Selbstoptimierung, Selfie-Wahn und Happenings – die westliche Spaßgesellschaft kennt nur eine Richtung – Glück um jeden Preis. Eine regelrechte Glücks- und Selbstsucht scheint ausgebrochen. Und diese Selbstinszenierung etabliert sich auf platten Netzwerken als eine Unkultur des Belanglosen. Was zu vergessen droht, ist, dass es mit der Welt nicht besser steht. Zwar sind die stählernen Kolosse faschistischer und kommunistischer Ideologie verschwunden, doch Ungerechtigkeit, Intoleranz und Kriege geblieben. Alles, was dem „Selbstischen“, wie es Goethe nannte, entgegensteht, wird wegzappt, wenn die Spannungskurve der Negativitäten überschritten ist. „The Biggest Loser“ oder „Germany’s Next Topmodel“ erweisen sich als die neuen Seelenheiler. Und so gehört das Scheitern-Können nicht mehr zum Bewusstsein des Erfolgsmenschen, der nur auf der Überholspur eilig seine Gewinne kassiert.
Das Absurde, von dem der französische Philosoph Albert Camus sprach, droht in Zeiten von Handyanbetung und iPad-Seligkeit in die Vergessenheit zu kippen. Denn im Virtuellen, als neuer Unendlichkeit gedacht, wird die Endlichkeit gestrichen, die Sterblichkeit eher als Ballast als ein Sein-zum-Tode verstanden. Und so manifestiert sich die Ego-Gesellschaft als neuer Mensch und weicht im Virtuellen selbst den Tod mit auf.
Die neuen Oberflächen sind Transhumanismus, Künstliche Intelligenz, Kryonik und Big Data. Und die neuen Reproduktionstechnologien sind drauf und dran, die Differenz zwischen Welt und Ich aufzulösen und eine Kontinuität zu erzeugen, die auf ein vermeintliches neues Glück hinausläuft, auf eine Welt ohne Brüche und Diskontinuitäten. Die Ambivalenz von Sinnhaftigkeit und Glück samt der Erfahrung der Sinnlosigkeit wie sie Camus im Blick hatte, verliert ihren Boden. Per Mausklick ins Glück lautet die Devise.
Dagegen scheint Camus‘ Philosophie des Absurden die richtige Weltanschauung für fleißige und tapfere Menschen sein, die von der Vergeblichkeit all ihrer Anstrengungen überzeugt sind, und die dennoch ihre Würde behalten und in aussichtsloser Lage arbeiten, kämpfen und eben deshalb groß und vor sich selbst und den anderen gerechtfertigt sind. Wahres Glück ist für den gebürtigen Algerier nur im existentiellen Kampf zwischen Sinnlosigkeit und Sinnsuche zu finden. Camus ist es, der den Gedemütigten und Entrechteten eine Stimme verleiht, einen Humanismus ohne rettenden Anker zugleich, der ihnen aber im Angesicht ihres unwürdigen Schicksals, in ihrer Endlichkeit und Absurdität Unendlichkeit und Ewigkeit verschafft.
Denn zeigt sich wahre Größe nicht im Scheitern und dennoch Standhalten, im Gedemütigtwerden und dennoch Würdigsein? Von Homers „Ilias“ bis hin zu John Waynes „Alamo“ – die gewaltigsten Heldenepen sind Epen des Untergangs. So degradieren die Feuer des versinkenden Trojas die griechischen Sieger zu zuckenden Schatten. Es waren nicht die siegreichen Griechen, sondern die geschlagenen und dem Tode überlieferten Trojaner, die im Scheitern ihre existentielle Würde dokumentierten. Nicht die Glücksritter, die „Selbstischen“ werden letztendlich zu wahrer Seligkeit kommen, sondern nur jene, die sich der absurden Welt mutig im Kampf stellen. Gerade in Zeiten, wo das Absurde in Gestalt von Flüchtlingskrise, Hungersnöten, Pandemien und Kriegen regiert, muss der Mensch re-agieren, den Riss einkalkulieren. All diesem Leid, so würde Camus sagen, kann man nicht gleichgültig begegnen, sondern die „Auflehnung stellt die Welt in jeder Sekunde in Frage“, denn der absurde Mensch ist das Gegenteil des Versöhnten. „Der absurde Mensch kann alles nur ausschöpfen und sich selbst erschöpfen. Das Absurde ist seine äußerste Anspannung, an der er beständig mit einer unerhörten Anstrengung festhält; denn er weiß: in diesem Bewusstsein und in dieser Auflehnung bezeugt er Tag für Tag eine einzige Wahrheit, die Herausforderung“. Dies ist es, was wir von Camus auch heute noch lernen können.