Mit der Uraufführung Die Empörten erwartet uns eine „finstere Komödie“ – was hat sie inspiriert dieses Stück zu schreiben?
Anfangs hatte das Stück den Arbeitstitel „Kreons Schwester“. Ein weiblicher Kreon in der Figur einer Bürgermeisterin. Ich wollte die Kreonfigur rehabilitieren, zumal Kreon auf den Bühnen meistens schlechter wegkommt als Antigone. Kreon ist oftmals nur der kalte, gefühllos sture Machtmensch, während Antigone ihre Tragik voll und ganz ausschöpfen darf. Dabei ist Kreon eine höchst zerrissene Figur, die aber von ihrer Zerrissenheit nichts zeigen darf. Antigone darf ihre Gefühle uneingeschränkt ausleben und hat dabei auch alle unsere Sympathien auf ihrer Seite. Während Kreon sich einen derartigen Gefühlsaufruhr gar nicht leisten darf, sonst würde der Staat zusammenbrechen.
Das Stück hat während der Arbeit dann aber eine andere Richtung genommen. Allerdings klingen bei der Figur der Bürgermeisterin auch in der jetzigen Fassung immer noch ein paar Sätze dieses weiblichen Kreons an.
Sie haben einen prägnanten Titel gewählt. In Ihren früheren Stücken ist die Empörung oft nahe am Amüsement. Werden sich die Zuschauer trotz der Empörtheit auch in diesem Stück amüsieren können?
Das hoffe ich sehr!
Es stehen Ihnen Caroline Peters, Silke Bodenbender, André Jung, Sven Prietz und Anke Schubert als Schauspiel-Ensemble zur Verfügung. Schreiben Sie ihnen das Stück auf den Leib?
Das Ensemble ist natürlich großartig, was will man mehr!?
Caroline Peters habe ich das erste Mal erlebt, als sie noch als Anfängerin an der Schaubühne meinen ersten Theatertext “Kleine Zweifel“ gespielt hat. Zusammen mit einer Kollegin hat sie diesen Text in Eigenregie gespielt. Das war wunderbar! Silke Bodenbender kenne ich natürlich aus dem Fernsehen, André Jung habe ich an verschiedenen Theatern gesehen, in Basel, und München. Anke Schubert und Sven Prietz habe ich in Mannheim 2007 kennengelernt und immer wieder Rollen für sie geschrieben.
Auf jedem Fall haben mich diese Schauspielerinnen und Schauspieler beim Schreiben begleitet, ihre Gestik, ihre Mimik, ihre Melodie, ihr Rhythmus beim Sprechen und Schweigen.
Können Sie kurz den Inhalt des Stückes zusammenfassen?
Zusammen mit ihrem Bruder versteckt die Bürgermeisterin eine Leiche in der großen Rathaustruhe. Die Bürgermeisterin steht kurz vor den Wahlen, sie fürchtet um ihre Stellung. Immerhin handelt es sich bei diesem Toten um einen Halbbruder, einen Selbstmörder, der andere mit in den Tod gerissen hat. War es ein Selbstmord? Oder war er, wie Gerüchte verbreiten, ein Attentäter? Draußen bebt eine Welt, in der nichts leichter zündet als Gerüchte. Der Druck der Straße wächst. In Kürze wird im Rathaussaal die Trauerfeier für die Opfer stattfinden, auch die Bürgermeisterin eine Rede halten. Um diese alte Truhe herum versammelt sich eine Gesellschaft, die in jeder Hinsicht miteinander verstrickt ist. Die Versammelten ringen um eine Schweigeminute, die letztendlich zum Hochdruckkessel gerät, in dem es längst nicht mehr um die Toten geht. Jeder kocht in dieser finsteren Komödie sein eigenes Süppchen. Die Toten dienen am Ende nur noch als Projektionsfläche für eigene Paniken, für weltanschauliche Obsessionen oder politisches Überleben. Je mehr sie sich voneinander absetzen wollen, desto grotesker offenbart sich aber, wie sehr sie einander bedingen.
