Seit Jahren tobt hierzulande, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, ein heftiger Streit zwischen Anhängern und Gegnern der ostpreußischen Schriftstellerin Agnes Miegel (1879-1964). Es geht um die Deutungshoheit über ihr literarisches Werk, das, so ihre Gegner, durch die Nähe der Autorin 1933/45 zum nationalsozialistischen Staat entwertet wurde.
Die 1958 geborene Literaturwissenschaftlerin Marianne Kopp, seit 2002 Vorsitzende der 1969 gegründeten „Agnes-Miegel-Gesellschaft“, hat es in dankenswerter Weise unternommen, in einem „biografischen Lesebuch“ die Geschichte dieser Gesellschaft in Einzelbeiträgen vorzustellen. Das lesenswerte Buch bietet eine Fülle von Informationen über die Rezeption ostpreußischer Literatur im Nachkriegsdeutschland am Beispiel Agnes Miegels. Allein die zwischen 2002 und 2020 am Grab in Bad Nenndorf/Niedersachsen von Marianne Kopp gehaltenen Reden zu den Geburts- und Todestagen sind Bausteine zur Rezeptionsgeschichte, zu erwähnen sind ausdrücklich „Die Aufnahme der Salzburger Emigranten in Ostpreußen“ (1732), aus deren Reihen die Autorin mütterlicherseits stammte, und „Willy Brandt besucht Agnes Miegel 1961“.
Neben diesen Gedenkansprachen am Grab sind zwei Kapitel in diesem Buch für die Agnes-Miegel-Rezeption von eminenter Bedeutung: die im Abschnitt „Drama um ein Buch“ dokumentierte Auseinandersetzung um das von Marianne Kopp edierte Werk „Agnes Miegel. Ihr Leben, Denken und Dichten von der Kaiserzeit bis zur NS-Zeit“ (2011) und die auf 51 Seiten diskutierte Position der ostpreußischen Dichterin während der Jahre 1933/45.
Als Marianne Kopp am 6. Juli 2011, dem Vorabend der Pressekonferenz mit dem Ardey-Verlag, in Münster eingetroffen war, erfuhr sie zu ihrer Überraschung, dass die Vorstellung des neuen Agnes-Miegel-Buches abgesagt worden war. Verbunden mit diesem Vertragsbruch war eine von der Stadt Münster inszenierte Kampagne, die Agnes-Miegel-Straße umzubenennen. Mit diesem Buch, dessen vom Verlag einbehaltene Restauflage nach einem Beschluss des Landgerichts Münster vom 11. Mai 2012 der Agnes-Miegel-Gesellschaft übergeben wurde, sollte ein Desiderat behoben werden, nämlich eine „historisch-kritische Auseinandersetzung“ (Paul Leidinger) mit Agnes Miegel und ihrem Werk anzuregen.
An einer Diskussion darüber war die Gegenseite freilich nicht interessiert, ihr war, das merkte man an der Diktion ihrer Pamphlete, nur daran gelegen, die ostpreußische Schriftstellerin „niederzumachen“. Wie unwissenschaftlich dabei der Münsteraner Emeritus in Germanistik Ernst Ribbat, geboren 1939 in Heydekrug/Ostpreußen, in seiner 2013 erschienenen Rezension vorgegangen war, hat Marianne Kopp in einer glänzend argumentierenden Replik aufgezeigt. Für Steffen Stadthaus, der im Sammelband „Fragwürdige Ehrungen“ (2012) eine höchst unwissenschaftliche Abrechnung mit Agnes Miegel geliefert hat, um die Umbenennung der Straße in Münster zu befördern, ist ohnehin alles klar: Für die Behauptung, sie wäre eine „nationalsozialistische Dichterin“ gewesen, sammelte er nur noch fragwürdige Belege!
Dem kritischen Beobachter stellen sich allerdings einige Fragen: Warum ist sie nicht, wie ihr ostpreußischer Landsmann Ernst Wiechert (1887-1950), zu kritischen Einsichten gelangt über den Staat, in dem sie lebte? Er wurde wegen seines Eintretens für den verfolgten Pastor Martin Niemöller am 8. Mai 1938 verhaftet und kam für acht Wochen ins Konzentrationslager Buchenwald, worüber er 1946 das Buch “Der Totenwald“ veröffentlichte. Warum wurde, wenn es ein staatlicher Auftrag war, 1938 ausgerechnet sie gebeten, ein Huldigungsgedicht auf den „Führer“ zu schreiben? Weil man sie vielleicht doch als „eine von uns“ ansah? Warum hat sie in den 19 Jahren ihres Lebens nach 1945 nie kritisch Stellung bezogen zu den Verbrechen des Nationalsozialismus? Fragen über Fragen, die geklärt werden müssen.
Marianne Kopp (Hrsg.): „Mosaiksteine zu Agnes Miegel. Ein biografisches Lesebuch“, Agnes-Miegel-Gesellschaft, Bad Nenndorf 2020, 272 Seiten, 10.00 Euro