Politische Verfolgung Jenaer Studenten unter Ulbricht und Honecker
Zwanzig Jahre sind es her, daß mit der DDR jene zweite deutsche Diktatur im Orkus der Geschichte verschwand, den sie in den Jahrzehnten ihrer Existenz immer nur anderen zugedacht hatte: physisch, psychisch, propagandistisch. Subsumiert unter der Formel vom „Klassenfeind“. Man würde diese historische Tatsache innerlich befreiter feiern, wäre man in Deutschland nicht mit einer Entwicklung konfrontiert, die auf den scheinbar paradoxen Zustand hinausläuft, daß mit steigendem Detailwissen über den prinzipiell kriminellen Charakter des Regimes – dokumentiert in einer Flut von Statistiken, Analysen und Zeugenaussagen – ausgerechnet die politische Kraft im Land an Akzeptanz gewinnt, medial wie institutionell, die sich aus der Organisation der Haupttäter von einst, der SED, über die PDS zur Partei Die Linke chamäleonisiert hat. Diese fatale Nichtächtungs-Bereitschaft einer im harten ideologischen Kern nach wie vor totalitären Bewegung gegenüber, denkt man nur an Sarah Wagenknechts Kommunistische Plattform, ist allerdings das logische Produkt jenes westdeutschen politischen Mainstreams, der bis zur Wende im Herbst 1989 davon ausging, daß der zweiten deutschen Diktatur, faktisch wie ideell, Legitimitätsgründe zugewachsen seien, an denen man nicht mehr vorbeikönne. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff des Friedens solange strapaziert, bis er zur Alternative von Freiheit wurde und beide zur reinen Phrase. Wie sehr, kann man an all jenen Menschenschicksalen ablesen, die nicht bereit waren, ihr Leben willenlos einer politischen Doppelphrase unterzuordnen und aus Freiheitssehnsucht mit dem Friedhofsfrieden der SED-Diktatur in Konflikt gerieten, das heißt ins Räderwerk von Staatssicherheitsdienst und Parteijustiz. Acht solcher Fälle versammelt die Dokumentation „In die Mühlen geraten“ von Martin Morgner, die „Porträts von politisch verfolgten Studenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena zwischen 1967 und 1984“ ausstellt. Was wir hier zu lesen kriegen, nicht zuletzt in Form von MfS-Akten, Protokollen von Disziplinargremien einer Universität mit dem Namen Schillers oder Urteilen des Un-Rechtswesens des SED-Staats, bricht zwar keine Schreckensrekorde, aber es komplettiert sozusagen im Rahmen eines Ortsausschnittes den alltäglichen Totalitarismus des Regimes, seine diesbezügliche Repressionspraxis, ohne die es keinen Tag lang hätte existieren können. Die Namen der Delinquenten: Malte Jurgons, Klaus Wagner, Peter Rönnefarth, Roger Kirchner, Till Noack, Guntram Clements, Olaf Weißbach, Walter Bindemann. Sie studierten Psychologie, Medizin oder Mathematik. Sie äußerten sich offen abweichend von der Partei zum „Prager Frühling“ oder zur Gewerkschaft „Solidarnosćź“. Sie verheimlichten Fluchtabsichten von Freunden oder glaubten Trotzki mehr als Lenin. Sie wurden vor Gericht gestellt oder von der Universität geworfen oder beides. Sie gingen in den Westen, ins Schweigen oder in die echte Opposition. Zurück blieben die Verfolger vom Dienst: Stasi-Agenten, SED-Richter, Parteifunktionäre, Universitätsprofessoren. Ihre Namen werden genauso genannt wie die ihrer Opfer. Eine diktatorische Gesellschaft und ihr adäquates Abbild. Ein weiteres notwendiges Buch gegen professionelle wie naive Geschichtsfälscher. Nur ein paar verbale Ausrutscher und Flapsigkeiten hätte sich Martin Morgner, der Autor der Porträts, sparen können: Weniger privater Ton wäre hier mehr gewesen. Ein notwendiges Buch bleibt es dennoch.
Martin Morgner: In die Mühlen geraten. Porträts von politisch verfolgten Studenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena zwischen 1967 und 1984, Wartburg Verlag, Weimar und Eisenach 2010, S. 397.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.