Theologie als Problem – Die Rede von Gott als Unterfangendes Menschen. Positionsmarken im Horizont neuzeitlichen Denkens

„Wer durch Gründe bewogen wird, Gottes Wirklichkeit zu glauben, der kann sicher sein, daß er von der Wirklichkeit Gottes nichts erfaßt hat; und wer mit Gottesbeweisen etwas über Gottes Wirklichkeit auszusagen meint, der disputiert über ein Phantom.“[1]

Abgrenzung: die Hülle des Problems Das Thema der Theologie erscheint selbstverständlich: es kann nichts anderes als Gott sein. Wovon sonst sollte sie auch handeln? Schon der Begriff „Theologie“ – vom altgriechischen theos (Gott) und logos (Rede) abgeleitet -, legt sie darauf fest, sich als „Rede von Gott“ zu verstehen und auszuweisen. Doch das jedenfalls, wovon sie immerhin zu handeln vorgibt, ist alles andere als selbstverständlich. Das Thema „Gott“ wirft Probleme auf. Und das eigentlich nicht etwa in einem kultursoziologischen Sinne, dass es unter den Bedingungen der Neuzeit per se problematisch ist, von Gott zu reden: weil es unzähligen Menschen unendlich fremd ist, den Gedanken „Gott“ überhaupt zu denken sowie den Begriff „Gott“ auszusprechen und zu hören. Nein, darum geht es nicht. Und kann es nicht gehen.

Das Problem, das Gott als Thema bereitet, liegt mitnichten in einer Entfremdung begründet: es ist nicht durch sie verursacht und nicht um ihretwillen vorhanden. Also auch nicht damit zu lösen oder zu beseitigen, dass man sich endlich wieder und mehr mit Gott befasst: etwa, indem man in der Bibel liest, in die Kirche geht und sich im Glauben übt. Weit gefehlt! Wer überhaupt die Entfremdung von der christlichen Religion für das Problem der Theologie hält, der irrt kolossal – sie ist nur ein schlichtes Phänomen der Neuzeit: sie bildet keinesfalls das Problem selbst, sondern allenfalls dessen Hülle. Ein fassadenhaftes Hemmnis, das maximaldas Reden von Gott und das Verstehen solchen Redens erschwert, beides aber mitnichten total infrage stellt. Nein, um all das geht es nicht. Und kann es nicht gehen.

Eingrenzung: der Kern des Problems
Die Theologie hält ein Problem ganz anderer Qualität bereit. Jedenfalls für die, die es wirklich wissen wollen und darauf abzielen, das Problem zu erkennen: zum Kern vorzudringen, statt die Hülle zu umrunden. Denn während das Phänomen der Entfremdung immerhin objektiv wahrzunehmen ist, endet jeder Zugriffsversuch auf das eigentliche Problem mit einem Griff ins Leere. Wie könnte es auch anders sein? Dieses Problem entzieht sich jeder vernünftigen Feststellung: Gott ist nicht zu objektivieren, weil er keine empirische Gegebenheit ist, die an sich vorhanden wäre. Also nichts, was sich im weitesten Sinne direkt oder indirekt als etwas Vorhandenes zu erkennen gäbe. Genau darauf kommt es zunächst an: zu begreifen, dass es einen Gott, den es gibt, gerade nicht gibt. Eben darum muss es gehen.[2]

Die Qualität des Problems, mit dem die Theologie – ob sie will oder nicht -, zu tun hat, stellt sie vor eine schier unlösbare Aufgabe. Um sich als Theologie auszuweisen, soll und muss sie von Gott reden, obwohl ihr eigenes Thema alles andere als selbstverständlich ist. Ja, im Grunde ist es ihr doch selbst fremd. Gänzlich fremd! Und muss es ihr auch sein, seit mit dem neuzeitlichen Denken exakt das in Zweifel geraten ist, was selbstverständlich war: das Dasein Gottes – also etwas, das sich jeder vernünftigen Erkenntnis verweigert. Dieser ontologischeZweifel ist unmöglich auszuräumen oder nur zu entschärfen. Vielmehr durchdringt er alles, was mit Theologie zu tun hat: sämtliches Reden von Gott und zugleich sämtliches Verstehen solchen Redens. Genau das ist der Kern des Problems. Eben darum muss es gehen.

