Neben der modernen, westlich geprägten Medizin existiert auf der Insel Bali in Indonesien bis heute eine eigenständige Form des Heilens, die im besten Sinne des Wortes ganzheitlich genannt werden kann. Sie ist das Ergebnis einer mehr als anderthalb Jahrtausende andauernden Wechselwirkung zwischen den Erkenntnissen der urbalinesischen Bali Aga* und dem Hinduismus. In dieser Weise wird sie von den traditionellen balinesischen Ärzten, den Balyans** bis heute angewandt und in der örtlichen Fachliteratur beschrieben. Eine solche Literatur existiert tatsächlich, wenn sie auch lange Zeit von den niederländischen Kolonialherren ignoriert und negiert worden ist. Sie besteht aus den sogenannten Lontar-Schriften. Es sind dies auf den getrockneten und entsprechend präparierten Blättern der Rontal Palme (Borassus labelliformis) eingeritzte Urkunden, die ein umfangreiches Material zum Studium der Geschichte, Kultur, Rechtswissenschaften, Verfassung, des Gottesdienstes und aller Bereiche des täglichen und Geisteslebens der Balinesen enthalten. Ihre Entstehung verdanken sie hinduistischen und hindu-javanischen Einwanderern, die diese Art der Schreibkunst zur Bewahrung wichtiger Geistesgüter mitbrachten. Das Vorhandensein einer im Gegensatz zur benachbarten Insel Java erheblichen Anzahl von Lontars verdankt Bali wahrscheinlich dem Umstand, dass es von der islamischen Flut verschont blieb, welche im 15. Jahrhundert Java überschwemmte. Dadurch unterblieb hier die Zerstörung, der auf Java die meisten Lontarschriften anheim fielen. […]