Josef Wolfgang Mayer: Standing by the wall. Berlin 1990, Buchkunst Verlag, Berlin 2020, ISBN: 978-3-981905-9-2, 45 EURO (D)
Dies sind Fotografien, welche Josef Wolfgang Mayer im Sommer 1990 anfertigte, zeigen die Berliner Mauer, deren Durchbrüche und Überreste, sie spiegeln ein „deutsches Zwischenland“ zwischen West und Ost. (S. 159): Die Aufnahmen sind als Triptychen fotografiert, das Sehfeld wird so zum Panorama erweitert: „Ein Überblick entsteht, eine gestaffelte Stadtlandschaft. Die Triptychen setzen eine innere Montage der einzelnen Bilder durch den Betrachter voraus, eine Verarbeitung des Raumes, der vor ihm liegt, in eine geschlossene Landschaft. (…) Die Triptychen entfalten eine Raum-Zeit-Frequenz, in der die Bildinhalte von ihrer historischen Fixierung abgelöst werden können. (S. 166f).
Die seriellen Aufnahmen wollen der empfundenen Geschwindigkeit der Mauerfall und der „Wiedervereinigung“ entgegenwirken: „Sie machen dem Sehenden deutlich, dem Vergesslichen bewusst, was im Lärm des Mauerfalls, in der Überraschung des Umbruchs, im Triumph des Tages und auch in der Freude über die Wende unterging: die Ratlosigkeit, die Sprachlosigkeit des Staunens, die Verlangsamung des im Alltag erfolgenden Wandels trotz der aus heutiger Sicht dramatischen und raschen grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen jener Tage.“ (S. 158) Sie wollen eine andere Sichtweise vorstellen und für Zeit für Veränderungen sensibilisieren: „Die Serien laden den Betrachter dazu ein, seine Perspektive zu weiten, Zusammenhänge wahrzunehmen, die Phantasie spielen zu lassen.“ (S. 160)
Es geben zwei Essays zu den Bildern, von dem Historiker und Politikwissenschaftler Peter Steinbach und vom Dozent und Fotograf Thomas Gust. Die Beiträge sind gleichzeitig in deutscher und englischer Sprache verfasst.
Die meisten Aufnahmen stammen aus Mitte und Treptow. Es werden bewusst keine Bildunterschriften gewählt, das Motiv soll für sich sprechen. Erst am Ende des Buches gibt es ein Inhaltsverzeichnis mit den Orten der Aufnahme.
Menschen sind nur auf einigen zu sehen, darunter viele, die im Alltag und mit Einkaufstüten wie selbstverständlich den ehemaligen Schutzwall durchqueren. Mauertouristen, die mit Reisebussen angekarrt werden, finden sich selten. Immer wieder Stände mit DDR-Devotionalien, die ausrangiert sind und verkauft werden.
Baustellenmotive von der Abtragung der Grenzanlagen dagegen häufiger, die immer noch geistig getrennten und nur langsam aufeinander zugehenden Teile Berlin als Baustelle. Auf manchen Bildern werden zwei Welten deutlich: Der Trabi als Synonym für die untergangene DDR und Werbeplakate als Zeichen westlicher kapitalistischer Konsumwelt.
Die Bilder schildern eine eigentümliche, brüchige und verlorene Aura, die Restbestände der Mauer erinnern etwas an Lost-Places-Fotografie. Die Natur überwuchert in vielen Bilden die Mauer und ihre nähere Umgebung, Zeichen für Werden und Vergehen.
Also ein anderer Blick und Ausschnitt auf den Prozess hin zum Zusammenwachsen. Die allmähliche Entsorgung der DDR, ihrer Symboliken, der Mauer und steinernen Zeugnisse, die aus heutiger Sicht aus erinnerungskultureller Sicht sicher kritisch gesehen werden muss, spiegelt sich hier auch wieder. Überhaupt lösen die Aufnahmen viele individuelle Bilder aus, die mit diesem weltpolitischen Ereignis verbunden werden.