Der große konservative katholische Philosoph ist im Alter von 91 Jahren in seinem Haus in Stuttgart gestorben. Geprägt war Spaemann tief vom christlichen Glauben, den er immer wieder in den Mittelpunkt seiner Auseinandersetzungen mit dem zeitgenössischen Diskurs stellte. Für Aufsehen sorgte vor einiger Zeit sein Gottesbeweis aus dem Futur. Wir erinnern an den großen Denker mit einer Rezension.
Robert Spaemann, der große Wertkonservative, der sich nicht nur gegen die moderne verbrauchende Embryonenforschung, sondern auch gegen jede Form von Euthanasie aussprach, wartete im Herbst 2006 mit einem neuen Gottesbeweis, dem wohlgemerkt letzten Gottesbeweis, auf. Seine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Existenz Gottes war dabei auch gegen die anmaßende Vernunft der Naturwissenschaften gerichtet, die glaubt, ohne Transzendenzbezug und mittels der Naturgesetze, die Welt in ihrem So- und Dasein vernünftig zu erklären. Dass sie dabei schließlich selbst in Erklärungsrot gerät, weil sich mit dem ständig anwachsenden Wissen auch das Nichtwissen vergrößert, zeigen mittlerweile die grotesken Spekulationen auf dem Gebiet des Szientismus, wenn Biologen von Fulguration und Emergenz reden, um das Unerklärbare durch Worte zu beschwören; Spaemann sprach in diesem Zusammenhang von den „Opfern des Szientismus“.
Der Versuch, ja, die kleine Sensation einen neuen Gottesbeweis im Zeitalter der analytischen Philosophie und Hirnforschung vorzulegen, der Durchschlagskraft bekundet, war nicht nur im Hinblick auf Kant und letztendlich Nietzsches endgültiger Absage an Gott, die bekanntlich in seiner Gott-ist-tot-Philosophie kulminiert, gewagt und wie Nietzsche sagen würde, unzeitgemäß. Doch Spaemann hielt, wie er in seinem 2007 erschienenen Buch „Das unsterbliche Gerücht, Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne“ unterstrich, an seinem Argument fest: Wenn Gott nicht ist, gibt es auch keine Wahrheit. Nun aber steht er selbst in der Pflicht, diesen Gottesbeweis zu führen, eine Begründungspflicht, die er in früheren Publikationen immer an die Gottesleugner abgegeben hat, die ihrerseits die Nicht-Existenz Gottes beweisen sollten. Den größten Dolchstich abendländischer Philosophiegeschichte versetzte den traditionellen Gottesbeweisen der Königsberger Denker Immanuel Kant mit seiner kritischen Philosophie, der zwar den moralischen Gottesbeweis übrig läßt, jedoch um den Preis, das Göttliche nur als Postulat der praktischen Vernunft, nur als ein Als-Ob zuzulassen.
In der nachkantischen Moderne war Spaemann jedoch nicht der einzige, der sich aus Sicht der Philosophie mit der Gottesfrage auseinandersetzte. Bereits Hans Jonas mit seinem „Der Gottesbegriff nach Auschwitz“ und Wolfgang Cramer, der im Anschluß an die Spätphilosophie Fichtes seinen Aufsatz „Das Absolute“ im Handbuch philosophischer Grundbegriffe vorlegte, stellten sich die Frage nach dem Absoluten. Jonas fragte vor dem Hintergrund der Schrecken von Auschwitz danach, ob es Gott überhaupt gibt und wie dieser letztendlich zu denken sei, was in einem deistischen Gottesbegriff kulminierte; Cramer hingegen untersuchte das Verhältnis zwischen dem Absoluten und dem Kontingenten und leitete das Kontingente aus einer Selbstdifferenzierung des absoluten Prinzips ab. Der bekannte Ausspruch Fichtes: „Was für eine Philosophie man wähle, hänge davon ab, was für ein Mensch man sei“, gilt auch für Spaemann, dessen Denkansatz der abendländisch-christlichen Tradition maßgeblich verpflichtet ist.