Sichtung: die Frage des Interesses
Das Dilemma der Theologie besteht somit darin, sich Gottes Dasein unmöglich versichern zu können. Daran kommt sie niemals vorbei. Und damit wird sie niemals fertig: dass ihr Thema objektiv nicht vorhanden ist. Aber was bedeutet das für sie? Was bleibt ihr überhaupt noch zu sagen, wenn sie unmöglich von Gott zu reden vermag? Doch eigentlich nichts! Denn logischgefolgert lässt ihr die Unmöglichkeit über ihn zu reden doch nur die Möglichkeit über ihn zu schweigen. Das wäre nur konsequent. Und ein authentisches Fanal! Ihr Schweigen wäre eben nichts als ein Zeugnis neuzeitlichen Denkens: ihr Tribut, dass jener Zweifel an Gottes Dasein zugleich sie selbst erfasst und sie darum – bevor sie zum sinnlosen Gerede verkommt – aus Einsicht beschließt, von nun an zu verstummen.

Die angezeigte Logik spricht für sich. Das mag stören und zu Einwänden bewegen, was aber sachlich irrelevant bleibt. Fakt ist, dass wer immer sich mit Gott befasst, ihn niemals zu fassen bekommt, solange er ihn bloß im Interesse objektiven Denkens und Redens zu greifen sucht. Zumal man sich dann mit so ungefähr allem, nur nicht mit Gott befasst. Anders verhält sich die Sache erst, sobald man nicht mehr auf Gott reflektiert – sodass er der eigenen Person alsObjekt gleichsam gegenübersteht -, sondern auf das je eigene Verhältnis zu Gott. Aufgrund dessen begibt man sich vom Boden der Objektivität auf den der Subjektivität.[3] Das erzeugt zunächstauch in der Sache selbst einen Fortschritt: weg vom Minenfeld des Zweifels und hin zu einem – allem Anschein nach – vertrauten Terrain.

Bewertung: die Frage der Dimension
Das eigentliche Problem der Theologie, von Gott zu reden, birgt also bis auf weiteres zwei Wahlmöglichkeiten: einerseits die über ihn zu schweigen und andererseits die über das eigene Verhältnis zu ihm zu reden. Damit wäre zugleich klargestellt, dass mit der Entscheidung zu reden, nur die Möglichkeit verbleibt, es subjektiv zu tun. Das heißt konkret, wer über Gott zu reden gedenkt, der muss über sein eigenes Verhältnis zu ihm reden. Durch diesen subjektiven Ansatz – und nur so – lässt sich der Zweifel an Gottes Dasein ernst nehmen. Allerdings, dasProblem der Theologie ist dadurch erst zur Hälfte erkannt: es ist eben nur seine ontologische Dimension wahrgenommen, seine erkenntnistheoretische dagegen noch ausgeblendet.

Die Überlegung, statt über Gott über das eigene Verhältnis zu ihm zu reden, erwirkt auch nur zum Schein einen Denkfortschritt. Erkenntnistheoretisch behauptet sie eine Möglichkeit, die mitnichten besteht: sie setzt voraus, dass jemand eine Redeposition außerhalb des Themas der eigenen Rede einnehmen kann.[4] Das ist praktisch jedoch unmöglich, wenn man selbst in einem direkten, weil existentiellen Bezug zum diesem Thema steht – was nun hier der Fall ist. Genau darum kann man auch das eigene Verhältnis zu Gott nicht von außen kommentieren: als sei man gleichsam unbeteiligt – in einer fiktiv neutralen Position sich selbst gegenüber. Nein, die Aufarbeitung der ontologischen Frage lässt das Problem der Theologie kaum schrumpfen.

Klärung: die Frage der Kompetenz
Die strikte Unmöglichkeit, weder über Gott noch über das eigene Verhältnis zu ihm reden zu können, indiziert freilich nicht einmal die Gesamtdimension des Problems. Vielmehr ist diese erst erfasst, wenn man sich bewusst macht, dass es überhaupt ein menschliches Unterfangen bleibt, Gott oder das eigene Verhältnis zu ihm als Thema zu wählen. Denn was auch immer man unternimmt, es schafft keine Nähe: es bestätigt nur die Distanz, die entsteht, indem man sich entweder von Gott oder vom eigenen Verhältnis zu ihm abspaltet und so eine nichts als irreale Außenposition bezieht. Allein die Selbsterkenntnis solchen Scheiterns sollte bereits ausreichen, sich aufzufordern, der eigenen Inkompetenz Respekt zu erweisen.

