Erich Kästner zum 50 Todestag: „Lasst uns werden wie die Kinder“

Erich kästner, Bronzeplastik, Albertplatz, Quelle: erge, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung, Kein Bildnachweis nötig

Der gebürtige Dresdner Erich Kästner, der vor 50 Jahren am 29. Juli, starb, war ein Allrounder – Schriftsteller, Lyriker, Drehbuchautor, Kabarettdichter und ein bekennend-politischer Mensch. Wie damals kaum ein anderer hatte er die zwei Facetten des Lebens im Auge, die kindlich-ungetrübte, unverstellt lebendig-helle Welt und die der Erwachsenen, die „ihre Kindheit“ wie einen alten Hut“ ablegen, diese „wie eine Telefonnummer“ vergessen, „die nicht mehr gilt“.

„Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.“

Die Glückseligkeit der Kindheit zu bewahren, war eine Maxime eines Autors, der durch starke mütterliche Bindungen geprägt, das Leben eines Steppenwolfes einerseits und eines Partylöwen andererseits feierte. „Dass wir wieder werden wie Kinder“ bleibt für Kästner zwar eine „unerfüllbare Forderung“, aber, so gibt er zu erkennen, „wir können zu verhüten versuchen, dass die Kinder so werden wie wir“. Seine Affinität zur unverstellten Kinderwelt hatte Kästner weltweiten Ruhm eingebracht, ihm, der statt Lehrer lieber Schriftsteller geworden ist, sich aber zugleich als „verhinderten Lehrer“ sah, den die pädagogische Absicht beflügelte, die Welt in und mit diesen Augen zu sehen. Mit „Emil und die Detektive“ (1929), „Pünktchen und Anton“ (1931), „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) und „Das doppelte Lottchen“ (1949) erschuf er Weltliteratur, die nicht nur auf die Kinderwelt fixiert bleibt, er beschreibt die Abenteuer des Lebens, die jede Zeit übersteigen und sehnsüchtig in die Unbefangenheit, den Wagemut und die Ehrlichkeit des Kindseins zurückblicken. „Lasst Euch die Kindheit nicht austreiben“, wird seine Lebensmaxime – und fast mahnend klingen seine Worte, wenn er schreibt: „Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.“

Kästner gibt den Kindern die Unschuld des Werdens zurück

Erich Kästner war es, der den Kindern eine Stimme in einer Zeit gab, in der sie keine hatten. Er nahm sie in ihrer Autonomie ernst, feierte sie als freie Subjekte, die – durch den Zusammenhalt untereinander gestärkt – sich zu gefestigten und moralischen Menschen erziehen. Er gibt ihnen die Unschuld des Werdens zurück, funktionalisiert sie nicht zu kleinen Erwachsenen, die gesellschaftlich oder partnerschaftlich vereinnahmt werden, sondern sich in ihrem Hier- und So-Sein entfalten. Kästners Stil der Neuen Sachlichkeit – losgelöst von jeder Tradition – ist es, der die Kindheit unverstellt, zeitgemäß und realistisch darstellt. So ergeben sich seine Charaktere nie völlig der Erwachsenenwelt, sondern werden unter dem Einfluss der Großstadt zu eigenen Lehrmeistern, zu rechtschaffenden Menschen. Jenseits der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, über alle sozialen Unterschiede hinweg, entwickeln sich Freundschaften, verbinden sich die unterschiedlichen Milieus, ohne den Zusammenhalt zu schwächen. Ob Bürgertum- oder Proletarierkinder – was in der Erwachsenenwelt damals kaum gelang, Kästners Protagonisten schafften es.

Fast 100 Jahre vor dem Erscheinen des Bestellers „Warum unsere Kinder Tyrannen werden: Oder: Die Abschaffung der Kindheit“ 2008 von Michal Winterhof, plädiert Kästner für eine freie Persönlichkeitsentfaltung und dafür, Kinder wie Kinder zu behandeln, damit sie in einem positiven Sinn lebensfähig werden. Die kindliche Euphorie konnte sich Erich Kästner selbst nicht bewahren, zu sehr war die Zeit aus den Fugen. Krieg, Weimarer Republik – das Aufkommen der Nazidiktatur warf ihn in eine Welt, die dem Kindsein konträr lief. In seinem autobiografischen Buch „Als ich ein kleiner Junge war“ von 1957 kommentierte er den Beginn des Ersten Weltkriegs mit den Worten: „Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende.“ Heute, wo weltweit Kriege toben und Kinder ihre Kindheit verlieren, würde der bekennende Atheist Kästner den Vers aus dem Matthäus-Evangelium: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen,“ unterstreichen.

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Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".