
Die einen sahen Angela Merkel schon auf dem Abschiebegleis, die anderen im Dämmerflug nach 16 Jahren Kanzlerschaft endgültig am Horizont verschwinden. Doch durch die Corona-Krise ist die Kanzlerin peu à peu in der Wählergunst gestiegen. Die Totgesagte hat – wieder einmal – alle ihre Kritiker eines Besseren belehrt. Um ihre Nachfolge ging ein Mann ins Rennen, der Merkel seit Jahren unterstützt. Armin Laschet wurde am 16. Januar zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt. Ein Porträt des Politikers, der lange unterschätzt wurde. Von Stefan Groß-Lobkowicz.
Armin Laschet gilt nicht als der verbissene eindimensional denkende Parteisoldat, weit weg, distanziert von oben herab wie einst Helmut Schmidt. Laschet, 1961 geboren im Ruhrgebiet, familiär verwurzelt in Wallonien, ist und bleibt ein Mann der Mitte. Der 59-Jähige hat etwas Verbindliches, baut emotionale Nähe auf und ist damit so etwas wie ein Wohlfühlpolitiker, ja ein Menschenfänger obendrein. Er kann begeistern, zumindest unmittelbar, weil er selbst begeisterungsfähig ist. Er kann Komplexes einfach vermitteln und Bürgernähe aufbauen, weil er sich mit den Problemen der Menschen identifiziert, weil er weder Hochmut kennt noch sich in Selbstgefälligkeit verfängt. Und anders als manch seiner Politikkollegen und Mitbewerber um das Amt des CDU-Vorsitzes hat er etwas Bodenständiges, wärmt sich an der Erde, den Menschen und ihren Gefühlen. Er ist eigentlich mehr ein Seelsorger, der dabei immer ein fröhliches Lachen versprüht, das aus seiner rheinischen Frohnatur entsteigt. Das Amt des Seelentrösters hat ihm nie eine große Anhängerschaft in der medialen Welt gebracht, dafür ist er einfach zu bescheiden, kein Verkäufer oder Selbststilisierer. Wo andere aufbrausend agieren, ist es Laschet, der immer wieder vermittelnde Worte findet. Und genau das ist es, was den Mann in politisch schweren Fahrwassern, in der Corona-Krise und einer Zeit, wo die CDU gespaltener denn je ist, auszeichnet. Lachet ist Ausgewogenheit und Mitte in Peronalunion.
Mit Merkel weiter in die Zukunft
Damit tritt der Katholik und Studentenverbindler, der schon mit 18 Jahren in die CDU eingetreten ist, später beim Radiosender 95.5 Charivari und als freier Journalist fürs Bayerische Fernsehen arbeite, in die Fußspuren der Bundeskanzlerin. „Der Kandidat des Establishments“ unkte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Auch bei den Wertkonservativen in der Union hat er keinen guten Stand. Die Wirtschaft und der Mittelstand wünschen sich lieber einen Friedrich Merz, der klar ihre Interessen vertritt und statt mehr Politik, mehr Marktwirtschaft fordert. Merz ist kerniger, einer, der sich gut verkaufen, einer, der sich besser in Szene setzt als Laschet, der zwar immer treublickend in die Kamera schaut, aber letztendlich bei seinem Corona-Management nicht punkten konnte. Dabei hatte der ehemalige Bundestagsabgeordnete, spätere Europapolitiker und Halbjurist, der im Kabinett des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Rüttgers Karriere zuerst als Familien und Integrationsminister, später dann als Minister für Europaangelegenheiten machte, während Corona stets die große Bühne der Medien als einer der einflussreichsten deutschen Ministerpräsidenten hinter sich.
Der Corona-Manager
Inmitten der Corona-Krise hatte man Laschet schon für politisch tot erklärt. Die Medien titelten vom „glücklosen Laschet“ auf der einen und vom umjubelten Merz auf der anderen Seite. Doch das war eine Fehldiagnose. Wo Jens Spahn noch über die Pandemie irrlichterte, hatte der Pragmatiker Laschet schon eine klare Devise: „Wenn die Infektionszahlen sinken, müssen Grundrechtseingriffe zurückgenommen werden – wenn Infektionszahlen steigen, müssen Schutzvorkehrungen verstärkt werden“. Laschet agierte hier immer positiv auf Sicht, situationsgemäß wie man es von einem erwartet, der genau hinschaut, der pragmatisch-praxisnah agiert. Und Laschet, der Seelsorger, hatte sich bei den Menschen entschuldigt, dafür, dass ihre Angehörigen in ihren einsamen Sterbelagern dem Tod in das Auge blickten. Laschet war und blieb in der politischen Klasse damit einer der wenigen, der sich für dieser große Geste des Schuldeingeständnisses nicht zu schade war. Verantwortung greift eben auch dort, wo das Leben nicht mehr seine blühenden Wurzeln treibt, sondern dort, wo nurmehr die Messen gelesen, wo der friedlose Tod einsam die Seelen in ihre Einsamkeit entführt und Särge sich tausendfach und meterhoch in den Himmel heben.
