Interview mit Markus Ferber: „Europa fußt im Wesentlichen auf dem christlichen Menschenbild“

Europäisches Parlament in Brüssel, Foto: Dr. Dr. Stefan Groß

Im Interview mit dem Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Markus Ferber, sprachen wir über den Lebensschutz, über die christlichen Werte Europas und welchen Mehrwert die Kirche gegenüber dem Staat hat.

Frankreich hat die „Freiheit zur Abtreibung“ in die Verfassung aufgenommen. Das Europa-Parlament wird voraussichtlich in nächster Zeit über die Annahme der aktuellen Fassung der SoHO-Regelung abstimmen, wonach Embryonen auf dieselbe Stufe wie Blutplasma oder Gewebe gestellt werden. Was bedeutet das für den menschlichen Lebensschutz und für das christliche Menschenbild, für das ja auch die CSU eintritt?

Lebensschutz ist kein nettes Gimmick. Es ist auch nicht nur ein religiöses Gebot, sondern auch ein Gebot unserer Verfassung und unseres Wertekanons – das schließt auch das ungeborene Leben ein. Deswegen muss man sehr genau aufpassen, dass auch das ungeborene Leben zu jedem Zeitpunkt in seiner Würde vollumfänglich geschützt wird. Die „Freiheit zur Abtreibung“, wie sie in Frankreich propagiert wird, ist in dem Kontext sehr kritisch zu sehen.

Die neuen Regeln für den Umgang mit Substanzen menschlichen Ursprungs haben vor allem zum Ziel klare Umgangsregeln und hohe Schutzstandards festzuschreiben. Deswegen sehe ich kein grundsätzliches Problem, wenngleich ich mir gewünscht hätte, dass die Definition des Begriffs „Substanz menschlichen Ursprungs“ etwas differenzierter ausfällt.

Das Europäische Parlament sprach sich im April 2024 für die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Grundrechte-Charta aus. Eine Mehrheit von 336 Abgeordneten stimmte für eine entsprechende Resolution, 163 stimmten dagegen und 39 enthielten sich. Sie haben dagegen votiert. Warum?

Ich habe ein grundsätzliches Zugangsproblem mit der Idee eines Grundrechts auf Abtreibung, da es einer Aufgabe des Gedankens des Lebensschutzes gleichkommt und an ein sehr komplexes Thema viel zu undifferenziert herangeht. Darüber hinaus sehe ich im europäischen Recht auch schlichtweg keine Regelungskompetenz für ein etwaiges Recht auf Abtreibung. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips handelt es sich hier eindeutig um ein Thema, das in der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten verbleiben sollte und für das es keine europäische Regel braucht. Die Mehrheit des Parlaments war hier meines Erachtens auf einem Irrweg unterwegs. Das Thema subsidiär anzugehen und es damit den Mitgliedstaaten zu erlauben, die jeweils eigene Geschichte und das eigene Wertefundament anzulegen, hat sich in der Vergangenheit eigentlich gut bewährt. Ich sehe keinen Grund dafür, dass wir nun die französische Lösung zum Standardfall für Europa machen müssen.

Sie betonen: „Das Haus Europa“ habe „Renovierungsbedarf“. Sind es die christlichen Werte, die in einer pluralistisch-säkularisierten Gesellschaft auf dem Spiel stehen? Und wo spiegeln sich im Europäischen Parlament, immerhin leben fast 540 Millionen Christen in Europa, d.h. fast 75 Prozent der Europäer sind Christen, die Werte des Christentums?

Europa ist an allererster Stelle eine Wertegemeinschaft und dieses Wertegerüst fußt im Wesentlichen auf dem christlichen Menschenbild. Dazu zählen für mich Werte wie Eigenverantwortung und Solidarität, Verantwortung für die Zukunft und künftige Generationen, Chancengerechtigkeit und Subsidiarität. Ich hoffe doch, dass diese Werte im Grundsatz niemand in Zweifel zieht, denn sie bereiten eben auch die Basis für unser Zusammenleben. Es ist aber nicht in jedem Fall einfach, aus einem soliden Wertefundament eine klare politische Position abzuleiten nicht zuletzt dann, wenn einige der genannten Werte beizeiten auch im Widerspruch zueinander stehen können. Das lädt mitunter zur Beliebigkeit ein. Ich würde mir wünschen, dass die nächste Europäische Kommission das gemeinsame Wertefundament wieder stärker betont und daraus dann auch konkrete politische Initiativen ableitet. Denn eines ist klar: einen klaren moralischen Kompass zu haben, hat noch nie geschadet.

Wer eint Europa, wenn das Christentum auf dem Rückzug ist, sowohl nach innen als auch nach außen? Kann es in seiner gegenwärtigen Verfassung noch als kulturbestimmende Kraft fungieren und wie könnte man es – flankiert durch christliche Parteien – neu beleben?

Ich glaube schon, dass es für das christliche Wertegerüst immer noch einen gewissen Grundkonsens in Europa gibt und das ist auch gut so. Klar ist aber natürlich auch, dass sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr säkularisiert hat. Auch wenn das Christentum in seiner klarsten, religiösen Ausprägung nicht mehr so präsent ist, wie es früher einmal der Fall war, so sollte das christliche Wertegerüst doch Bestand haben. Es ist in einer immer komplexer werdenden Welt nämlich auch ein klarer Kompass für die Menschen und die Politik. Dieses Wertegerüst muss man in der politischen Debatte auch wieder explizit machen auch auf die Gefahr hin, dass das vielleicht zunächst etwas altbacken erscheinen mag. Das ist natürlich auch die Aufgabe christlicher Parteien.

Worin sehen Sie den Mehrwert der Kirche gegenüber dem Staat?

Das Verhältnis von Kirche und Staat ist seit jeher ein ausgesprochen komplexes. Auf der einen Seite haben wir eine klar geregelte Trennung von Kirche und Staat, auf der anderen Seite schützt die Religionsfreiheit die öffentlichen Wirkungsmöglichkeiten aller Religionsgemeinschaften und damit auch der Kirche. Die Kirche kann und muss von diesen Wirkungsmöglichkeiten Gebrauch machen und sollte sich dort, wo es angemessen ist, auch in die politische Debatte einschalten gern auch mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger. Darüber hinaus nimmt die Kirche eine Reihe von Aufgaben in der Gesellschaft war, die ansonsten dem Staat zufallen würden, insbesondere im sozialen Bereich. Man denke etwa an die vielen Kindergärten oder Altenheime in christlicher Trägerschaft. Und natürlich ist die Kirche immer auch ein Ort der Gemeinschaft und des Zusammenkommens, was gerade in einer immer individualistischeren Gesellschaft ein wichtiger Aspekt ist.

Fragen: Stefan Groß-Lobkowicz

Markus Ferber, MdEP, Quelle: https://www.markus-ferber.de/presse/pressebilder

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".