Steifer Giovanni und flotte Tosca: Die 2. Winter-Ausgabe der Tiroler Festspiele in Erl dominierten zwei Opern

O ja, der „Don Giovanni“ zieht sich. Mozart wollte es, weil da Ponte es wollte. Und schuf neben ins Ohr gehenden Arien, Duetten und Ensembles viel Parlando. Die Gewissenlosigkeit eines Lüstlings wird anschaulich gemacht an den Umtrieben, die zwischen dem schnellen Mord eines Lüstlings und dessen finaler Höllenfahrt liegen. In Erl, wo Gustav Kuhn zu den 2. Winterfestspielen im neuen Festspielhaus einer „Tosca“ den „Don Giovanni“ vorausschickte, zog sich dessen Deutung der Geschichte einer schnöden maskulinen Unersättlichkeit in Sachen Frauenbegehren nicht nur in die Länge, sondern dehnte sich auch in die Breite.
Kuhn ließ am Pult Langsamkeit vor Tempo gehen und zauberte mit seinem Orchester der Tiroler Festspiele und putzigen Grüppchen der Chorakademie unter Erich Polz schönste Phrasierungen. Jan Hax Halama dehnte das Bühnengeschehen in Cinemascope-Dimension, wozu er allerdings hauchzarte Dekorationen lieferte, die er von einer weißen riesigen Kugel, die von der Decke in einen wandlosen „Käfig“ hing, dominieren ließ. Das hatte den Vorteil, dass sich das bildverwöhnte Publikum, nicht zuletzt an Lenka Radeckys feinen Kostümen, optisch delektierte. Dazu konnte es makellose Streicher und einschmeichelndes Holz aus der Hand des mozartisch gewiegten Maestros genießen. Keine Sekunde hatte es zu rätseln, was da verhandelt wird zwischen schlankem, rankem Jungvolk, aus dessen Ränken und offen geäußerten Gelüsten oder frechen Vorhaltungen wie denen des wunderbar lockeren, verschmitzten Leporello (hinreißend: Yasushi Hirano) sich der „alte Hase“ Don Giovanni bisweilen regelrecht ausgesperrt fühlte. Wie das alles der Dirigent Gustav Kuhn auch noch spielleitungsmäßig hinkriegt, grenzt eh an ein Wunder.
Den großen Lucio Gallo hatte Kuhn für die Titelpartie gewinnen können. Einen Weltstar, der federnd einen gewiegten Schürzenjäger mimt, auch wenn er nicht so ganz den Typ des ruchlosen Verführers mit dämonischen Zügen abgibt. Adel, so sagte sich der stimmlich brillante Bariton, verpflichtet, und so ließ er den Edelmann bei Schritt und Tritt heraushängen, wobei er einem bei den Proben erlittenen Muskelfaserriss zu trotzen hatte, die die körperliche Mobilität merkbar einschränkte.
Warum Hax Halama ausgerechnet im letzten Bild seiner Vorliebe für Frugales widersprach und bunte Fressalien als Henkersmahlzeit auftischen ließ, bedarf ebenso einer Erklärung für den Kuhn`schen Einsatz der zu braven Sabina von Walther für die doch furiengleich erregte Donna Elvira und des wenig Mozartschmelz verbreitenden Ferdinand von Bothmer als Don Ottavio. Bravourös: die Donna Anna der natürlich spielenden, klar und trefflich kolorierenden jungdramatischen Anna Princeva. Sie entschädigte für lediglich Passables im Restensemble, das wieder die Accademia di Montegral stellte.

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Wer auf seinen Todesschuss wartet, achtet nicht mehr auf sein Hemd. Mario Cavaradossi soll es an den Kragen gehen – da darf ihm das blütenweiße Hemd getrost halb aus der Jeans hängen. Als ihm aber seine Geliebte, die Sängerin Floria Tosca, der ihr Widersacher Scarpia eine Scheinhinrichtung für den Lover versprach, die gemeinsame Freiheit in Aussicht stellt, steckt der Angebetete den Hemdzipfel nicht in den Hosenbund – vielleicht, weil für ihn der Tod gewisser ist als Toscas Hoffen. Ein Regie-Einfall der in Erl mit Giacomo Puccinis „Tosca“ debütierenden Tirolerin Angelica Ladurner. Davon hatte sie viele. So viele, dass ihre Regie in dieser zweiten Winter-Opern-Produktion der Tiroler Festspiele Erl zum respektablen Erfolg verhalf.

Denn gesungen wurde, mit Verlaub, nur mittelprächtig. Rossana Potenza mutete sich – obwohl bereits in nämlicher Rolle beim Tschaikowsky Festival in Izhevsk und in Gustav Kuhns gewagter Hall-Opera Produktion von 2012 erprobt – als Tosca zu viel zu. Ihre stimmlichen Mittel sind noch nicht so weittragend, dass sie, etwa das berühmte „Vissi darte“, kaum einzufärben wusste und lieber auf Forte-Nummer Sicher ging. Im Spiel gefiel sie ausnehmend gut, worin ihr Bruno Ribeiro als Partner durchaus folgte. Der haute mit Kraft und Starre auf die Tenor-Pauke, ohne die geringste Neigung zu gelegentlicher Weichspülung zu zeigen. Eine gute Figur allein macht halt noch keinen Opernhelden. Giulio Boschetti dagegen bringt es auf ideale Weise in Einklang: einen abgefeimten Bösewichts-Polizeipräsidenten zu geben und über einen prachtvollen Bariton zu verfügen. Die Schluss-Bravos des Publikums waren ihm sicher.

Die Minirolle des Hirten wertete die Regisseurin glückvoll auf: Sie ließ Tochter Maria Ladurner von Lenka Radecky in blassblaues Gewebe hüllen und aussehen wie einen Engel. Todesengel? Schutzengel? Beides zugleich. Die Gestalt sieht dem Elend, in das das Liebespaar hineintreibt, zuerst geduldig zu, ein Eingreifen ist nicht seine Sache. Als Tosca flieht, streckt er ihr, aus dem Eck ganz oben rechts, die rettenden Hände entgegen. Die Schluss-Szene wurde, auch Jan Hax Halamas ebenso ästhetischer wie eindrücklich steiler, gezackter, rein weißer Bühnen-Architektur, zur Erlösung – für Tosca vor dem Todessprung von der Engelsburg in den Tiber, für das Publikum für eine ausgiebige Nacharbeit dieses ambitionierten Erler Opernabends.

Gustav Kuhns Anteil daran ist nicht gering. Er erwies sich halt nicht als Puccini-Routinier, verschenkte manche schillernde Amivalenz, die des Meisters aus Lucca, wie schon Britten kritisierte, „billige und gehaltlose“ Musik angreifbar macht und kam dabei nie so recht ins Schwärmen mit seinem Orchester der Tiroler Festspiele, dem Tölzer Knabenchor, der Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl und der sie schön ergänzenden Capella Minsk. – Im Sommer `14 ist Erl wieder voller Wagner. Und da ist dann auch Kuhn wieder ganz in seinem Element.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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