Bei aller Kritik, die sich Laschet im Coronajahr einfangen musste, er ist Politprofi und das mit langjähriger Erfahrung. Seit 2008 sitzt er im Bundesvorstand der CDU und seit 2012 ist er einer der fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Den einen mag Laschets Kurs in der Pandemie als Stückwerk, als unbeholfen und als ein ungesteuerter Wirrwarr vorgekommen sein, doch die Corona-Werte im bevölkerungsreichsten Bundesland zeigen, er hatte taktisch gehandelt, nur oft falsch kommuniziert. Laschet wurde oft unterschätzt. Doch das ist vielleicht sein Triumpf. Immerhin hatten 2017 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2,8 Millionen Menschen ihre Zweitstimme der CDU gegeben. Und Laschet war es, der damals durch einen veritablen Wahlkampf selbst die allseits beliebte Hannelore Kraft aus dem Amt schob.
Christian Lindner und Armin Laschet – Ein gutes Team
Dass Laschet nun in der Champions-League spielen will, hatte ihm 2018 schon Christian Lindner attestiert: „Ein nordrhein-westfälischer Minister kann immer Kanzler.“ Und der FDP-Chef lobte schon damals die konziliante und versöhnliche Art des Landeschefs, bezeichnete gar die Zusammenarbeit der Schwarz-gelben Landeskoalition als „mustergültig“.
Politisch sieht Laschet, der sich den Klimaschutz, die innere Sicherheit, die Bildungsoffensive, die Digitalisierung sowie die Integration auf die Fahnen geschrieben hat, ohne selbst eine Schwarz-grüne Koalition als Gottesgabe herbeizusehnen, dann auch eher bei den Liberalen. „Es wird mir viel zu viel – auch von meinen Mitbewerbern – über die Grünen geredet.“ Deutlich mehr Schnittmengen gäbe es mit den Liberalen mit denen „wir in ganz vielen Kernfragen der Politik ein ganz ähnliches Grundverständnis haben. Man kann auch mit den Grünen koalieren, aber das bringt größere und kompliziertere Grundsatzdebatten mit sich.“ Der Getreue der Kanzlerin, der ihr als einer der wenigen, neben Merkels engen Vertrauten Helge Braun und Peter Altmaier, in der Flüchtlingskrise den Rücken bei ihrer Politik der offenen Türen gestärkt hat, bekennt sich nach wie vor zu einem unverbrüchlichen Kurs mit Merkel. Aber das bedeutet auch, dass die CDU selbst stark genug sein muss. Denn der NRW-Chef weiß: „Wenn es eine rechnerische Mehrheit für Rot-Rot-Grün gibt, werden die Grünen das machen.“ Daher präferiert er die Große Koalition.
Zur Not auch mit den Grünen
Den Grünen hatte er das Thema Klimaschutz, wie weiland Angela Merkel nach dem Reaktorunfall in Fukushima, schon längst aus der Hand genommen und auf seine Agenda geschrieben. Doch die Visionen eines Robert Habeck, einer Annalena Baerbock und der Generation „Fridays for Future“ mag er nicht teilen. Zu weltfremd ist dies alles für den Macher vom Rhein. Aber sollte es der Union letztendlich nutzen, so kann es möglicherweise mit ihm als Kanzler deutlich grüner in Deutschland werden. Die Grünen als Weltretter, diese Irritation bleibt ihm als gläubigen Christen aber wesensfremd.
Der Aachener Preisträger, der 2020 den „Orden wider den tierischen Ernst“, erhielt, ist kein weichgespülter Liberaler. Wo es gegen sexuellen Missbrauch ging, bezog er klare Opposition. Wo die Kanzlerin Thilo Sarrazin an den Pranger stellte, war es Laschet, der ehemalige Ministrant, der sich schützend vor den SPD-Politiker stellte und ihm attestierte: er sei „kein Rechtsradikaler.“ Von der AfD und dem Rechtextremismus distanzierte er sich aber klar und eindeutig. Aber wo sich das politische Berlin zu sehr in den Elfenbeinturm zurückzieht und zu sehr die Bodenhaftung verliert, öffnet Laschet seine kritischen Offensiven. Dann kreuzt er schon das Schwert gegen die Selbstverliebtheit des Establishments. Und während Berlin bei Corona noch zögerte, agierte er blitzschnell. Schon im Juni hatte er ein starkes Konjunkturprogramm samt Rettungsschirm für die strukturelle Entlastung der angeschlagenen Kommunen in NRW auf den Weg gebracht. Laschet weiß, wo die sozialen Nöte groß, woran die kleinen Leute leiden, er weiß es, der Sohn eines Bergarbeiters und einer Hausfrau. Und diese Erfahrungen machen ihn sensibel für das Los gegenüber denjenigen sozialen Schichten, die unterprivilegiert vom politischen Mainstream vergessen werden. Und das zeichnet ihn als Landesvater eben auch aus.
