Ernest Hemingway galt als der Gigant im Literaturbetrieb des 20. Jahrhunderts, kaum ein anderer Literat wurde derart als Popstar verehrt, kaum ein anderer konnte sich besser inszenieren, kaum ein anderer spielte mit den Dämonen seiner Existenz, setzte diese in Szene. Es war der Kampf an den Rändern des Lebens, das Aus-Messers-Schneide stehen, das ihn zu einem Abenteurer und Grenzgänger werden ließ und woraus er das Elixier seines Lebens schöpfte. Am 21. Juli 1899 erblickte der spätere leidenschaftliche Exzentriker, der das Leben und den Tod gleichermaßen als Feste feierte, in Oak Michigan, Illinois, das Licht der Welt. Als Boxer, Großwildjäger und Speerfischer hatte er die Welt großspurig vermessen, immer auf der Suche nach dem letzten Kick. Als Chirurg der Sprache, als authentischer Chronist, suchte er nach dem adäquaten Wort als dem sprachlich situativem Gedächtnis. Ob in Italien, Toronto, Kanada, Paris, Key West und später auf Kuba, ob auf Safaris in Kenia und Tansania, Hemingway, der Nobelpreisträger und widersprüchliche Exzentriker, war stets an den Brennpunkten der Zeit, keiner der aus dem Elfenbeinturm heraus Sprache konstruierte, sondern diese im Augenblick erschuf. Seine exzessiven Leidenschaften zelebrierte er in all ihren Höhen und Abgründen. Leben und Töten, Lieben und Kämpfen waren die Maximen einer Existenz, der es nicht um Graustufen, sondern um das Entweder-Oder ging. Mit seiner klaren, von allem Ballast gereinigten Sprache, avancierte er zum Vorbild für eine ganze nachfolgende Genration von Schriftstellern, der er das Rüstzeug für ihr literarisches Schaffen gab. Ernest Hemingway, der Mann, der dem Tod viele Male in die Augen blickte, der als Kriegsberichterstatter aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie dem Spanischen Bürgerkrieg, aus Deutschland und von der italienischen Front berichtete, suchte nicht nur das Abenteuer, sondern war buchstäblich von einer Todessehnsucht getrieben.
Vom Tod fasziniert
Der Tod faszinierte ihn mehr als Leben – und dennoch hatte er einen unverstellten Blick für die Vitalität, Hemingway hatte Bergsons „elan vital“ und Nietzsches unbändigen Willen zur Macht verinnerlicht. Der Titan, Weiberheld, Ritter der Meere und Stierkampfarenen, der leidenschaftlichen Großwildjäger und Dandy, Barbesucher und Trinker, wurde nicht müde, sich aus dem Widerstreit seiner Existenz heraus, sein Sein qualitativ-quantitativ immer wieder zu erhöhen. Die ewige Wiederkehr des Gleichen verwandelte er in pure Vitalität, in Dynamit. Es war die kämpferische Natur des Machos, Draufgängers, Weltenbummlers und Kosmopoliten, die ihm buchstäblich in die Gene geschrieben war. Er ist es gewesen, der gerade aus grotesken, wilden und bizarren Lebenssituationen die Kraft schlug, gegen das Absurde, die Wirrnisse, Unsinnigkeiten und Erschwernisse, die das Leben pflastern, den Mut des Neubeginns zu stellen und über den Status quo den Neuanfang zu wagen. Hemingway, der für die einen das Enfant terrible des Literaturbetriebes, der maßlose Wüterich aus Chicago, gewesen ist, für die anderen hingegen der glanzvolle Erzähler, der die Seelenlandschaft für viele wunderbar zeichnete und aus seinen Protagnisten den Kampfesgeist in existentieller Überhöhung und mit majestätischer Kraft herauskitzelte, wollte jedoch auch den Tod entmystifizieren, um der menschlichen Existenz ein Hauch von Ewigkeit zu schenken.
Kampf gegen das Nichts
Bei allen Absurditäten des In-die-Welt-Geworfenseins galt es ihm gegen das Nichts anzuschreiben, diesem unendlichen Abgrund, der zwangläufig in der Unvermeidlichkeit des Todes endet, die Spur der Existenz entgegenzusetzen. Wunderbar nachgezeichnet in seine Novelle „Der alte Mann und das Meer“, wofür er 1953 den Pulitzer-Preis erhielt, 1954 kam der Nobelpreis hinzu. Dort zeigt sich: Man muss kämpfen bis zum Schluss, selbst wenn das Scheitern die bittere Wahrheit bleibt. Ein Mensch, so die vitale Diktion des Autors, kann scheitern, wird aber nicht besiegt. Die Willenskraft lässt sich nicht einbremsen, die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen nicht aufheben. Santiago, der Fischer, der einen riesigen Marlin fängt und ihn an die Haie verliert, kommt nicht als völlig Gescheiterter in den Hafen zurück, sondern als einer, der zwar äußerlich als Verlorener, als Versager, erscheint, aber innerlich stark geblieben ist. „A man can be destroyed but not defeated.“ Solange sich ein Mensch nicht aufgibt, gleich wie viele Tiefschläge er erlitten hat, vermag er nicht besiegt zu werden. Gerade im Verlust offenbart sich so die Würde, im Scheitern der Neuanfang. In „Der alte Mann und das Meer“ singt Hemingway ein wunderbares Loblied auf das Individuum.
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