Soziale Netzwerke machen uns unglücklich – Was meint Harmut Rosa?

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Was ist ein gutes Leben, was Glück? Von der Tugendethik bis hin zum Pragmatismus und Utilitarismus reichen die Antworten. Was für ein Mensch man sei, entscheide darüber, welche Philosophie man wähle, hat der deutsche Idealist Johann Gottlieb Fichte einst betont. Dies gilt um so mehr für das Glück. Doch im Zeitalter sozialer Netzwerke wird die Glückssuche nicht einfacher, sondern schwieriger, meint Stefan Groß-Lobkowicz.

Das Glück bleibt individuell, vielleicht das Individuellste, über das wir selbst entscheiden. Ob Augenblicksglück, die stoische Seelenruhe, ob Kants Pflichtenethik, Schopenhauers Nihilismus oder Levinas’ Philosophie des Anderen bis hin zur modernen empirischen Glücksforschung – ihnen allen gemein ist, dass sich das Glück nicht auf einen bloßen Materialismus reduzieren läßt.

Vilém Flusser und die Vision der telematischen Gesellschaft

Der Philosoph und Kommunikationsprofessor Vilém Flusser, einst Wegweiser der Kommunikationstheorie und von Facebook-Chef Mark Zuckerberg wie eine Ikone verehrt, hatte Anfang der 90er Jahre die positive Utopie einer künftigen telematischen Gesellschaft, die nicht nur einen Gegenentwurf zu den pessimistischen Medientheorien der damaligen Zeit darstellte, sondern die Vision in sich barg, Dialoge hervorzubringen, die Informationen und dadurch Diskurse erzeugen, durch die wiederum Informationen weitergegeben werden. Im Fokus der Kritik stand für Flusser die „autoritäre Gesellschaft“, in der nicht der Dialog, sondern der Diskurs regiere, der zumindest eins nicht war: herrschaftsfrei:

Flussers Vision der „revolutionären Gesellschaft“

Flussers Vision der „revolutionären Gesellschaft“ hingegen sei der Hort der Dialoge. In der telematischen Gesellschaft gibt es keine Autoritäten mehr, lediglich vernetzte Strukturen, die völlig undurchsichtig agieren, ein kybernetisches System, das als „kosmisches Hirn“ funktioniere. Für Flusser ist Kommunikation Nomadologie jenseits von Heimat und Gebundenheit, Interaktivität per excellence. Und so verheißen die sozialen Netzwerke die eigentliche Freiheit, eröffnen sie doch einer einsamen und sinnlosen menschlichen Existenz den Freiraum der Eigentlichkeit, die dem Menschen seine Bedeutungslosigkeit und sein zum Tode verurteiltes Leben vergessen machen. Als zoon politikon, wie Aristoteles einst schrieb, wird dem modernen Menschen dabei die Kommunikation zu einem intentionalen, dialogischen und intersubjektivistischen Akt, ja, durch sie ereignet sich geistige Nähe in Sekundenschnelle. Die telematische Revolution erzeugt nicht Distanz, vielmehr Unmittelbarkeit, darauf zumindest spekulierte Flusser.

Selfie-Wahnsinn bei Jung und Alt

Seit zehn Jahren rast Facebook auf der Überholspur. Tendenz steigend! Der Gigant hat andere Netzwerke weit ins Abseits gedrängt. Ob A B C, Z-Promis oder Teenager, der Selfie-Wahnsinn regiert die Welt. Und die meisten User wollen lediglich performieren, unterhalten. Statt Selbsterkenntnis Selbstreferenz satt. Mediale Präsenz wird so zur universalen Heilsbotschaft, meist mit bescheidenem Inhalt. Es regiert nicht der Inhalt als vielmehr und manchmal ausschließlich die Form.

Während die Vielzahl der User von Unsterblichkeit, von einer steilen Karriere und von medialer Berühmtheit träumen, ihr „zweites Ich“, ihr Profil, wie eine große Liebe pflegen, liebkosen, ständig aktualisieren und wie ein Baby umhegen, verkümmert dabei zunehmend das reale Ich und wird durch das virtuelle aufgehoben. Der Schritt in die Tristesse des virtuellen Alltags ist dann nicht mehr weit – Einsamkeit inkludiert.

Flusser zum Trotz, bleiben Facebook und die anderen Netzwerke in Sachen Glückssuche auf der Strecke. Wahre Freundschaft vermögen sie nicht zu stiften; sie dienen eher der Kompensation von Identitätsverlusten, sind Surrogate von subjektiver und egoistischer Selbststilisierung.