Söder und Laschet – Eine SMS-Beziehung
Mit Markus Söder, dem bayerischen Corona-Löwen, mit dem er sich derzeit blendend versteht, und der über seinen Amtskollegen bestätigt, dass dieser ein humorvoller, ernsthafter, heimatbewusster und lebensfroher Mensch sei, schreibt er hunderte von SMS, witzelt am Telefon. Die Kommunikation zumindest zwischen München und Düsseldorf hat sich regelrecht zu einer Standleitung entwickelt. Doch so sehr Söder und Laschet einander Schützenhilfe geben, dass der Rheinländer mit allem, was aus der CSU kommt, einverstanden ist, so ist es keineswegs. Bei aller Nähe, bei aller gebotenen Harmonie mit der Schwesterpartei in dem für die Union so wichtigen Wahlkampfjahr, geißelt Laschet zumindest Horst Seehofer und Überlebenskünstler Andreas Scheuer und dessen Maut. Der Autofahrer als „Melkkuh der Nation“, heißt es dann im Armin-Deutsch. Aber selbst wenn Laschet mit irgendwas nicht d’accord ist, glättet er die Wogen mit Sanftmut und im Geist des verzeihenden rheinländischen Katholiken.
Frauenunion steht hinter Laschet
Diese Gabe des Vermittelns lässt Laschet nun zunehmend in den Umfragen steigen. Die Frauenunion steht hinter ihm sowie die langjährige Präsidentin des Deutschen Bundestages, das Urgestein der CDU, Rita Süssmuth. Rückendeckung kommt sowohl von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek als auch von Frauen-Chefin Annette Widmann-Mauz: „Wir brauchen jetzt einen starken Zusammenhalt, damit die CDU weiter die führende Partei in der Mitte der Gesellschaft bleibt“, deshalb habe man eine klare Präferenz für Laschet und Röttgen. Diese hätten „durch ihre politische Erfahrung, ihren modernen Politikstil und zukunftsweisende Inhalte, die Fähigkeiten die CDU gut in die Zukunft zu führen.“ Und Karliczek: „Er wäre eine gute Wahl“. Und obgleich Laschet, der die Einführung der Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe mit der konventionellen ablehnte, verbindet ihn ein freundschaftliches Verhältnis mit Jens Spahn, dem Super-Hipster. Und dass Laschet bei der Weiblichkeit punktet, liegt daran, wie Süssmuth betont, dass „Frauen immer selbstverständlich zu seiner Mannschaft“ gehörten. Keinem gelänge es daher besser die vieldiskutierte Frauenquote pragmatischer umzusetzen als Laschet, den die 83-jährige CDU-Politikerin auch dann für durchschlagskräftig hält, wenn es um die Interessen von Kinderbetreuung, Familie und Gesellschaft geht.
Eigentlich wollten die Ostdeutschen Merz
Selbst aus den ostdeutschen Landesverbänden, die eigentlich für eine neue oder eben konservative Trendwendung in der CDU-Politik offen sind und damit eigentlich Friedrich Merz für den Stern der Stunde und als Taktgeber halten, mehren sich die Stimmen jetzt für Laschet. Die immer noch sehr einflussreichen und mächtigen Ex-Ministerpräsidenten von Thüringen und Sachsen, Bernhard Vogel und Kurt Biedenkopf, die in den ostdeutschen Verbänden wie Säulenheilige verehrt werden und auf dessen Rat man in Erfurt und Dresden vertraut, favorisieren den Aachener.
Dass die Zukunft auf Laschet deutet, hatte kein anderer als der jedem Merkelianertums unverdächtige Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ betont. „Als Chef einer Volkspartei muss man anschlussfähig ins konservative, aber auch in das progressive Milieu sein. Und wer Kanzlerkandidat werden will, der müsse „über CDU und CSU hinaus als integrative Kraft angesehen werden“. Laschet ist beides, es liegt in seiner Natur, der Versöhner zu sein. Er gilt nicht nur partei-intern als integrative Kraft, er kennt auch die Mühen der Ebene, durch die sich der Politiker alltäglich durchschlagen muss. Dass er hier seine Kernkompetenzen hat, verbindet ihn mit Angela Merkel. Beide waren keine Krawallkanonen, sondern geduldige Arbeiter im Weinberg der Politik. Und mit Armin Laschet hat die Bundeskanzlerin nicht nur einen besonnenen Menschen als CDU-Vorsitzenden, sondern möglicherweise einen neuen geduldigen, mit langem Atem versehenen Nachfolger, der das gespaltene Land als Versöhner harmonisieren könnte.
Zuerst erschienen auf „The European“