Symposium in Wien: 20 Jahre Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus

Österreich unterzeichnete 2001 das Washingtoner Abkommen. Es sollte späte Restitution für Opfer des Nationalsozialismus regeln. Zwanzig Jahre danach wurde der Schadenersatz beendet. Dies wurde in Wien am 14. November mit eine Jubelveranstaltung gefeiert. Der amerikanische Diplomat Stuart Eizenstat hielt den Eröffnungsvortrag. Von Johannes Schütz.

Stephan Templ wurde nicht eingeladen. Zur Podiumsdiskussion, beim Symposium über Entschädigungen für die Opfer des Nationalsozialismus, veranstaltet vom Nationalfonds der Republik Österreich.  Denn es dürfen keine Zweifel aufkommen, an einer Erfolgsgeschichte der Restitution in Österreich, die am 14. November in der Diplomatischen Akademie Wien zelebriert werden sollte.

Templ ist der Verfasser von „Unser Wien: Aryanization Austrian Style„, gemeinsam mit Tina Walzer, das Buch erschien 2001 und dokumentiert die Geschichte enteigneter Immobilien. Später kritisierte Templ deutlich die Praktiken des Allgemeinen Entschädigungsfonds der Republik Österreich, beispielsweise in seinem Beitrag „Die Privatisierung der Restitution“, den er in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichte (NZZ, 23. 7. 2010). Mit Stephan Templ in der Diskussionsrunde hätte man wohl auch über die Schatten sprechen müssen, die die Organisation der Restitution in Österreich wirft.

Das Ende der Entschädigung

Es muss auch mal Schluss sein. Das ist unverkennbar der Geist, den das Symposium in Wien vermitteln wollte. Schadenersatz wurde demnach ausreichend geleistet.

Es begann im Juni 1995, das Wallstreet Journal veröffentlichte einen Beitrag über unterschlagene Vermögen, der öffentliche Beachtung fand. Drei Monate später, im September 1995, wurde der Nationalfonds der Republik Österreich gestartet, für Opfer des Nationalsozialismus. Offenbar wollte man einer Sammelklage aus den USA noch rasch zuvorkommen und diese möglichst abfangen.

Bereits 1996 wurde eine Sammelklage gegen Schweizer Großbanken in der Höhe von 20 Milliarden US-Dollar eingereicht. Der amerikanische Anwalt Ed Fagan kündigte im August 1998 auch Sammelklagen gegen österreichische Banken an.  Als Folgewirkung wurden, mehr als fünfzig Jahre nach Kriegsende, Verhandlungen geführt zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, für die Restitution der Opfer des Nationalsozialismus. Das Ergebnis war das Washingtoner Abkommen, das 2001 unterzeichnet wurde und die Entschädigung regeln sollte.  In der Folge wurde der Entschädigungsfonds eingerichtet.

Zwanzig Jahre später wurde die Restitution offiziell beendet. „Der Entschädigungsfonds wurde nach Erfüllung seiner Aufgaben im April 2022 durch Beschluss des Kuratoriums formell aufgelöst„, so die Erklärung des Österreichischen Nationalfonds.

Dazu wurde eine Jubelveranstaltung konzipiert. Am 14. November in der Diplomatischen Akademie in Wien wurde gefeiert. Eingeladen zu den Podiumsdiskussionen wurden insbesondere Mitglieder der Delegation, die das Washingtoner Abkommen verhandelte, Repräsentanten des österreichischen Außenministeriums, beteiligte Juristen, dazu noch Personen, die als Alibi dienen könnten.