Nie waren wir göttlicher

Ob Facebook, Instagram, Tumblr oder Twitter – die Selbstinszenierung kennt keine Grenzen. Gab es früher einen Gott, wimmelt es in der virtuellen Welt heute von Göttinnen und Göttern, alle mit Allseligkeits- und Allmachtsanspruch, deren Markenzeichen eine gläserne Selbsttransparenz ist, inszeniert mit den schnöden Insignien subjektiver Selbstgefälligkeiten und gekürt mit dem Hauch des Banalen. Das Internet hat einen neuen Götterhimmel geschaffen, sei es Dagi Bee, Chiara Ferragni oder andere, die dank sozialer Netzwerke tatsächlich zu Ruhm und vor allem zu viel Geld gekommen sind. Doch das Gros der User kämpft verzweifelt, wie einst Sisyphos den verzweifelten Kampf um Sinn und Anerkennung; postet und postet, doch das Netz geriert nicht Anerkennung, sondern Ablehnung – und schlimmer noch mit gar keiner Reaktion, Haß, Neid und Mißgunst. Facebook und Co haben eben auch eine Realität, und die kann bitter sein.

„Wir steuern auf einen kollektiven Burn-out zu”

Nach Ansicht des Jenaer Entschleunigungspapstes und Soziologieprofessors Hartmut Rosa steuert in einem Interview mit der “Die Welt” die moderne Gesellschaft mit ihrem Inszenierungswahn sukzessive auf ein kollektives Burn-out zu. Die Welt verkümmert und wird nur noch via Bildschirm auf dem Computer oder dem Smartphone wahrgenommen. Auch für Rosa gaukeln soziale Netzwerke Nähe lediglich vor, was bei vielen Netzenthusiasten leider das dumpfe Gefühl auslöst, „einer stummen, gleichgültigen Welt“ gegenüber zu stehen.

Schon Emmanuel Levinas und Victor Frankl wußten, dass zu einem gelungenen Glück mehr als blanke Materie, Ressourcen, gehört, beide sahen sie im Anderen, im anderen Menschen, denn der Mensch als soziales Wesen benötigt eine lebendige Verbindung zu seiner Umwelt. Wer diese Beziehungen jedoch über sein Handy zu konsumieren, sein In-der-Welt-Sein zu bestätigen sucht, muss sich stets und ständig davon überzeugen und vergewissern, dass die Welt ihn nicht vergessen hat. „Wenn ich auf ein Posting oder einen Tweet mehr Likes bekomme als das Mal zuvor, deute ich das als stärkere Resonanz. Wenn ich dagegen weniger Rückmeldungen erhalte, habe ich die Sorge, von der Welt ‚vergessen’ zu werden. Wer seine Resonanzvergewisserung über die sozialen Medien sucht, muss sich deshalb alle paar Stunden oder gar Minuten von Neuem seiner Verbundenheit mit der Welt versichern. Das kann leicht zu einem suchtförmigen Verhaltensmuster führen“, so Hartmut Rosa in der “Die Welt”.

Wir brauchen eine „libidinöse Weltbeziehung“

Ein glückliches Leben kann für Rosa aber nur dann gelingen, wenn wir eine „libidinöse Weltbeziehung“ herstellen. Statt Ressourcenverwaltung tritt Resonanz, statt dem Selbstverlust durch Tastaturen oder Daumendruck entgegenzusteuern, brauchen wir „nicht einzelne resonante Oasen, sondern einen resonanten Alltag.“ Bildschirme sind und bleiben für den Soziologen „Resonanzkiller, wenngleich er die Digitalisierung an sich nicht verteufelt. Was er kritisiert, ist die Verkümmerung der „leiblichen Dimension“, weil „wir immer mehr medial und digital auf die Welt bezogen sind.“ Was den sozialen Netzen darüber hinaus fehlt, ist die „Verflüssigung des Weltverhältnisses“, eine Art Abwehrmechanismus des virtuellen Ich, dass sich dem Fremdem, Unbekannten, nicht mehr öffnet und damit eine echte Selbstverwandlung nicht mehr erlaubt. Gesucht wird nur eine Art „Bestätigung für das, was wir schon sind. Wir lassen uns kaum berühren von dem, was uns erreicht, und wir erreichen und bewegen auch auf der anderen Seite kaum etwas.“

Aber virtuelle Distanz als Form von Weltverweigerung bleibt für Rosa nur die eine Facette, eine andere ist eine ungestillte Sehnsucht nach interessanteren Optionen. Die ewige Suche, die Welt auf die maximalen Optionen zu scannen, hatte bereits Sören Kierkegaard als „Verzweifelt nicht man selbst sein wollen“ charakterisiert. Hinter diesem Nicht-Selbst-Sein-Wollen steckt dann auch die Angst, etwas irgendwo zu verpassen. Diese ständige Sehnsucht und Unerfülltheit vernichtet nicht nur die Resonanzstiftung, die voraussetzt, „dass man Aufmerksamkeit fokussiert und alles andere losläßt“, sondern verstellt einem den Augenblick und damit den Genuß des „Verweile doch, Du bist so schön“, wie Goethe im Faust einst dichtete.

Quellen: Interviews mit der Zeitung “Die Welt”

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2159 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".