Theologische Verwandtschaft – Neues aus der Benediktforschung

Dem philosophischen Diskurs der Moderne, wie er sich exemplarisch im Gespräch des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation mit Jürgen Habermas 2004 zeigte, stand der derzeitige Papst Benedikt XVI. immer aufgeschlossen gegenüber. Nicht nur in seiner Bonner Antrittsvorlesung räsonierte er über das Verhältnis von Philosophie und Theologie, sondern immer wieder – dies auch aus dem Blickwinkel seiner Existenzphilosophie und seines Personalismus – ist es das Verhältnis von Glauben und Wissen, das den deutschen Papst beschäftigt. So nimmt es auch nicht wunder, daß bei aller Kritik, die derzeit über sein Pontifikat geäußert wird, seine Theologie nicht im Fokus der kritischen Analyse steht. Selbst Alan Posener, der Benedikts Weltbild für antimodern erklärt, der ihm ein Rollback in die finsteren Zeiten der Voraufklärung vorwirft, stellt zumindest eines nicht in Frage: die Theologie des einst jüngsten Professors für Fundamentaltheologie.
Die Frage ist nur, woraus speist sich dieses Denken? Analysiert man in diesem Zusammenhang die Vielzahl der Schriften zur Theologie Benedikts, so wird zwar immer wieder Augustinus als Quelle benannt, nur eine wissenschaftliche Auseinandersetzung dieser theologischen Verwandtschaft ließ bislang auf sich warten. Einzig N. Cipriani und C. P. Mayer haben intensiv in diese Richtung gedacht.
Welch tragende Rolle der Kirchenvater aber im Denken des Pontifex spielte und immer noch spielt, zeigt überdeutlich die kaum mehr zu überblickende Vielzahl von Schriften und Exegesen, die Benedikt Augustinus widmete. Auch und insbesondere sind die letzten drei Enzykliken ohne den prägenden Einfluß des Kirchenvaters nicht verstehbar. Wie kaum ein anderer ist der deutsche Papst von der Spätantike geprägt, und letztendlich auch vom Neuplatonismus und dessen Einfluß auf das Denken Augustinus’, das sich seinerseits keineswegs nur als genuin christliches verstehen und interpretieren läßt, wie manch ein christlich inspirierter Augustinusforscher nahelegt. Neben den christologischen Aspekten sind es eben auch neuplatonische Akzente und Philosopheme, die von Benedikt immerfort und wortgewaltig in den Mittelpunkt gerückt werden.
Diesem augustinischen Element in seinem Denken widmet sich nun eine Dissertation aus dem Echter-Verlag, in deren Zentrum die Ekklesiologie, die Christologie und die Eschatologie Augustinus’ und Benedikts stehen. In aller Ausführlichkeit zeichnet Joseph Lam C. Quy den Denkweg Ratzingers und seiner Lehrer (Gottlieb C. Söhngen) und geistigen Väter (John Henry Newmann, Henri de Lubac) nach, gibt tiefgreifende Einblicke in die Promotionsarbeit des jungen Ratzinger, die sich mit der Thematik „Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche“ beschäftigte, in seine Habilitation und in seine immer wieder geführte Beschäftigung mit dem Kirchenvater. Der Autor kann mit einem Buch Theologische Verwandtschaft, Augustinus von Hippo und Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. daher zurecht den Anspruch erheben, einen genuinen Forschungsbeitrag geleistet zu haben, der bislang von der Sekundärliteratur, aus welchen Gründen auch immer, ausgeklammert wurde.

Joseph Lam C. Quy, Theologische Verwandtschaft, Augustinus von Hippo und Joseph Ratzinger / Benedikt XVI., Würzburg 2009.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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