Im aktuellen „Stern“ fordert der Münchner Transplantationschirurg und ärztliche Direktor des Klinikums Großhadern Karl-Walter Jauch, der auch lange Zeit Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie war, eine „offene und ehrliche Diskussion über finanzielle Anreize für Organspender“. Die Voraussetzung dafür sei aber, dass die Gesellschaft so weit wäre, solche Modelle zu akzeptieren, zitiert die Zeitschrift den Arzt. Interessanterweise beruft sich Jauch auf den Iran, das einzige Land weltweit wo die Praxis seit 1988 erlaubt ist. „Die Gesellschaft lebt dort offenbar gut mit dem Modell“, so Jauch, „wir sollten das nicht von vornherein verteufeln.“
Nun unterscheiden sich die Sitten und Moralvorstellungen in der Islamischen Republik Iran in vielerlei Hinsicht von den unsrigen, was einen Vergleich natürlich nur umso lohnender macht – so ist aufgrund der islamisch geprägten Rechtslage eine post-mortem Transplantation von Organen eines hirntoten Spenders verpönt und war bis zum Jahr 2000 verboten, die Todesstrafe ist jedoch erlaubt. Transplantierte Nieren sind hierzulande noch überwiegend post mortem, also Verstorbenen entnommene Organe, in vielen Ländern gibt es jedoch einen illegalen Markt, auf dem Menschen eine ihrer Nieren anbieten: Nachzulesen zum Beispiel in Willi Germunds Buch „Niere gegen Geld“, in welchem er seinen eigenen Fall, aus der Käuferperspektive, schildert. Das Erscheinen dieses Buches war auch der konkrete Anlass für den „Stern“, das Gespräch mit Karl-Walter Jauch zu führen.
Wie steht es also mit der benannten Voraussetzung, ist unsere Gesellschaft bereit für eine Übernahme dieser konkreten iranischen Praxis? Nachdem sich meine Irritation über das dem Online-Artikel beigefügte Bild allmählich gelegt hat, das ausgerechnet ein zu transplantierendes Herz zeigt – bei welchem ein Verkauf durch den ursprünglichen „Besitzer“ ja ausgeschlossen ist, denn „die Kraft der zwei Herzen“ gibt es nur in der Werbung ! – möchte ich im folgenden untersuchen, was wir denn als Gesellschaft über Bord werfen müssten, um „so weit“ zu sein.
Ausgehend von unserer Tradition kommen wir da natürlich nicht an Immanuel Kant vorbei. Das zu diskutierende Problem wird von ihm in der „Metaphysik der Sitten“ abgehandelt, und zwar konkret im zweiten Hauptstück des „Privatrechts vom äußeren Mein und Dein überhaupt“, unter dem Titel „Von der Art, etwas Äußeres zu erwerben“. Darum geht es ja offenbar. Ich veräußere etwas (bleiben wir beim Beispiel der Niere, oder eines anderen paarig angelegten Organs) und ein anderer erwirbt es gegen die Zahlung von Geld. Das geht nun laut Kant auf dreierlei Art, entsprechend den drei Abschnitten „Vom Sachrecht“, „Vom persönlichen Recht“, oder „Von dem auf dingliche Art persönlichen Recht“, das eine gewisse Mittelstellung zwischen den beiden vorigen einnimmt. Im ersten Abschnitt beleuchtet Kant die Voraussetzungen des Verkaufs einer Sache, zu denen gehört, dass ich der Eigentümer der zu verkaufenden Sache sein muss. Bin ich nun eigentlich der Eigentümer meiner Nieren? Da diese ja Teil meines Körpers sind, würde Kant das verneinen, mit folgender Begründung: „Der äußere Gegenstand, welcher der Substanz nach das Seine von jemanden ist, ist dessen Eigentum (dominium), welchem alle Rechte in dieser Sache (wie Akzidenzen der Substanz) inhärieren, über welche also der Eigentümer (dominus) nach Belieben verfügen kann (ius disponendi de re sua). Aber hieraus folgt von selbst: daß ein solcher Gegenstand nur eine körperliche Sache (gegen die man keine Verbindlichkeit hat) sein könne, daher ein Mensch sein eigener Herr (sui iuris), aber nicht Eigentümer von sich selbst (sui dominus) (über sich nach Belieben disponieren zu können) geschweige denn von anderen Menschen sein kann, weil er der Menschheit in seiner eigenen Person verantwortlich ist.“ Mit anderen Worten – meine Nieren als Sache zu behandeln verbietet sich mir aus Rücksicht auf die Menschheit, der ich in meiner Person verantwortlich bin.
Kommen wir mit den anderen Abschnitten weiter? Abschnitt 2 „Vom persönlichen Recht“ handelt vom Vertrag, einschliesslich des Kaufvertrags, doch auch hier greift wieder die Bedingung dass ich nur veräußern kann, dessen Eigentümer ich bin. Interessant wird aber Abschnitt drei – hier definiert Kant das „auf dingliche Art persönliche Recht“ und tatsächlich räumt er hier Umstände ein, unter denen „..sich ein Mensch selbst zur Sache [machen kann], welches dem Rechte der Menschheit an seiner eigenen Person widerstreitet.“ Dieses Verpflichtung gegenüber der Menschheit hatte ja dem Organverkauf bisher im Wege gestanden, nun läßt Kant offenbar Ausnahmen zu! Welche sind das ?