Diplomatische Lösung

Stuart Eizenstat sollte beim Symposium in Wien den Eröffnungsvortrag halten. Er verhandelte für die Vereinigten Staaten das Washingtoner Abkommen. Eizenstat war ein erfahrener Diplomat und Politiker, der den USA in vielfältigen Funktionen diente. Er war bereits Berater bei Präsident Jimmy Carter in der Funktion des Chief Domestic Policy Adviser, dann Botschafter der USA bei der Europäischen Union von 1993 bis 1996 und stellvertretender Finanzminister in der Ägide Clinton von 1999 bis 2001. Bei Präsident Obama wirkte Eizenstat als Berater für Fragen des Holocaust (Special Advisor for Holocaust Issues), er war auch bei  Präsident Trump in dieser Funktion tätig, jetzt wieder bei Präsident Biden.

Fraglos ist das Urteil von Stuart Eizenstat entscheidend für die Bewertung der Leistungen des österreichischen Entschädigungsfonds. Dafür wurde Eizenstat von österreichischen Politikern und Beamten seit Jahren hofiert und ihm die grauen Räume rosa ausgeleuchtet, damit er im fernen Washington die triste Realität des Landes nicht mehr erkennen solle.

Tatsächlich wollte Eizenstat die Erwartungen der Österreicher nicht enttäuschen.  Stuart Eizenstat erfüllte in Wien offensichtlich eine diplomatische Mission. Es sollten die Beziehungen der USA zu Österreich befreit werden, von der historischen Verfolgung des Judentums.

Wohlwollendes Appeasement

Der Vortrag von Eizenstat erweckt den Eindruck, dass damit das Thema beendet werden soll. Entscheidend bleibt für Eizenstat nur, dass das Geschichtsbild über diese Tragödie des Judentums festgeschrieben und künftig entsprechend weiter tradiert wird:
„20 years after the Washington Agreement: Remarks by Ambassador Stuart E. Eizenstat“.

In seinem Vortrag will Eizenstat für die Geschichtsbücher aber auch das Verhalten der Österreicher, die in die Entscheidungen involviert waren, endgültig bestimmen. Einleitend erklärt Eizenstat, dass Österreich ein Vorbild für die Welt sei. Es wäre kein anderes Land so weit gekommen, in der Wahrnehmung seiner moralischen Verantwortung und in der Durchführung konkreter Maßnahmen:
„An exemplar for the world. In recent years, no country has come further or faster than Austria in recognizing its moral responsibility and in taking concrete steps“.

Demnach waren es die brillanten Schritte die der damalige Kanzler Schüssel setzte, die zu diesem Erfolg führten. Es waren Pizza-Verhandlungen („Pizza Negotiations„), da Kanzler Schüssel aus seinem bevorzugten italienischen Restaurant Pizza bringen ließ. Ernst  Sucharipa, der Leiter der österreichischen Delegation bei den Verhandlungen, wird von Eizenstat „ein Prinz“ genannt. Christoph Leitl, der Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer, wird zu einem „unsong hero“. Maria Schaumayer, die Präsidentin der Österreichischen Nationalbank, wiederum wollte nicht streiten, „wie die Deutschen„, so Eizenstat, sie wollte bessere Zahlungen leisten, „ohne das lange Feilschen„, das in Deutschland erforderlich war:

„She wanted to go beyond the German slave and forced labor agreement, without the lengthy haggling we had with the German companies. She did not want to struggle like the Germans over the status of agricultural workers (…) She improved the payments in the German agreement.“
(Stuart Eizenstat, 20 years after, Vortrag, Wien 14. 11. 2022, S. 10f)

Schatten der Entschädigung

Trotz seiner noblen und lobenden Worte kann man auch im Vortrag von Stuart Eizenstat erkennen, dass die Restitution in Österreich dunkle Schatten wirft. Diesbezüglich muss man insbesondere die Beträge kritisch betrachten, die die Zwangsarbeiter erhielten. Es waren einmalige Zahlungen von 2.500 USD oder 7.500 USD. Das bedeutet, es wurde beispielsweise eine Zwangsarbeit von 5 Jahren, die schwere gesundheitliche Schäden bewirkte, mit 7.500 Dollar verspottet.

436 Millionen Euro wurden für 132.000 Zwangsarbeiter zur Verfügung gestellt, ausbezahlt wurden 352 Millionen Euro, der Rest wurde insbesondere dem österreichischen Zukunftsfonds gewidmet.

Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch die Frage gestellt werden nach einer Transparenzdatenbank. Es muss überprüfbar sein, ob die Zahlungen tatsächlich bei allen Zwangsarbeitern angekommen sind. Es wurden nicht nur jüdische Zwangsarbeiter berücksichtigt, sondern auch christliche Zwangsarbeiter aus Osteuropa. Insbesondere bei christlichen Zwangsarbeitern wäre ein Missbrauch möglich, da jüdische Organisationen dabei keine Kontrolle vornehmen. Es muss untersucht werden, ob ein ordentliches Gebaren gegeben ist, also die Auszahlungen korrekt durchgeführt wurden.

Aktuelle Enteignungen

Eine Überprüfung des österreichische Nationalfonds und des Entschädigungsfonds muss gefordert werden. Denn es wäre vergleichbar simpel gewesen, Gelder des Nationalfonds zu veruntreuen, angesichts aktueller Vorfälle in Österreich.

Es kam zu einer neuen Welle an Vermögenskonfiskationen in Österreich. Ermöglicht durch Amtsmissbrauch. Willkürliche Enteignungen ohne strafrechtliche Begründung. Zivilrechtlich durchgeführt. Mit dem Argument: „Gesundheitliche Gründe“. Dann übernehmen sogenannte Sachwalter das gesamte Vermögen und alle Einkünfte, dringen in Wohnungen ein, plündern Wertgegenstände und verkaufen Immobilien.  Tausende Fälle wurden in den vergangenen zwanzig Jahren von der österreichischen Volksanwaltschaft dokumentiert. Staatliche Stellen greifen in Österreich bei solchen Übergriffen grundsätzlich nicht ein.

Dazu erschien ein erster Beitrag bereits vor mehr als fünf Jahren in The European:
Grundrechte in der Europäischen Union werden verletzt: Der Fall Österreich
(The European, 6. 6. 2017)
https://www.theeuropean.de/johannes-schuetz/12302-der-fall-oesterreich

Ein Zusammenhang der aktuellen Enteignungswelle in Österreich mit den Verhandlungen für Restitution vor 20 Jahren dürfte gegeben sein. Offensichtlich entstand dabei der Eindruck, dass bei solchen Plünderungen kaum Konsequenzen zu befürchten sind.

Oder soll die neue Vermögenskonfiskation eine Provokation sein, eine Reaktion einer extremen Gruppe österreichischer Juristen, die demonstrieren wollen,  solche Enteignungen sind abermals möglich, auch nach dem Washingtoner Abkommen. Denn es gibt in Österreich wieder solche Enteignungen, die Stuart Eizenstat in seinem Vortrag mit Abscheu beschrieb:
„and the confiscation or forced sale of family homes, businesses and personal effects that were never returned“.

Stuart Eizenstat hätte auf diese aktuelle Entwicklung in Österreich reagieren müssen. Doch ignorierte er diese Fakten für eine Politik des Appeasement. Österreich kann nicht „stolz“ sein, wie Eizenstat am Ende seines Vortrages meinte.  Fehl am Platz sind seine Glückwünsche: „I congratulate you„.

Menschenrechtsanwalt klagte an

Auch Robert Amsterdam wurde nicht eingeladen, zum Symposium des Österreichischen Entschädigungsfonds. Er war der Anwalt von Stephan Templ, den österreichische Gerichte nach einem korrekten Antrag auf Restitution zu einer Gefängnisstrafe verurteilen wollten.

„Ich stellte im Namen meiner Mutter einen gesetzeskonformen Restitutionsantrag, dem ebenso gesetzeskonform entsprochen wurde. Keine Seite brach irgendein Gesetz. Jahre später kriminalisierte der Fonds respektive die ihm unterstellte Schiedsinstanz für Naturalrestitution meinen Antrag“, erklärte Templ.

