Bei den Ampel-Verhandlungen läuft es derzeit schleppend. Doch die Grünen wollen unbedingt eine Million Lastenräder mit einer Milliarde fördern. Bestseller-Autorin Juli Zeh findet das absurd – mehr noch: Es ist eine Provokation, so zumindest sieht man es auf dem Land. Von Stefan Groß-Lobkowicz.
Über die Macht der Sprache weiß kaum jemand so viel wie die 1974 in Bonn geborene Juli Zeh. Viele ihrer Sätze wirken wie in Stein gemeißelt, prägnant, eindrucksvoll und fast für die Ewigkeit geschrieben, geflügelte Worte eben. Die promovierte Juristin und ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg liebt das Spiel mit den Begriffen, ringt ihnen alles ab, bringt diese zur Perfektion – und verliert dennoch nie die Bodenhaftung. Es ist die robuste Erde, die brandenburgische, die als bewusster Gegenentwurf zur Stadt mit ihren neurotischen Bewohnern Romanen wie „Unterleuten“ oder „Über Menschen“ zum Baustein wird, Sand in das getriebene Räderwerk der Welt streut und das weite Land zum Spiegelbild einer vielschattierten Gesellschaftskritik macht.
Seit 2007 lebt Zeh in Barnewitz, einem Dorf im Havelland in Brandenburg. Und fast frenetisch feiert sie die Natur, gibt ein verheißungsvolles Bekenntnis zur Landidylle. Nicht in der Stadt, im großen Bubble, finde man die wahre Freiheit, so das Credo einer Schriftstellerin, die immer auch mit dem Politischen ringt, gegen Stereotype und gegen billige Klischees kämpft.
Die Idee der Grünen, Lastenräder zu bezuschussen, kommt auf dem Dorf nicht gut an
Den Vorschlag der Grünen, eine Million Lastenräder mit insgesamt 1 Milliarde Euro zu bezuschussen, kommt auf dem Dorf nicht gut an und wird daher als lebensfremde „Provokation wahrgenommen“. Mehr noch: Für Zeh sind es abgehobene und völlig an der Realität vorbeiziehende Vorschläge, die grüne Enthusiasten sich auf die Fahnen schreiben. Während man auf dem Land mit schlechter Verkehrsanbindung kämpfe, auf den Bus zur Schule fast zwei Stunden warte, bleibt die Idee der Lastenräder absurd, auf Brandenburgs unwegsamem Kopfsteinpflaster ohnehin sinnlos. Der Plan der Grünen, so die harsche Kritik, sei „lächerlich, überflüssig, Städterkram“.
Land und Stadt, Natur und Kultur, Einsamkeit und Getriebensein, Entschleunigung und Beschleunigtsein – für Zeh ist es diese Dialektik, die die Moderne prägt. Die Autorin die im „Der Spiegel“ 2020 einen Aufruf zur schnellstmöglichen Beendigung des sogenannten Lockdowns forderte und sie sich in diesem Jahr gegen eine allgemeine Impfplicht aussprach, weil diese eine massive Einschränkung der individuellen Freiheit bedeute und die Grundrechte der Bevölkerung in manchen Bereichen fast auf null setzt, ist eine bekennende Stadtflüchterin. Die Marotten der Stadt samt den großen Plauderern der Digitalisierung enttarnt sie als lebensfremde Egomanen. Grüne Verheißungen geraten ihr zu Dystopien und viele ihrer Protagonisten bleiben in der Moderne Nomaden der Einsamkeit, politisch orientierungslos, von der Gesellschaft verraten.
Seit Zeh die Welt aus der Perspektive des Landes zeichnet, wird ihr der Unterschied zwischen Urbanität und ländlichem Raum immer tiefer bewusst, reißt der Konflikt zwischen dem Abgehängtsein und Vernachlässigung des ländlichen Raumes einerseits und der Giga-Metropolen andererseits immer weiter auf. Und gerade in dieser Asymmetrie sieht sie eine große Gefahr, auf die sie selbst Großereignisse wie der Jugoslawienkrieg oder die Spaltung der USA zurückführt.
Zeh zeichnet nie in schwarz und weiß, Radikalisierungen sind ihr in Zeiten von Polarisierung, Globalisierung und Populismus ein Gräuel. Die Wirklichkeit ist perfide genug, sie in ihren Bruchlinien einzufangen, das Thema einer Autorin, die sich eben auch als Chronistin ihrer Zeit versteht. Die Welt will Zeh nicht heilen, aber dokumentieren. Und der Befund, den sie gibt, ist eine kritische Diagnose des Zeitgeistes, eine die schmerzt und die sich nicht kitten lässt, denn die Brüche bleiben, auch wenn sich manchmal Versöhnung dazwischenschiebt.
Juli Zeh ist eine tapfere Kämpferin gegen den Mainstream. Und sie hat den Mut, unbequem zu sein. Das macht sie in Zeiten des Ja-Sagens und der Angepasstheit zur Ausnahme, aber von diesem Typus brauchen wir mehr.