Der Grund für das Scheitern liegt indes weitaus tiefer. Es auf bloße Inkompetenz abzustellen, hieße, es sich zu einfach zu machen, da sie keinesfalls dessen eigentliche Ursachebezeichnet.
Tatsächlich geht es nicht um ungeeignete Mittel und Methoden, ein Problem zu bewältigen; nicht um falsche Denkansätze, unreife Haltungen und Überzeugungen; nicht um das, was man als Mensch nur fehlerhaft hervorbringt. Und überhaupt auch nicht um irgendwelche Fehler oder Mängel, ihre Qualität und Quantität. Nein, der Versuch, Theologie im wahren Wortsinne zu betreiben, scheitert mitnichten an allem, was man nur mangelhaft oder nicht zu leisten imstande ist, was man nur mangelhaft oder nicht kann – sondern ganz schlicht an dem, was man ist. Der Versuch scheitert am eigenen Menschsein.

Schließung: der Horizont des Denkens
Die Erkenntnis, dass man etwas nicht um eines eigenen Unvermögens, sondern fundamental um des eigenen Seins willen nicht zustande bringt, bildet gleichsam den ersten Schritt, um das Problem der Theologie anders und damit neu zu bewerten: also unter erkenntnistheoretischen Prämissen voranzuschreiten, um das Problem allein noch existentiell – sozusagen im tiefsten Sinne existentiell zu fassen. Was nichts anderes heißt, als dass der Mensch eben nicht nur ein Problem damit hat, über Gott oder das eigene Verhältnis zu ihm zu reden, sondern: dass er selbst das Problem ist, sobald er Gott oder sein Verhältnis zu ihm zum Thema macht. Doch: wenn das so zutrifft – wie kann man dann überhaupt diesem Problemlabyrinth nur entgehen? Welche Denkwege stehen denn noch offen, um endlich den Ausgang zu betreten?

Der einzige Weg hinaus führt wiederum über eine negative Erkenntnis. In dem Falle über die Selbsterkenntnis, dass man von dem jedenfalls, was man selbst ist und hat, nichts aufzubieten vermag, um das Labyrinth zu verlassen. Insofern stehen auch keine Denkwege mehr offen: sie sind vielmehr samt und sonders an ihr Ende gelangt – auch wenn dieser Text sich natürlich weiterhin im Horizont vernünftigen Denkens zu bewegen sucht. Ja, sein Verfasser und gerade im Moment auch die Leserin/der Leser befinden sich nun am Ende jenes Weges, der bis hier gedanklich vorgezeichnet ist. Dass man sich aber weder das noch den Anfang eines anderen, neuen Weges anders, denn als Subjekt in der Abspaltung vom Objekt vorstellen kann – nun, das ist eben menschlich: das zeichnet bewusstes Menschsein aus.

Entschließung: der Horizont des Glaubens
Die Aussage vom Ende des bisherigen Denkweges trifft insofern auf alles zu, was mit dem eigenen Tun als persönliche Möglichkeit zusammenhängt. Was aber heißt das konkret? Wenn vom Ende aller eigenen Möglichkeiten die Rede ist – heißt das nicht zugleich auch mit dem eigenen Sein am Ende zu sein? Was besagt das nun für das Problem der Theologie? Zumal man doch vom eigenen Sein nicht absehen kann, wenn man vom eigenen Tun redet. Und in der Tat: davon ist nicht abzusehen, solange man sich – notwendigerweise – im Aktionsradius des eigenen Denkens bewegt. Womit endlich klar ist, dass wenn von Gott oder vom eigenen Verhältnis zu ihm die Rede sein soll, dies unmöglich im eigenen Horizont geschehen kann.

