Erich Kästner zum 50 Todestag: Der Weltenbrand ist nicht zu Ende – Teil 1

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Er schrieb Weltliteratur, war einer der gefeierten Autoren der Vor- und Nachkriegszeit. Doch Erich Kästner, dem wir die schönsten Gedichte der Weltliteratur verdanken, war auch ein Mahner und Warner. Früh entdeckte er die Gefahr, die aus Militarismus und Nationalismus erwächst, sah er doch die Freiheit durch die Ideologien bedroht. Ein Blick in die Gegenwart zeigt, der Weltenbrand ist nicht zu Ende. Von Stefan Groß-Lobkowicz.

„Vernunft muss sich jeder selbst erwerben, die Dummheit pflanzt sich gratis fort“, so heißt ein berühmtes Zitat von Emil Erich Kästner, dessen 50. Todestag in diesem Jahr gefeiert wird. Diese Dummheit ist es, die der gebürtige Dresdner (1899-1974) der Menschheit immer wieder vorwerfen wird, ihre Unfähigkeit zum Menschlich-Sein. Kästner war ein Allrounder, sowohl als Schriftsteller, Publizist sowie als Drehbuchautor, Lyriker und Kabarettdichter. Er war einsamer Steppenwolf und Partylöwe zugleich, liebte die bunte unmittelbare Kinderwelt und stellte diese dem Erwachsenenleben als Korrektiv zur Korrektur zur Seite. Sich die Glückseligkeit der Kindheit zu bewahren, wird zu einer Art Credo des religiös Unmusikalischen. Diese, seine Affinität zur unverstellten Kinderwelt hatte ihm früh weltweiten Ruhm eingebracht. Mit „Emil und die Detektive“ (1929), „Pünktchen und Anton“ (1931), „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) und „Das doppelte Lottchen“ (1949) prägte er seine Protagonisten aus den unterschiedlichsten Milieus buchstäblich in die gedruckte Welt der Buchstaben, erschuf ihnen ein kleines Weltreich, worin sich ihre Unbefangenheit, ihr Wagemut und ihre Ehrlichkeit spiegelten. Sich die Kindheit bloß nicht austreiben lassen, wurde für Kästner zum geflügelten Wort und zur Mahnung zugleich, denn „nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.“

Streiter gegen die Sinnlosigkeit von Kriegen

Die kindliche Euphorie konnte sich Erich Kästner selbst nicht bewahren, zu sehr lebte er in einer Zeitenwende. Der miterlebte Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik und die Nazidiktatur hatten sein Kindsein buchstäblich zu einer Welt von gestern werden lassen. So kommentierte er in seinem 1957 autobiografischen Kinderbuch „Als ich ein kleiner Junge war“ den Beginn des Ersten Weltkriegs mit den Worten: „Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende.“ Diese frühen Kindheits- und Judenderfahrungen hatten den Schriftsteller, Publizisten, Drehbuchautor und Kabarettdichter tief geprägt. Bis zu seinem Krebs-Tod am 29. Juli 1974 blieb er ein Streiter gegen die Sinnlosigkeit der Kriege, kritisierte jede Form von Totalitarismus und Nationalsozialismus.  Später, in den 60er und 70er Jahren, stritt er gegen die Remilitarisierung, den Vietnamkrieg und die Angriffe auf die Pressefreiheit sowie die misslungene Entnazifizierung in Deutschland. Über die Zeitläufte seines Lebens hinweg suchte Kästner als Satiriker die Menschen durch Einsicht moralisch bessern zu wollen, ein Ansinnen, das ihn als Optimisten kennzeichnet. Jeoch: Der sich in vielen satirischen Schriften hindurchziehende nihilistische Hintergrund, zeigte ihn auf der Kehrseite als einen Pessimisten, der von Resignation geprägt war. So glaube er nicht daran, dass es trotz technisch-wissenschaftlicher Entwicklung einen Fortschritt in der Entwicklung des Menschen zu einem besseren Wesen hin geben wird. Deutlich wird dieser resignierende Gedanke im Gedicht „Die Entwicklung der Menschheit erkennen“ von 1932. Vor dem Hintergrund der Synthese von Technik, Gewalt und Macht bleiben die „aus dem Urwald gelockt(en)“ Menschen, die also mit den Errungenschaften von Zivilisation und Wissenschaft gesegnet sind, doch „bei Lichte betrachtet […] noch immer die alten Affen“. Ob zentralgeheizte Hochhäuser oder technikaffine Welt, die alten Urinstinkte greifen noch und sind nicht überwunden. „Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn, in zentralgeheizten Räumen. Da sitzen sie nun am Telefon. Und es herrscht noch genau derselbe Ton wie seinerzeit auf den Bäumen.“ Auch Versuchen, genetisch einen neuen Menschen zu züchten, den perfekten Menschen aus dem Labor, wie ihn Aldous Huxley in seinem Roman „Schöne neue Welt“ von 1932 entwarf, kritisierte Kästner 1931 in seiner Ballade – wiederum ironisch – „Der synthetische Mensch“.  „Nächstens vergrößre er seine Menschenfabrik. Schon heute liefre er zweihundertneunzehn Sorten. Mißlungene Aufträge nähm er natürlich zurück. Die müßten dann nochmals durch die verschiednen Retorten.“

Wider die Absurdität des Militarismus

Schon früh prägte Kästner eine Aversion gegen den Militarismus. Den Widerwill gegen die Brutalität der Ausbildung, den sinnlosen-militanten Drill bis zur geistigen Besinnungslosigkeit, hatte er in seinem Gedicht „Sergeant Waurich“ mit aller Erbitterung verarbeitet, zumal er sich durch den Militärdienst, zu dem er 1917 einberufen wurde, eine lebenslange Herzschwäche zugezogen hatte. Dort heißt es: „Der Mann hat mir das Herz versaut.“ Rückblickend auf jene Jahre sagte er am 23. Februar 1969 im „Deutschlandfunk: „Das entscheidende Erlebnis war natürlich meine Beschäftigung als Kriegsteilnehmer. Wenn man 17-jährig eingezogen wird, und die halbe Klasse ist schon tot, weil bekanntlich immer zwei Jahrgänge ungefähr in einer Klasse sich überlappen, ist man noch weniger Militarist als je vorher. Und eine dieser Animositäten, eine dieser Gekränktheiten eines jungen Menschen, eine der wichtigsten, war die Wut aufs Militär, auf die Rüstung, auf die Schwerindustrie.“

„Ich ging als lebendiger Leichnam durch die Straßen“

Immer wieder zeichnet Kästner seine Gesellschaftskritik mit feiner Ironie, er, der damals als einiger der wenigen nicht nach der Machterlangung der Nazis emigrierte und bei der Verbrennung seiner Bücher auf dem Berliner Opernplatz durch die Nazis persönlich zugegen war. Er schreibt dazu: „Ich stand vor der Universität eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. […] Es war widerlich.“ In seinem Buch „Erich Kästner und seine Stadt“ findet sich die Passage, „Ich ging als ‚lebender Leichnam‘ durch die Straßen, ein verbotener, ein ausradierter Schriftsteller, beschimpft, bespitzelt und jeden Tag jede Stunde auf eigene Gefahr.“ Er blieb in Berlin, doch die „Stadt und ich blieben nicht, was wir gewesen waren“.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2149 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".