Dieser Hintergrund ist mitzubedenken, wenn man sein Gottesargument verstehen will. Entscheidend für Spaemanns Gottesbeweis ist die kleine, aber gravierende Anmerkung, daß sein Argument nur für diejenigen Sinn macht, die auch an Gott glauben; für all jene, für die die Sinnfrage anderswo verortet ist, bleibt dieser Beweis sinnlos. Damit hat sein Argument auch eine eingeschränkte Gültigkeit. Wer sich für die christliche Theologie interessiert, entdeckt in Spaemanns Text viele ungenannte Verweise auf die abendländische Philosophie – auf Platon, auf den ausgereiften und in einer Henologie kulminierenden Neuplatonismus Plotins, auf die Traktate von Pseudo-Dionysios Areopagita, die in einer negativen Theologie gründen. Auch Spaemanns Argument von der Existenz Gottes ist ganz einer mystischen oder negativen Theologie verpflichtet, die aber auch die andere Seite beleuchtet, die positive oder affirmative Theologie, das Wie der göttlichen Mitteilung. Ohne die Annahme, eben das Gerücht Gottes, daß Gott in der endlichen Welt erscheint, daß das Ich an der göttlichen Ordnung also Anteil hat, ist der kleine Text überhaupt nicht zu verstehen.
Nur wenn man ein Interesse an jenen Spekulationen hat, ist er gewinnbringend. Die Spur, auf die sich Spaemann 2006 begibt, ist alt. Es ist die in allen Jahrhunderten vieldiskutierte Wahrheitsfrage, der die Unterscheidung von Sein und Schein zugrunde liegt, und für die Platons Metapher vom Höhlengleichnis steht. Aus dem Licht (der Idee des Guten Platons), das in die Höhle fällt und von einer anderen Wahrheit kündigt, wurde dann in der christlichen Theologie jener omnipräsente und omnipotente Gott, dessen Existenz für Spaemann nicht bezweifelt wird. Aber auch für ihn stellt sich aus den Erfahrungen der Moderne heraus die Frage: Wie ist dieser Gott zu denken? Gott an sich – und das bekundet die Rede vom Geheimnis – ist unerkennbar, ist ein Mysterium des Glaubens, was Spaemann ganz im Sinne der apophatischen Theologie bekennt, die deutliche Bezüge zu Gregor von Nyssa aufweist. Wie vergegenwärtigt sich das Ich aber dann den Gottgedanken? Mittels der instrumentalisierenden und allein durch die moralisch-sittliche Vernunft ist dies, wie Spaemann hervorhebt, nicht möglich, selbst wenn das Göttliche in der guten Tat des Menschen erscheint, sich als Gewissen und damit als Spur Gottes, das auf seine Existenz hindeutet, ausspricht. „Was glaubt also der, der an Gott glaubt? Er glaubt, so sage ich, an eine fundamentale Rationalität.“ Das höchste Prinzip dessen, was geglaubt werden kann, ist für Spaemann Gott als die Einheit von Sein und Sinn. Denn: „Wer an Gott glaubt, glaubt, dass die beiden Unbedingtheiten identisch sind: die Unbedingtheit dessen, was ist, wie es ist, die Unbedingtheit des Faktischen und die Unbedingtheit des Guten. […] Was uns verborgen ist, obwohl es vernünftig ist, es zu glauben, das ist die Einheit der beiden Unbedingtheiten, die Einheit von Macht und Sinn, von Allmacht und Liebe. […] Der Glaube an die Macht des Guten ist es, die es uns ermöglicht, uns handelnd auf die Realität einzulassen, ohne befürchten zu müssen, dass in einer absurden Welt auch jede gute Absicht zur Absurdität verurteilt ist.“
Spaemann hält nachdrücklich daran fest, daß die Vernunft das Instrument des Menschen zur Gottessuche ist, denn sie ist das Vermögen, das einen Transzendenzbezug ermöglicht bzw. herstellen kann, was auf ein Begreifen des Unbegreiflichen hinausläuft, ein Gedanke, der bereits Fichtes späten Wissenschaftslehren zugrunde liegt. Mit den Worten Spaemanns: „Glauben, dass Gott ist, heißt, dass er nicht unsere Idee ist, sondern dass wir seine Idee sind.“ Dieser Erkenntnisschluß setzt die Gottesebenbildlichkeit des Menschen voraus. Seine Wahrheitsfähigkeit, die den Menschen als personales Wesen auszeichnet, hat also ihren Grund in seinem Bildsein, in einer Schöpfung an deren Ende das vernünftige Geschöpf steht. Mit dieser Voraussetzung, daß eine „Hinterwelt“ existiert, nimmt Spaemann Position gegenüber Nietzsche, der nicht nur eine Hinterwelt leugnet, sondern auch die Wahrheitsfrage samt ihrem Geltungsanspruch in Frage stellt. Für Nietzsche ist die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft an den Begriff Gottes, an Gott selbst geknüpft, dessen Tod er im „Also sprach Zarathustra“ aber verkündigt hatte.
