 Gedichte aus Nöstlingers Nachlass abdruckt, eingeleitet von Michael Köhlmeier, hat mich Nöstlingers noch ziemlich junger Kollege Clemens J. Setz aufmerksam gemacht.  Der Titel des Buches ist so wenig leicht zu lesen wie sein Inhalt: „ned dasi ned gean do warat“. Setz kann das, als Landsmann der Autorin, die so gut wie jedes Kind von Klassikern wie „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ oder „Maikäfer flieg“ her kennt, bestimmt besser als ich. Ich versteh wohl, wenn Österreicher in ihrem, sagen wir: Wiener Dialekt reden, aber diesen verschriftet zu lesen, bereitet Probleme, wenn man zwar Deutscher, aber halt kein, sagen wir: Wiener ist. Wär also besser  gewesen, auf das Hörbuch zu warten? Die Nöstlinger wär zweifellos die beste Interpretin ihrer Verse. Ihre Live-Stimme ist für immer versiegt. Mir geht`s nicht so gut wie dem schriftstellernden Nöstlinger-Leser Setz, der in seinem SZ-Artikel vom 3. Mai 2019 schreibt, dass man Nöstlingers Bücher nicht lesen (Setz hasste als Kind das Lesen, es rief bei ihm „Juckreiz, Seelenunruhe und Beinzappeligkeit“ hervor), sondern nur aufschlagen musste – „und dann ging alles von allein“.

Die Granteleien der sel. Christine Nöstlinger muss ich mir mühselig erarbeiten, selbst so kurze Texte wie „Bei uns im Bau / und nemau / Tia an Tia / lem Leid wie mia“. Setz blieb an einer Stelle das Herz stehen: „Da Meia is echa so a Schdüla“. Er findet, wie ich, den Nöstlinger-Band „schmerzlich kurz“.  Auf jeder Seite würden Rätsel gelöst, sagt er. Also, mir werden Rätsel gestellt, nicht gelöst. Dennoch: Die Nöstlinger grantelt schön, auch wenn mir nicht alles klar wird, zumindest beim ersten Lesen.    

Ganz anders geht es mir mit den 3 CDs voller „Städtebeschimpfungen“ des österreichischen Ober-Grantlers und genialen Nestbeschmutzers Thomas Bernhard. Der lässt nun schimpfen: von den Schauspielern Peter Simonischek und Michael König. Beide verdienstvollen Bühnengrößen, legen sie sich heftig ins Zeug, um Bernhards Granteleien über Orte, die er entweder kannte oder nicht kannte (aber dennoch „beschissen“ fand) ans Ohr des Bernhard-Fans heranzutragen. O, da wird besonders Simonischek nicht mehr fertig – und er wiederholt sich (der Regie sei Dank) oft genug, um der Eindringlichkeit seiner (d. h. Bernhards) Angewidertheiten Nachdruck zu verleihen – im Namen des Autors von „Die Ursache“, „Die Kälte“ und anderer autobiografischer Auflehnungen gegen ein mieses Schicksal! Ausführlich geht es um die Beschimpfung von Augsburg, das „Nest“, das Thomas Bernhard muffig fand und verabscheuungswürdig und derart mit abwertenden Bezeichnungen belegte, dass es zu einem kulturellen Erregungs-Eklat kam. Auf der CD 1 zieht er sich fast 40 Minuten hin. Dagegen sind dann Städte-Beschimpfungen von Berlin oder Bremen, Chur oder Brügge längenmäßig nur Pipifax. Und man muss nach der ersten CD unbedingt eine lange Pause einlegen, und die Häme, die Thomas Bernhard über Dinkelsbühl bis München (CD 2) und erst recht über Neapel bis Salzburg (!), Traunstein (!) und Wien (!) ausgießen lässt, für zwei weitere gute Hör-Stunden bei eigener Niedergeschlagenheit über irgendeinen (Tat-)Ort dieser Erde aufsparen. 

Nöstlinger: „ned dasi ned gean do warat“, Gedichte, Residenz Verlag, Salzburg 2019; Bernhard: „Städtebeschimpfungen“, gelesen v. P. Simonischek und M. König, 3 CDs, Hörverlag, München 2018

Helga Wittrowskys Bernhard-Porträt covert Johann Maxwalds Buch über seinen „eigentümlichen Nachbarn Thomas Bernhard“, EHA-Verlag, Münster 2005. Foto: Hans Gärtner   

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Über Hans Gärtner 499 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.