In unserer Kultur sind Engel allgegenwärtig: ob in Kirchen, auf Gemälden, Postkarten, Friedhöfen und Weihnachtsmärkten. Zu Weihnachten geben wir einen kleinen geschichtlichen Einblick, welche Rolle die Engelsthematik bei Theologen und Theologen im Abendland spielte. Von Stefan Groß-Lobkowicz.
Im Christentum, Judentum und Islam waren es immer wieder Engel, die für die Menschen eine wichtige Rolle spielten, sind sie doch Symbolfiguren, die zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen vermitteln. Der Begriff Engel, vom griechischen „ἄγγελος“ – angelos stammend, charakterisiert sie als Boten, Wächter oder Ausführende des göttlichen Willens. Als geistige Wesen, die mit keinem physischen Körper versehen, dafür mit einem freien Willen und Intelligenz ausgestattet sind, überschreiten sie die menschliche Erkenntnis.
Ein Blick in die Geistesgeschichte
Über die Jahrtausende hinweg haben sich Philosophen, Theologen und Dichter immer wieder mit der Engelsthematik beschäftigt. Augustinus von Hippo (354-430) behandelte Engel in Werken wie De Civitate Dei (Vom Gottesstaat). Er begriff sie als geistige Wesen, die von Gott geschaffen wurden, bevor die materielle Welt entstand. 200 Jahre später war es Gregor der Große (540–604), der über die Engel in seinen Homilien zum Buch Hiob schrieb und diese als Vermittler zwischen Gott und den Menschen betrachtete. Der berühmte Neuplatoniker Dionysius Areopagita (Pseudo-Dionysius, 5.-6. Jahrhundert) hatte in seinem Werk De Coelesti Hierarchia (Über die himmlische Hierarchie) die Ordnung und Hierarchie der Engel beschrieben und sie in drei Triaden mit jeweils drei Ordnungen eingeteilt (z. B. Seraphim, Cherubim, Throne). Fast 600 Jahre später war es Thomas von Aquin (1225-1274), einer der bedeutendsten christlichen Theologen des Mittelalters und einer der wichtigsten Kirchenlehrer der römisch-katholischen Kirche, der sich in seinem Werk „Summa Theologica“ erneut der Engel-Thematik zuwandte. Der an Aristoteles beschulte Theologe betrachtete Engel aus der philosophisch-theologischen Perspektive und versuchte, ihre Natur und ihr Wirken rational zu erklären. Dabei hob er ihre Reinheit, Intelligenz und ihre Stellung innerhalb der göttlichen Ordnung hervor. Im 18. Jahrhundert war es Emmanuel Swedenborg (1688-1772), ein schwedischer Mystiker und Theologe, der die Engel ausführlich in seinen Visionen beschrieb. Er betrachtete sie als verstorbene Menschen, die in den Himmel eingetreten sind.
Berühmte Denker und ihre Engelsvorstellungen im 20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert ist es der katholische Theologe Romano Guardini (1885-1968) gewesen, der in seinem Werk „Engel. Theologische Betrachtungen“ die Bedeutung der Engel in der Offenbarung, der Heilsgeschichte und der Beziehung Gottes zum Menschen untersuchte. Auch der Jesuit Karl Rahner (1904-1984), einer der bedeutendsten katholischen Theologen und Vertreter einer kerygmatischen Theologie hatte sich in seinen Schriften mit dem Engelsthema auseinandergesetzt. In seinem Werk „Zur Theologie des Todes“ waren es die Engel, die in entscheidenden Momenten der Heilsgeschichte auftreten und den Menschen in ihrem Glaubensweg begleiten. Für Rahmer sind diese Wesen Symbole für die Nähe Gottes zum Menschen, verkörpern die unsichtbare Wirklichkeit Gottes und seine fortwährende Zuwendung zur Schöpfung. Sie erinnern uns daran, dass die sichtbare Welt von einer tieferen, göttlichen Wirklichkeit durchdrungen ist. In den eher spirituellen Schriften, wie beispielsweise „Worte ins Schweigen“, lädt Rahner dazu ein, die Gegenwart der Engel im eigenen Leben wahrzunehmen. So ermutigt er dazu, sich für die leisen Botschaften Gottes zu öffnen, die durch die Engel vermittelt werden und zur Vertiefung des eigenen Glaubens führen.
Neben Theologen waren es auch Philosophen, die sich des Engelsthemas annahmen. Der in Lübeck geborene Hans Blumenberg (1920-1996) beispielsweise war von früher Kindheit an von den religiösen Bildern seines Vaters, der einen Kunstverlag betrieb, umgeben. Diese frühen Eindrücke prägten seine spätere philosophische Reflexion über Engel. So untersuchte er in seiner „Trilogie von Engeln“ die Bedeutung der Engelchöre und entwickelte vor diesem Hintergrund seine Theorie der „Unbegrifflichkeit“. Dabei galt sein Interesse dem, was erst noch Begriff werden wolle oder nie werden könne: den Metaphern oder eben dem „Unbegrifflichen“ überhaupt. Diese Metaphern haben nach Blumenberg einen Anspruch auf Erkenntnis. Sie dienten der Vernunft, ein noch unbegriffenes und unanschauliches Ganzes sprachbildlich zu vergegenwärtigen.
Für Hans Blumenberg symbolisieren Engel so die Grenzen zwischen dem menschlichen Verstehen einerseits und der Präsenz des Unfassbaren andererseits. In der Darstellung von Engeln sah er einen Ausdruck für das menschliche Bedürfnis, das Unbekannte und Unbegreifliche zu visualisieren, zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren zu vermitteln. Als Schnitt- oder Scharnierstelle zwischen beiden Welten verkörpern die Engel damit für ihn die menschliche Sehnsucht nach Transzendenz. In seiner Analyse der „Buddenbrooks“ von Thomas Mann hebt Blumenberg die Rolle der Engel als Symbole für die Fortexistenz und den Übergang den Übergang des Menschen in die transzendente Welt hervor. Insonderheit in der Literatur zeigt sich anhand der Engel, wie komplexe metaphysische Konzepte durch sie veranschaulicht werden und wie es dem Leser dadurch gelingt, einen Zugang zu abstrakten Ideen zu bekommen.
Auch heute glauben viele Menschen an Engel
Eine im Jahr 2016 von YouGov durchgeführte Online-Umfrage ergab, dass jeder zweite Deutsche an Engel glaubt. Laut Studie glauben 58 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer an Schutzengel. Eine Forsa-Umfrage kam bereits vor längerer Zeit zu dem Schluss, dass mehr Deutsche an Schutzengel als an Gott glauben. Noch ausgeprägter ist der Gottes- und der Engelsglaube in den USA. 95 Prozent aller Amerikaner glauben an Gott und 72 Prozent an Engel. Wer also meint, dass Engel außer Konjunktur geraten seien, muss sich eines Besseren belehren lassen. Gerade in Zeiten des Anything goes, in Zeiten von Relativismus und postmoderner Beliebigkeit wächst die Sehnsucht nach den geistigen Wesen.