Die Frage, die daraus folgt, stellt sich schon wie von selbst: Wie anders um alles in der Welt als im Horizont des eigenen Denkens und Seins soll dann Theologie im wahren Wortsinne zu betreiben sein? Denn das ist doch Fakt, dass niemand von sich aus noch ein anderes, zweites Denken und Sein in Anspruch nehmen kann, kraft dessen sich dann – wie wunderbar – sogar Theologie betreiben ließe. Nein, die Antwort auf die Frage kann, gleichwohl sie natürlich im Horizont des eigenen Denkens und Seins – wo denn auch sonst? – angesiedelt ist, nur lauten: von Gott und vom eigenen Verhältnis zu ihm kann nur im Glauben die Rede sein. Denn der ist keine Möglichkeit, kein Werk des Menschen, sondern Gottes Werk allein.[5]

Aufdeckung: die Dialektik des Daseins
Die Aussage, dass nur der Glauben dazu instand setze, von Gott und vom eigenen Verhältnis zu ihm zu reden, ist aber genauso nur im Akt des Glaubens zu treffen und zu verstehen, wie die Behauptung, der Glauben sei allein von Gott erwirkt. Der Vernunft bleibt diese Aussage unzugänglich. Und zwar darum, weil das Denken – wie bereits erwähnt – unmöglich Gott oder das eigene Verhältnis zu ihm als Thema erwählen kann, ohne bloß mit dieser Aktion bereits die Spaltung von Subjekt und Objekt einzuleiten. Der Glaubensakt dagegen hebt die Spaltung auf – sofern man sein Entstehen als ein Werk Gottes erachtet. Als Menschenwerk verkannt, bliebe die Spaltung in Kraft, da man mit einem Selbsterzeugnis nur wiederum im Labyrinth eigenen Denkens und Seins verharrt.

Die Wesensart des Glaubens im Gegensatz zum Vernunftdenken besteht nämlich darin, dass der Glauben gerade nichts ist, worüber man als Besitz verfügt. Während das aber immerhin zu verstehen ist – dass man etwas nicht besitzt -, erscheint es doch reichlich paradox, dass man, selbst wenn man glaubt, im Grunde kein gläubiger Mensch ist. Und doch: streng genommen ist das so. Denn ein gläubiger Mensch ist man mitnichten in vergleichbarer Weise wie man nun eben – trotz aller Unvernunft – ein vernünftiger Mensch ist: das eine ist man immer schon von sich aus – das andere niemals von sich aus. Dieser Dialektik freilich unterliegt man nur im Glauben, zu dem man nicht anders kommt, als durch Gott selbst: durch sein Wirken, das alles persönliche als ein allein wirkliches Einlassen auf ihn hervorbringt.

Entbindung: die Dialektik des Erkennens
Der Glauben überwindet daher allein um Gottes Willen die Spaltung zwischen dem eigenen Selbst als Subjekt und Gott als Objekt, wie sie für das Denken konstitutiv ist. Versteht man den Glauben im Vollsinne als ein Werk Gottes, so trägt man selbst zu ihrer Aufhebung nur das bei, dass man sich auf Gott einlässt. Und selbst dieses Einlassen gibt sich als allein von Gott erwirkt zu verstehen. Von wem auch sonst? Denn dass man sich kraft eigener Erkenntnis auf Gott einlässt – das mag doch niemand ernsthaft behaupten. Oder nimmt das irgendwer für sich in Anspruch: von nun an zu glauben, dass ein galiläischer Zimmermann vor bald 2000 Jahren durch seinen Kreuzestod alle, die an ihn glauben, an Gottes Gerechtigkeit und Heil teilhaben lässt. Nun, wer das meint, der verkehrt den Glauben in eine Variante des Denkens.