Für Nietzsche gibt es keine Intelligibilität, allein das Absurde regiert die Welt, was keineswegs angezweifelt werden kann. Lediglich die Frage, mit welcher Lüge man am besten lebt, gilt es zu beantworten. Wie muß also ein Gottesbeweis, und gar ein letzter, beschaffen sein, daß er Nietzsches Vorwurf, daß es keine Intelligibilität der Welt gibt, standhält? Der ontologische, der teleologische, kosmologische, der moralische oder ethikotheologische, der axiologische oder eudämologische kommen dafür nicht in Frage. Spaemanns Beweis, sein Argument, ist grammatikalischer Natur. Der „Gottesbeweis aus der Grammatik“, als Futur exactum, als zweites Futur, ist denknotwendig an die Gegenwart, an das Präsens gekoppelt, denn, von etwas zu sagen, daß es jetzt sei, ist gleichbedeutend mit der Aussage, daß es in Zukunft gewesen ist, was darauf hinausläuft, daß alle Wahrheit ewig ist. Was in der Gegenwart wirklich und wahr ist, das gegenwärtig Wirkliche als das künftig Vergangene, läßt sich auch in Zukunft nicht leugnen. „Das Gegenwärtige bleibt als Vergangenheit des künftig Gegenwärtigen immer wirklich.“ Im Erinnertwerden zeigt sich letztendlich die Spur des ehemals Wirklichen. Spuren verwischen, manchmal gibt es nur die Spur der Spur, wie einst Derrida bemerkte, bis endlich alle Spuren verschwinden, die Erinnerung löscht aus. Was aber bleibt? Spaemanns Antwort lautet: „Da zur Vergangenheit immer eine Gegenwart gehört, deren Vergangenheit sie ist, müßten wir also sagen: Mit der bewussten Gegenwart – und Gegenwart ist immer nur als bewusste Gegenwart zu verstehen – verschwindet auch die Vergangenheit, und das Futurum exactum verliert seinen Sinn. Aber genau dies können wir nicht denken. […] Wenn gegenwärtige Wirklichkeit einmal nicht mehr vergessen sein wird, dann ist sie gar nicht wirklich. Wer das Futurum exactum beseitigt, beseitigt das Präsens. Aber noch einmal: Von welcher Art ist diese Wirklichkeit des Vergangenen, das ewige Wahrsein jeder Wahrheit?
Die einzige Antwort kann lauten: Wir müssen ein Bewusstsein denken, in dem alles, was geschieht, aufgehoben ist, ein absolutes Bewusstsein. […] Wenn es Wirklichkeit gibt, dann ist das Futurum exactum unausweichlich und mit ihm das Postulat des wirklichen Gottes.“ Der geneigte Leser ist zuerst tief beeindruckt, doch dann melden sich Zweifel. Liegt hier denn nicht auch eine petitio principii vor? Wird hier – vermittelt durch die Frage nach der Wahrheit – letztendlich der allwissende Gott als absolutes Bewußtsein nicht doch schon vorausgesetzt? Warum bedarf es aber eines allwissenden Gottes, wenn es keinen Menschen mehr gibt, und was soll Gott mit seinem Wissen von der Welt, wenn diese schon längst verschwunden ist? Die Fragen bleiben. Sie bleiben auch dann, wenn man wie Spaemann davon ausgeht, daß der Glaube an die Vernunft, an ihre Wahrheitsfähigkeit nicht zu hinterfragen ist. Hans Jonas’ Antwort auf die Frage nach Gott scheint plausibler. In Anbetracht der Tatsache des unendlichen Leides in der Welt kann an der Allmacht Gottes nicht festgehalten werden. Gott hat sich seiner Allmächtigkeit entkleidet, ist selbst zum leidenden geworden; Jonas’ Gott ist aus der Nähe in die Gottesferne gerückt. Zu beweisen, daß es ihn gibt, ist nicht lohnenswert, nur zu fragen, wie man ihn denken kann, ist sinnvoll. Diese Frage stellt sich der kritischen Vernunft um so mehr.
Robert Spaemann, Der letzte Gottesbeweis, Mit einer Einführung in die großen Gottesbeweise und einem Kommentar zum Gottesbeweis Robert Spaemanns von Rolf Schönberger, Pattloch-Verlag 2007, 127 Seiten, ISBN: 978-3-629-02178-6, Preis: 12,95 Euro