Sind Demokratie und Königshaus ein Widerspruch? „Absolut nicht“, sagt Großherzog Henri von Luxemburg im Gespräch mit Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie. Mehr noch: „Wir sollten uns immer bewusst sein, welch Privileg es ist, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben“, so der 68-jährige Erbmonarch, der als solcher seit dem Jahr 2000 Staatsoberhaupt des Großherzogtums Luxemburg ist.
Ihre Königliche Hoheit, vielen Dank für die Einladung nach Luxemburg und dafür, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Was bedeuten Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Demokratie ist die beste Staatsform, welche unsere Gesellschaften bis jetzt kennen. Eine Staatsform, die ihren Ursprung in der Antike, in Griechenland – insbesondere im alten Athen – hat. Im Laufe der Zeit hat sich die Demokratie natürlich weiterentwickelt. Heute stehen alle Menschen als politische Akteure im Mittelpunkt. Dennoch: Nur knapp die Hälfte der Weltbevölkerung genießt das Privileg in einer Demokratie zu leben.
Wir sollten uns immer bewusst sein, welch Privileg es ist, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben. Das insbesondere in Zeiten, in denen autokratische Regime wie Russland Druck auf unsere westlichen Demokratiemodelle ausüben. Wir müssen die Demokratie stets gegen jeglichen Extremismus verteidigen, egal ob von links oder rechts.
Das Großherzogtum Luxemburg ist laut Verfassung eine repräsentative Demokratie in Form einer konstitutionellen Monarchie. Sind Demokratie und Königshaus also kein Widerspruch?
Absolut nicht. Vor einigen hundert Jahren war die Monarchie noch ein autoritäres, manchmal totalitäres System. Heute leben wir in einer konstitutionellen Monarchie, in der sich der Monarch – als Staatsoberhaupt – nicht aktiv in politische Angelegenheiten einmischt. Die politische Verantwortung liegt bei der Regierung, die dem Volk gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Und auch in einer konstitutionellen Monarchie gilt – wie in jeder gesunden Demokratie – das Prinzip der Gewaltenteilung, also die Aufteilung der politischen Macht in Exekutive, Legislative und Judikative, und die damit verbundene gegenseitige Kontrolle.
Natürlich mögen manche argumentieren, dass der Monarch nicht gewählt wird. Das ist richtig, sorgt aber auch für Kontinuität und Stabilität. In Luxemburg haben wir beides. In den letzten 50 Jahren hatten wir nur sechs Premierminister und zwei Monarchen, wobei drei Premierminister fast fünfzig Jahre die Regierung führten. Diese Konstellation bildet das Fundament für eine langfristig positive und vorhersehbare Entwicklung unserer Gesellschaft, sowohl auf politischer wie auch auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene.
In den Augen vieler Briten steht die Monarchie für Stabilität und Gemeinsinn. Ist das in Luxemburg ähnlich? Wo sehen Sie die Zukunft der konstitutionellen Monarchie?
Wir sollten nicht vergleichen, sondern jede konstitutionelle Monarchie in Europa individuell betrachten. In Europa gibt es immerhin zehn Monarchien. Sie alle werden von ihren Bürgerinnen und Bürgern allgemein geschätzt, denn sie vermitteln eine wichtige Botschaft, die lautet: der Monarch dient seinem Land.
Dennoch muss man sich bewusst sein, dass keine Staatsform „perfekt“ ist. Das gilt auch für die konstitutionelle Monarchie. Man kann ruhig darüber diskutieren, inwiefern das politische System eines Landes den einstweiligen Anforderungen gerecht wird. Dazu gehört auch bisweilen darüber zu sprechen, welche Vorteile beziehungsweise Nachteile eine Monarchie gegenüber einer Republik hat.
In einer Demokratie darf vieles gesagt werden – aber eben nicht alles. Wo endet die Meinungsfreiheit? Würden Sie sagen, dass sich die Grenzen des Sagbaren verschieben?