Wir lesen: „Geschlechtsgemeinschaft (commercium sexuale) ist der wechselseitige lebenswierige Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht (usus membrorum et facultatum sexualium alterius) … Die Erwerbungsart dieses Zustandes und in demselben geschieht weder durch eigenmächtige Tat (facto), noch durch bloßen Vertrag (pacto), sondern durchs Gesetz (lege), welches, weil es kein Recht in einer Sache, auch nicht ein bloßes Recht gegen eine Person, sondern auch ein Besitz derselben zugleich ist, ein über alles Sachen- und persönliche hinausliegendes Recht, nämlich das Recht der Menschheit in unserer eigenen Person sein muß, welches ein natürliches Erlaubnisgesetz zur Folge hat, durch dessen Gunst uns eine solche Erwerbung möglich ist.“
Nachdem Kant in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelebt hat, liegt es in der Natur der Sache dass das einzige in seiner Lebenswelt nachvollziehbare Beispiel eines wechselseitigen Gebrauchs von Organen die Geschlechtsgemeinschaft war – was uns natürlich nicht hindert, dem moralisch-sittlichen Prinzip weitere Beispiele hinzuzufügen. Zum einen haben wir aber das verblüffende Resultat, dass die „offene und ehrliche Diskussion über finanzielle Anreize für Organspender“ plötzlich ganz und gar den Reiz des Neuen verliert und unversehens in eine Nachbarschaft zum ältesten Gewerbe der Welt gerät. Zum anderen gewinnt die Frage, ob unsere Gesellschaft bereit sei „solche Modelle zu akzeptieren“, eine spezielle Note – insbesondere im Vergleich zur gesellschaftlichen Praxis im Iran.
Die Möglichkeit einer schöpferischen Weiterentwicklung der „Metaphysik der Sitten“, ohne Verleugnung ihres Sinn – und Wahrheitsgehalts, ergibt sich aber aus der Möglichkeit der Lebendspende emotional verbundener Paare, der sogenannten kidney-paired donation oder KPD. Diese wurde von dem (aus München gebürtigen) Felix Rapaport bereits 1986[1], angeregt, unsere Gesetzeslage steht dem Verfahren aber hierzulande immer noch im Wege. Diesen Zustand im Interesse der Patienten zu verbessern bräuchte es kein Geld, sondern lediglich die Schaffung juristischer und logistischer Voraussetzungen: Willi Germunds Lebenspartner oder -partnerin hätte dann, da eine direkte Lebendspende offenbar aus Gründen der HLA-Inkompatibilität nicht möglich war – sonst hätte er ja nicht die Niere eines Afrikaners gekauft! – dem Empfänger eines anderen Paars in derselben Situation gespendet, und der Autor von “Niere gegen Geld” hätte die Niere des zugehörigen Spenders dieses Paars erhalten.
Man sieht, dass mit der kidney-paired donation dem wechselseitigen lebenswierigen Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Organen macht (usus membrorum et facultatum alterius), vollständig Genüge getan wird, nur dass hier nicht Geschlechtsorgane zwischen zwei Menschen, sondern Nieren zwischen zwei Paaren ausgetauscht werden. In einem nächsten Schritt könnte man dann noch über Alvin Roths Kettenspenden nachdenken, die allerdings logistisch sehr anspruchsvoll sind – auch hier ist kein Geld vonnöten, obwohl Roth und Shapley für ihre Theorie des Verteilungsmarktes sogar den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten haben.
Die im internationalen Durchschnitt sehr geringe Bereitschaft der Deutschen, nach ihrem Tod ihre Organe für eine Spende freizugeben, verlangt jedenfalls im Interesse der zum Beispiel auf eine Dialysetherapie angewiesenen Patienten nach neuen Lösungen, und hierin liegt das Verdienst der von Karl-Walter Jauch im “Stern” angestossenen Diskussion. In diesem Kontext mag auch der gegenwärtig vor Gericht verhandelte Organspendenskandal und die neuerdings erhobenen Vorwürfe ungenügender Hirntoddiagnostik eine Rolle spielen. Es geht aber dabei wesentlich um die Frage, wie wir uns unsere Gesellschaft vorstellen: Denn einerseits verstossen wir durch den Verkauf unserer Organe gegen das Recht der Menschheit in unserer Person.
Andererseits entsteht durch den Tausch gemäß “auf dingliche Art persönlichen Rechts” ein bestimmter Zustand, und das “…. Verhältnis in diesem Zustande ist das der Gemeinschaft freier Wesen, die durch den wechselseitigen Einfluß (der Person des einen auf das andere) nach dem Prinzip der äußeren Freiheit (Kausalität) eine Gesellschaft von Gliedern eines Ganzen (in Gemeinschaft stehender Personen) ausmachen.”
[1] The case for a living emotionally related international kidney donor exchange registry. Transplant Proceedings1986 Jun;18(3) Suppl. 2):5-9.
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