Das perfekte Unvermögen, über Gott und über das eigene Verhältnis zu ihm zu reden, gründet also ursächlich in jenem Unvermögen, sich aus sich selbst heraus zum Glauben, respektive zu einer christlichen Existenz zu entscheiden. Beides Unvermögen gehört untrennbar zusammen: es ist die Chiffre für das eigene, einpolige Dasein im Denken. In ein zweipoliges, ein Dasein im Denken und im Glauben zugleich, kann es sich – von menschlicher Seite – nur wandeln, weil die Dialektik des Daseins von einer des Erkennens herrührt: der Dialektik einer aktiven und passiven Rezeptivität, von Seherkenntnis und Hörerkenntnis. Kraft der einen begreift man Objekte, kraft der anderen wird man als Subjekt ergriffen-in dem Falle von Gott ergriffen.[6]

Einwirkung: das Wort Gottes
Das Hörvermögen bildet erst die eine menschliche Grundvoraussetzung, damit der Glauben im eigenen Selbst überhaupt einkehren kann. Ohne die Fähigkeit zu hören, das heißt, etwas nur auf-nehmen zu können, wäre es a priori unmöglich, sich auf Gott einzulassen und darum auch unmöglich, nur einen einzigen theologischen Satz auszusprechen. Aber – wen bekommt man eigentlich zu hören, als dass sich daraufhin ein Glauben entwickeln kann? Nach allem, was bisher gesagt ist, muss es Gott selbst sein, der sich Gehör verschafft. Anderenfalls kann kein Glauben entstehen, der Theologie jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung möglich macht.

Der Verweis auf Gott setzt indes voraus, dass er sich hörbar mitteilt. Wenn freilich – wie es nun hiermit geschieht – behauptet wird, dass Gott sich allein durch sein Wort kundtut, so gibt sich das wiederum nur im Glauben zu verstehen. Der Vernunft bleibt es unverständlich, wenn der Glauben seine eigensten Behauptungen aufstellt: wie etwa, dass dieses eine Wort zwei Wirkungen zeitigt: eine als Schuld- und eine als Freispruch.[7] Oder, dass es nur als Freispruch Glauben hervorruft. Ferner, dass es kraft seiner Zweiheit die eigene Person zuerst zum Sünder und dann zum Gerechten erklärt. Und schließlich, dass man im Glauben zwar an Gottes Heil teilhat, dabei aber maximal Sünder und Gerechter zugleich bleibt.[8] All das muss der Vernunft als reine Zumutung erscheinen, weil sich ihr Gott in seinem Wort nicht erschließt.[9]

Entfaltung: das Tun Gottes
Die letzten Ausführungen deuten bereits an, dass sich wahrhaftige Theologie zwangsläufig im Horizont des Glaubens bewegt. Vorläufig definiert, bezeichnet Theologie so die im Glauben vollzogene „Rede von Gott“, die im vernünftigen Denken nicht nachzuvollziehen ist: weil sie sich infolge der Subjekt-Objekt-Spaltung weder verifizieren noch falsifizieren lässt. Das aber gewährt dem Glauben keineswegs jeglichen Raum – gleichsam jenseits der Vernunft – alles zu behaupten, was ihm von Gott und vom eigenen Verhältnis zu ihm gerade auszusagen beliebt. Nein, das wäre illusorisch. Denn wiewohl nicht zu bestreiten ist, dass Glauben und Denken weder miteinander übereinstimmen noch zu vereinbaren sind, so bedeutet das eben nicht, dass der Glauben ein beliebiges Reden von Gott erlaubt.

Der Glauben ist vielmehr seinerseits in Schranken gewiesen, die wiederum durch die Spaltung von Subjekt und Objekt vorgegeben sind. Dazu muss man sich klar machen, dass der Glauben nur als von Gott erwirkter Glauben die Spaltung überwindet. Sowie dass dieser Glauben allein in Gottes Wort gründet: jenem Freispruch, der die eigene Person an Gottes Heil teilhaben lässt – wenn man dieses Wort hört und es glaubt. Die faktischen Möglichkeiten der Theologie im Glauben von Gott zu reden, beschränken sich daher um ihrer selbst willen darauf, allein das Heilswirken des Wortes Gottes zur Sprache zu bringen. Kurzum: die Theologie kann, will sie der Subjekt-Objekt-Spaltung entgehen, allein von diesem Tun Gottes am Menschen reden – oder reformatorisch gesagt: sie muss am Rechtfertigungsgeschehen orientiert sein.[10]
Vollbringung: das Heil des Menschen
Das Problem, das der Theologie durch das neuzeitliche Denken bereitet ist, gibt ihr insofern umgekehrt Gelegenheit, sich auf das zu besinnen, was sie als Glaubensrede ausweist: auf das Verhältnis von Gott und Mensch als dasjenige zwischen Zweien, von denen der eine schuldig ist und der andere von Schuld freispricht. Die Theologie als Fachdisziplin dagegen verweigert sich immer wieder derart lästiger Beschränkung, um sich umso eifriger ans Werk zu machen, dogmatische und ethische Spezialfragen zu umkreisen. Als ob man sich in einer Ignoranz der Subjekt-Objekt-Spaltung einfinden und einüben könne, sodass sich abseits des neuzeitlichen Denkens der Glauben an Gott und die Liebe zum Nächsten thematisieren ließe.