Dabei hat man den Eindruck, dass es vor allem um narzisstische Kämpfe geht, um gegenseitige Profilierung, nicht wirklich um innere Überzeugungen.
Wieso findet sich in Ihren Komödien immer ein Toter?
Eine Leiche ist immer eine gute Grundlage für eine Komödie. Meine Stücke tendieren meistens zur Groteske. Die Groteske ist, wenn man so will, schreckensgeladener als die Komödie. Allerdings hatte ich noch nie leibhaftig einen Toten in meinem Stück herumliegen, wie das jetzt der Fall ist. Mit einer versteckten Leiche auf der Bühne öffnet man natürlich auch einen Spalt weit die Türen zum Schwank. Bisher hatte ich den Toten unter den Rädern eines Zuges, oder am Ende ließ einer eine Urne fallen. Ich hatte auch Pflegerinnen eines Altersheims, die ihre Anbefohlenen ins Jenseits beförderten. In diesem Stück teilt sich von Beginn an eine Gesellschaft den Raum mit einem Toten. Dass er in der Rathaustruhe liegt, wissen nicht alle. Das existentielle Gewitter tobt sich ganz anders aus, wenn bereits einer dran glauben musste. In irrwitziger Weise wirken die Figuren durch die Anwesenheit eines Toten wie makabre Narren.
„Empört euch!“ hieß vor ein paar Jahren ein Buch. Kurz darauf entstand der Begriff „Wutbürger“. Inwieweit nehmen Sie Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Ent-wicklungen?
Das Gesellschaftsklima, in dem dieses Stück spielt, ist von Anfang an überreizt, man kann durchwegs draußen auf den Straßen das Empörtengegröl hören. In diesen Rathausmauern herrscht eine nervöse Akustik, alles ist getränkt vom Aufruhr, während die Gesellschaft drinnen sich aneinander abarbeitet und ebenso zu den Empörten gehört.
Wie stehen Sie zur „Empörungskultur“?
Um Empörung kommt kein Mensch herum, Empörung ist notwendig, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Ohne Empörung wären Errungenschaften wie die der Menschrechte gar nicht denkbar. Andererseits lassen sich Empörungen auch schnell mobilisieren, zumal wir alle meistens genug Stoff in uns haben, um jeder Zeit aus der Haut fahren zu können. Die Frage ist, inwieweit der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, noch etwas mit dem zu tun hat, was vorher schon alles im Fass gegärt hat? Geht es im weitesten Sinn vor allem darum, sich selbst wieder einmal zu spüren und seine Meinung zu kanalisieren? Geht es um ein Selbstgefühl, um einen Entladungsrausch? In meinem Stück geht es nicht zuletzt um diese Fragen. Wir alle sind empörungsbereit, erst recht in Zeiten, in denen sich viel verändert und Verlässlichkeiten, die eben noch gegolten haben, auf einmal brüchig werden oder ganz wegfallen.
Wir erleben momentan, wie auf den Straßen populistische Stimmungs-DJs die Empörung anheizen. Manchmal hat man das Gefühl, es handle sich um mobile Stammtische, die sich auf die Straßen verlegt haben. Man darf dabei aber nie vergessen, dass es notwenige Empörung gibt.
Burkhard C. Kosminski wird Regie führen. Mit ihm haben Sie bereits mehrere Stücke zur Uraufführung gebracht. Was schätzen Sie an dieser Zusammenarbeit?
So wie ich ihm als Regisseur früh Einblick in meine Stücke gebe, öffnet er, fern jeder Eitelkeit, von Anfang an seine Proben: Komm, wann immer du kommen möchtest! Diese beginnen mit dem lauten Lesen der Schauspielerinnen und Schauspieler am Tisch, mit dem Abklopfen der Partitur, dem Verstehen-Wollen, wie der Text gebaut ist, wie seine Sprache funktioniert, wie sie klingt und welche Atmosphäre sie ausstrahlt. Ein Stück zuerst auf seinen dramaturgischen Rhythmus und seinen sprachlichen Sound hin zu untersuchen, das sind unerlässliche Schritte, bevor er sich als Regisseur die Freiheit nimmt, mit diesem Text in seiner Weise umzugehen. In seinen Inszenierungen zeigt er auch immer wieder die Größe, den Schauspielerinnen und Schauspielern ihren Raum zu geben.