Das ist wahrscheinlich eine – wenn nicht sogar die größte – Herausforderung für unsere Demokratie heute in Europa und insgesamt in den demokratischen Ländern. Meinungsfreiheit war schon immer ein zentraler Pfeiler der Demokratie. Aber im Zeitalter von sozialen Medien nimmt die Verbreitung von „Fake News“ rasant zu und es entsteht eine Situation, in der Informationen nicht immer auf Tatsachen beruhen. Hier sind wir dabei, eine Schwelle zu überschreiten, die große Gefahren für unsere Realitätswahrnehmung birgt.
Ich denke, die Demokratie garantiert uns unsere Freiheiten, aber dem gegenüber haben wir auch Pflichten. Ohne unsere Pflichten zu erfüllen, können wir nicht wirklich frei sein. Die Freiheit endet dort, wo die Pflicht beginnt. Es ist sehr wichtig, dass die Menschen wissen, wo die Grenzen gesetzt sind. Allerdings scheinen sich diese Grenzen ständig zu verschieben und wir müssen uns alle anstrengen, um Wege zu finden, das Problem in den Griff bekommen.
In Luxemburg leben Menschen aus 180 verschiedenen Ländern. Was bedeuten Vielfalt und Pluralismus für die Rolle Luxemburgs in Europa aber auch in der Welt?
Vielfalt spielt eine große Rolle in Luxemburg. Wir sind weltweit eines der Länder mit dem höchsten Anteil an Migranten. Fast 50 Prozent unserer Bevölkerung sind Nicht-Luxemburger – dazu kommen dann noch über 200.000 Pendler, die täglich aus den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Belgien zu uns kommen. Wir sind allen Menschen, die sich entschieden haben, hier zu leben oder zu arbeiten dankbar, denn sie sind ein wesentlicher Bestandteil des Erfolgs unseres Landes.
Natürlich ist Integration außerordentlich wichtig. Dieser Schmelztiegel, welcher unserer Gesellschaft große Vielfalt und Bereicherung verleiht, kann nur funktionieren, wenn er auf den Werten von Demokratie, Toleranz und Solidarität beruht. Werte, die in Luxemburg tief verankert sind. Das ist ein nicht immer einfacher, manchmal langwieriger Weg. Kulturelle und schulische Bildung sind sehr wichtig. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, eine unserer Europäischen Schulen zu besuchen, an der Schüler aus allen 27 EU-Mitgliedstaaten gemeinsam lernen. Die Atmosphäre dort ist wunderbar international. Die Schüler sprechen fließend mehrere Sprachen und die gelebte kulturelle Vielfalt fördert das Verständnis für unterschiedliche Mentalitäten. Luxemburg ist ein fruchtbarer Boden für solches Zusammenleben.
Kulturelle Diversität fördert das Verständnis für andere Mentalitäten und somit die Akzeptanz. Natürlich kann es dazu kommen, dass verschiedene Leute Angst vor Migranten haben. Ich erinnere mich an die Situation während dem Balkankrieg in den 90-er Jahren, als sich plötzlich viele Menschen des ehemaligen Jugoslawiens, wie Kosovo, Bosnien-Herzegowina oder Montenegro – vor allem in der Stadt Wiltz, im Norden Luxemburgs, niederließen. Der Bürgermeister kontaktierte mich und äußerte Bedenken hinsichtlich der mangelnden Akzeptanz der Neuankömmlinge bei den Einheimischen, was vor allem durch Kommunikationsbarrieren zu Spannungen führte.
Es hat sich herausgestellt, dass die Probleme hauptsächlich kultureller Natur waren und an den unterschiedlichen sozialen Gewohnheiten lagen. Die Neuankömmlinge waren es gewohnt, sich im Freien zu treffen, während das soziale Miteinander der Luxemburger eher drinnen stattfindet. Ich ermutigte beide Gruppen zur Interaktion und schlug vor, dass sie sich in Restaurants oder Bars treffen. Durch den Dialog und das gegenseitige Kennenlernen verschwanden allmählich die anfänglichen Ängste und Befürchtungen. Dieses Beispiel zeigt, wie Integration mittels eines konstruktiven Dialoges gelingen kann.