Die Illusion, über alles reden zu können, sollte Anlass genug sein, ihr unmissverständlich zu widersprechen. Das wäre auch für die Theologie eine konkrete Aufgabe! Deutlich zu machen, dass man über Gott und sein Wort genauso nicht reden kann, ohne sich von dem, worüber man redet, sogleich zu entfernen, wie über das von Gott erwirkte Heil, das man in Gestalt des Glaubens empfängt und in Gestalt der Liebe weitergibt. Nein, auch dieses Heil ist wie Gott selbst keine Gegebenheit, nichts Vorhandenes, was dem Denken zugänglich ist. Sondern: es ist nur je und je wirklich im Akt des Glaubens und des Liebens selbst.[11] Wie auch Gott nicht anders erfahrbar ist, als im Einlassen auf ihn, das er gewiss erwirkt.


[1] Rudolf Bultmann, Glauben und Verstehen 1, Tübingen 1933/1993, S. 26
[2] Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Akt und Sein, Transzendentalphilosophie und Ontologie in der Systematischen Theologie, Gütersloh 1931, S. 94
[3] Zur Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Denken siehe Sören Kierkegaard, Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken Erster Teil, Gütersloh 1988 (2. Aufl.), S. 190f
[4] Vgl. Rudolf Bultmann, Glauben und Verstehen 1, Tübingen 1933/1993, S. 26; Glauben und Verstehen 3, Tübingen 1961/1993, S. 120f
[5] Johannesevangelium 5, 29; Zum Glauben als Werk Gottes bei Luther siehe die Darstellung bei Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1983 (6. Aufl.), S. 51ff
[6] Zur Seh- und Hörerkenntnis vgl. Rudolf Bultmann, Glauben und Verstehen 3, Tübingen, 1961/1993, S. 107f, der zumindest das wissenschaftlich motivierte Sehen allerdings als rein rezeptiv und uninteressiert darstellt.
[7] Reformatorisch besehen handelt es sich dabei um die Dialektik von Gesetz und Evangelium;vgl. hierzu Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1983 (6. Aufl.), S. 218 – 238; Gerhard Ebeling, Luther, Tübingen 198, (4. Aufl.), S. 120 – 136
[8] Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 193 (6. Aufl.), S. 211 – 213
[9] Zum Verhältnis von Glauben und Denken vgl. Gerhard Ebeling, Luther, Tübingen 1981 (4. Aufl.), S. 78 – 99, 259 – 279
[10] Martin Luther grenzt das Thema der Theologie drastsich ein: „Eigentlicher Gegenstand der Theologie ist der schuldige und verlorene Mensch und der rechtfertigende und rettende Gott. Was man außerhalb dieses Gegenstandes sucht, ist Irrtum und leeres Gerede in der Theologie.“ WA 40 II, 327, 11f. Dazu auch Wilfried Herrmann, – „Von Gott können wir nur sagen, was er an uns tut“ -, Die Wirklichkeit Gottes, 1914, in Schriften zur Grundlegung der Theologie,ThB 36/II, Bd 2 hg. v. Peter Fischer-Appelt, 1967, (290 – 317), S. 314
[11] Vgl. Rudolf Bultmann, Glauben und Verstehen 1, Tübingen 1933/1993, S. 26f; Glauben und Verstehen 3, Tübingen 1961/1993, S. 120f

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Über Büchler Ulrich 8 Artikel
Ulrich Büchler, geb. 1966, ist evangelischer Theologe und Sozialmanager. Seit 1996 übt er eine Leitungstätigkeit in sozial- und berufsintegrativen Projekten der Suchthilfe aus.

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