In einem Interview sagten Sie einmal, das Schreiben sei bei Ihnen eine „laute Angelegenheit“ und dass der Rhythmus der Antreiber der Handlung sei. Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Ich flüstere, spreche, gestikuliere oder wandere während der Arbeit im Zimmer umher. Schreiben ist für mich auch körperliche Arbeit. Im besten Fall erschafft man eine Partitur für eine Art Konfliktmusik. Und die lebt vom Atmosphärischen, von Motivverknüpfungen, vom Klang, vom Rhythmus der Sprache, wo man genau überlegt, welches Wort an welcher Stelle steht, damit die Konflikte zünden. Man ist als Dramatikerin ja immer auch eine Architektin für Nervenzusammenbrüche.
Es wird erstmals eines Ihrer Stücke bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne gebracht. Was bedeutet es Ihnen hier zu arbeiten?
Ich war vor Jahren einmal bei den Salzburger Festspielen und habe dort in der Felsenreitschule eine Generalprobe von einer Berio-Oper sehen können. Das war beeindruckend. Man kann ja nicht umhin, bei jedem Schritt in dieser Stadt an die vielen wunderbaren Leute zu denken, die hier alle schon gearbeitet haben. Das hat einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Alles ist getränkt von dieser flirrenden Atmosphäre, den Geschichten, Klängen, Inszenierungen. Ich hatte den Eindruck, dass selbst die Sonne zur Festspielzeit festlicher auf die Stadt herab scheint als anderswo.
Sie veröffentlichen seit vielen Jahren ausschließlich Texte für die Bühne. Warum diese uneingeschränkte Entscheidung fürs Theater?
Die Frage hat sich gar nicht groß gestellt. Ich habe mich als Schauspielerin auf der Bühne nie wirklich wohl gefühlt. Also habe ich mich da irgendwie runterschreiben müssen. So kam es mir damals zumindest vor. Anders gesagt: ich habe nach Möglichkeiten gesucht, wie ich trotzdem mit der Bühne noch Kontakt haben kann, ohne dass ich dort jeden Abend selber draufstehen muss. Inzwischen merke ich, dass es Ideen gibt, die in der Prosa besser aufgehoben sind. Dem werde ich nachgehen. Allerdings gibt es momentan noch viele Stück-Aufträge von Theatern, die ich machen möchte.
Sie stammen aus einer kreativen Familie – Ihr Vater und zwei Ihrer Schwestern schreiben, eine weitere Schwester arbeitet als Schauspielerin. Hatte das Einfluss auf Ihre Arbeit?
Aber ja. Immerhin ist für mich als Kind eine Welt aufgegangen, als ich meine Schwester Franziska zum ersten Mal als Maria Magdalena auf der Bühne gesehen habe. Von da an war meine Fantasie szenisch.
Ihr Stück ist eine Auftragsarbeit der Salzburger Festspiele und des Staatsschauspiels Stuttgart und wird am 18. August in Salzburg uraufgeführt. Wie beeinflussen diese Parameter Ihre Arbeit an Die Empörten?
Was soll man da sagen? Schreiben ist Schreiben. Salzburg ist eine besondere Herausforderung.
Theresia Walser (* 1967)
Die Empörten
Eine finstere Komödie
Uraufführung: 18. August 2019
Sechs weitere Aufführungen bis 29. August
im Landestheater
Regie Burkhard C. Kosminski
Bühne Florian Etti
Kostüme Ute Lindenberg
Musik Hans Platzgumer
Dramaturgie Ingoh Brux
Mit
Silke Bodenbender
André Jung
Caroline Peters
Sven Prietz
Anke Schubert
Koproduktion mit dem Schauspiel Stuttgart