Tatsächlich war der Antrag von Stephan Templ berechtigt, es handelte sich um die Restitution einer Immobilie, die seiner Familie enteignet wurde. Der international bekannte Menschenrechtsanwalt Amsterdam übernahm die Verteidigung von Templ. Amsterdam verteidigte zuvor beispielsweise auch den russischen Dissidenten Mikhail Borisovich Chodorkowski. Dann verzweifelte er am Zustand der österreichischen Justiz, die Templ tatsächlich ins Gefängnis brachte.

Amsterdam konnte nur noch sein „J´accuse“ verfassen. Er klagte an, die österreichischen Gerichte und Justizbehörden:

An die Repräsentanten der Justiz in Österreich: Ich prangere Sie dafür an, ein Gerichtsurteil hinzunehmen (…) und ein Verfahren, das von ausgedachten Argumenten nur so strotzt.

An den Leiter der Generalprokuratur: Ich prangere Sie dafür an, Ihrer in der Verfassung niedergelegten Pflicht nicht nachgekommen zu sein, bei Vorliegen neuer Beweise Verfahren zu überprüfen oder wieder aufzunehmen.

An den Bundesminister für Justiz: Ich prangere Sie dafür an, Beweise, die Stephan Templs Verurteilung in Zweifel ziehen, bewusst zu ignorieren und jede Möglichkeit zurückzuweisen, ihm eine Überprüfung des Verfahrens zuzugestehen.

An den Bundespräsidenten der Republik Österreich: Ich prangere Sie dafür an, jedes an Sie gerichtete Gnadengesuch mit Gleichgültigkeit abgeschmettert  zu haben.
(Robert Amsterdam: „J´accuse“, in: Der Standard, 26. 9. 2015, veröffentlicht als „Bezahlte Anzeige“)

Beim Symposium über den Entschädigungsfonds hätte auch der Fall Templ besprochen werden müssen. Damit das Urteil der österreichischen Richter revidiert wird.

Symposium

Washingtoner Abkommen und Allgemeiner Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus„.
Diplomatische Akademie Wien, 14. 11. 2022

Links:

Gefängnis statt Gerechtigkeit – Über die Verfolgung des jüdischen Autors Stephan Templ
Tabula Rasa Magazin, 26. 12. 2018
Die Schriften des Autors Stephan Templ können die Republik Österreich Milliarden kosten. Er forderte die ordnungsgemäße Restitution enteigneter Immobilien. Eine willkürliche Gefängnisstrafe sollte seine Reputation beschädigen.
www.tabularasamagazin.de/gefaengnis-statt-gerechtigkeit-ueber-die-verfolgung-des-juedischen-autors-stephan-templ

Es geschah am helllichten Tage: Plünderungen in Wien
Tabula Rasa Magazin, 10. 2. 2019
Der größte Kriminalfall der europäischen Nachkriegszeit kündigt sich an. Der Täter wohnt im Palais. Mit guten Beziehungen zu den österreichischen Behörden. Er prahlt mit naturgemäß hundert Fällen.
www.tabularasamagazin.de/es-geschah-am-helllichten-tage-pluenderungen-in-wien

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Über Johannes Schütz 108 Artikel
Johannes Schütz ist Medienwissenschafter und Publizist. Veröffentlichungen u. a. Tabula Rasa Magazin, The European, Huffington Post, FAZ, Der Standard (Album), Die Presse (Spectrum), Medienfachzeitschrift Extradienst. Projektleiter bei der Konzeption des Community TV Wien, das seit 2005 auf Sendung ist. Projektleiter für ein Twin-City-TV Wien-Bratislava in Kooperation mit dem Institut für Journalistik der Universität Bratislava. War Lehrbeauftragter an der Universitat Wien (Forschungsgebiete: Bibliographie, Recherchetechniken, Medienkompetenz, Community-TV). Schreibt jetzt insbesondere über die Verletzung von Grundrechten. Homepage: www.journalist.tel