Zum Jahresende haben Sie die Luxemburger zu Zusammenhalt in einer „komplexen Welt“ aufgerufen. Sollten Politiker grundsätzlich mehr Mut zeigen, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen?
Ich glaube, dass Politiker in jedem Land die Verantwortung haben, die Wahrheit zu sagen. Es mag zwar bestimmte Informationen, wie Staatsgeheimnisse, geben, die nicht offengelegt werden dürfen, aber Ehrlichkeit ist das A und O. Auf lange Sicht setzt sich Ehrlichkeit durch. Der Versuch, Informationen zu verbergen, ist zwecklos, insbesondere in einem kleinen Land wie Luxemburg, wo sie weithin und auf natürliche Weise zirkulieren und unweigerlich ans Licht kommen. Deshalb ist es wichtig, offen über grundlegende Entscheidungen zu kommunizieren, die das Land, seine wirtschaftliche und politische Situation und die Reaktion der Bürger auf bestimmte Maßnahmen betreffen.
Wir leben in einer zunehmend komplexen Welt mit verschiedenen Krisen und gesellschaftlichen Veränderungen. Jeder hat seine eigene Meinung, die dem Einfluss der sozialen Medien ausgesetzt ist, was die Meinungsbildung manchmal noch komplizierter macht. Trotz dieser Komplexität ist es wichtig, andere Sichtweisen anzuerkennen und sie in Betracht zu ziehen, auch wenn sie nicht mit unseren eigenen übereinstimmen. Die Akzeptanz unterschiedlicher Meinungen fördert das Verständnis und den Dialog.
Daher ist es für Regierungen, Monarchien und alle Verantwortungsträger unerlässlich, nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgemäß zu kommunizieren.
Leinen los! Ihre Königliche Hoheit, unsere siebte Frage ist immer eine persönliche: Eines Ihrer Hobbies ist das Segeln. Wo segeln Sie – wenn nicht gerade in Luxemburg – am liebsten?
Ich bin früher viel gesegelt. Hier in Luxemburg habe ich mit dem Segeln begonnen, was interessant ist, weil wir im Norden des Landes einen schönen künstlichen See haben. Meine Eltern hatten mir einen „420er“ geschenkt, da war ich siebzehn. Danach bin ich viel in Südfrankreich gesegelt, wo meine Großmutter nach dem Krieg ein Grundstück gekauft hatte. Aber es geht nicht nur um das Segeln, es geht um das Meer. Ich liebe das Meer. Deshalb habe ich auch viel Windsurfen, Kitesurfen und ähnliche Aktivitäten betrieben. Für mich ist das Meer ein Ort der Ruhe. Es ist ein wunderbarer Ort, an dem man von all seinen Problemen abschalten kann.
Zugleich ist das Meer ein Ort, der einem Respekt abverlangt. Denn auch ein Ort der Ruhe kann Risiken bergen, der Wind kann plötzlich stärker werden, die Wellen höher. Das zeigt, wie wichtig es ist, stets den Respekt vor der Natur und dem Meer zu wahren.
Wie Sie bereits erwähnt haben, bin ich auch als Mitglied des Olympischen Komitees tätig. Sport hat in meinem Leben immer eine wichtige Rolle gespielt und ich bin der Überzeugung, dass Sport ein wichtiges Mittel ist, um jungen Menschen einen gesunden Lebensstil zu nahe zu bringen. Ob beim Segeln im Sommer oder beim Skifahren im Winter, Sport spielt für mich und meine Familie eine große Rolle. Es gibt zahlreiche sportliche Aktivitäten, an denen ich auch heute noch gerne teilnehme, darunter Skifahren mit meiner Frau und meinen Kindern.
Vielen Dank für das Interview!
Webseite: www.faces-of-democracy.org
Über die Initiative Gesichter der Demokratie:
Mit über 130 prominenten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft sowie 2 Millionen Unterstützer*innen – darunter Staats- und Regierungschef*innen, Friedensnobelpreisträger*innen, die Chefredakteur*innen führender Leitmedien sowie die Vorstandsvorsitzenden global agierender Konzerne – befindet sich die Initiative Gesichter der Demokratie mittlerweile im siebten Jahr ihres Bestehens.