So werden die bundesdeutschen Wähler infantilisiert

DDR-Sandmaennchen, Foto: Stefan Groß

Spätestens seit der friedlichen Revolution 1989 ist das Volk den Herrschenden so unheimlich geworden, dass „der große Lümmel“ (Heine) oder das „Pack“ (Sigmar Gabriel) unbedingt klein gehalten werden muss. Die Abneigung geht so weit, dass nicht mehr vom Volk im Sinne des Grundgesetzes die Rede sein darf, kaum noch von Bevölkerung, sondern nur noch von unbestimmten „Menschen“, die „neu angekommen“ sind, oder „schon länger hier leben“. Weiter kann man sich in einer Demokratie nicht vom Souverän entfernen.

Um auf Nummer Sicher zu gehen, wird von unseren Volksvertretern auch kaum noch Politik gemacht. Ihren grundgesetzlichen Auftrag, an der politischen Willensbildung mitzuarbeiten, haben die Altparteien still und leise aufgegeben. Statt dessen benehmen sie sich immer mehr wie Firmen, die ihre dubiosen Produkte mit viel Werbung, Falschversprechen inklusive, an „die Menschen“ bringen wollen.

Die CDU, die unter Kanzlerin Merkel zum vierten Mal an die Macht strebt, hat dabei durchaus eine führende Rolle eingenommen.

Der neueste Verkaufsschlager, kürzlich von Kanzlerin Merkel eingeweiht, soll ein begehbares „Wahlprogramm“ sein.

Ich habe mir die Sache näher angesehen.

Schon das Gebäude in Berlin-Mitte ist interessant. Zu DDR-Zeiten logierte hier das „Deutsche Modeinstitut“, das Produkte herstellte, die der Bevölkerung zeigten, wie schön Mode und Design sein kann, die aber mit der tristen Realität so viel zu tun hatten, wie der Mercedes mit dem Trabant.

Schon von außen wird auf das Haus mit einem Mix aus Schwarz, Rot, Gold hingewiesen. Die Nationalfarben wurden zerlegt, „neu interpretiert“ haben das die Werbeleute, die von der Kanzlerin beauftragt wurden, wahrscheinlich genannt. Das setzt sich im Inneren fort. Man kann auf einer Treppe, auf der Streifen in diesen Farben wild durcheinander laufen, in den ersten Stock schreiten. Ein Konservativer könnte sich an dem Glauben festhalten, dass die Nationalfarben noch nicht aufgegeben wurden, der „Progressive“ kann sicher sein, dass diese Art, mit Schwarz-Rot-Gold umzugehen, eine Auflösung der nationalen Tradition bedeutet.

Diese Zweideutigkeit ist Absicht. Es soll möglichst allen etwas geboten werden. Die vollständige Entpolitisierung der Botschaft macht es möglich. Dazu passt, dass weit und breit kein Politiker zu sehen ist, mit dem man diskutieren könnte. Stattdessen gibt es freundliche Hostessen beiderlei Geschlechts, die lächelnd zuhören, aber nichts zu sagen haben. Sie können die technischen Finessen der Show erklären, in politischen Fragen, auf die es im Wahlkampf ankommen sollte, sind sie deutlich überfordert.

In der Mitte des Saales im Erdgeschoß hängt ein Riesenherz, dessen Zuckungen mit Herztönen untermalt werden. Es soll wohl die Dynamik von Wirtschaft und Gesellschaft symbolisieren. An den Wänden rechts und links sind die modernen Wandzeitungen, die von den Erfolgen Merkelscher Politik künden sollen.

Dass Deutschland die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, hat aber nichts mit dem Wirken der Kanzlerin zu tun, die, im Gegenteil, mit „Energiewende“ und jetzt noch „Verkehrswende“ dabei ist, im Sinne des von den Grünen propagierten „ökologischen Umbaus“, im Klartext der Entindustrialisierung Deutschlands, die Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft testet.

In den zwölf Jahren unionsgeführter Regierung, steht auf einem ergänzenden Flyer, seien über 5 Millionen neuer Arbeitsplätze entstanden. Wie viele davon staatssubventioniert sind in der Asylindustrie und durch die „Energiewende“, also unproduktiv, wäre die eigentliche Aussage. Dazu sucht man vergebens Zahlen. Seit über zwanzig Jahren hätte es nicht eine so geringe Arbeitslosigkeit gegeben, wie jetzt. Immerhin wird zugestanden, dass dies nicht allein die Politik zustande gebracht hat: „Auf diesen gemeinsamen Erfolg können wir alle stolz sein“.

Die CDU will auch weiter „um jeden Produktionssektor und jeden Arbeitsplatz“ kämpfen. Wenn ich Mitarbeiterin der deutschen Autoindustrie oder einer ihrer zahlreichen Zulieferer wäre, würde ich mich an dieser Stelle verhöhnt fühlen. Hat doch die Kanzlerin bereits das Ende der klassischen Autoindustrie, das Rückrat unserer Wirtschaft, angekündigt. Zehntausende Arbeitsplätze sind akut gefährdet, durch den Willen, Elektroautos, koste es, was es wolle, durchzudrücken.

Zu den Versprechungen in der Wirtschaftsabteilung gehört die angebliche Absicht, die Einkommenssteuer und den Solidarzuschlag zu senken, aber -Vorsicht- erst ab 2020 und nur „schrittweise“, dafür aber „schnellstmöglich“. Das erinnert stark an die DDR-Verheißungen, die Segnungen der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ irgendwann genießen zu können. Bekanntlich kam „schnellstmöglich“ nie.

In einem besondern Raum, der bezeichnenderweise aus Pappe gebaut wurde, wird die geplante „Familienpackung“ der CDU gepriesen. Flexible „Elternzeiten“, höheres Kindergeld von 300 Euro in einem Jahr, das ist etwa ein Drittel dessen, was heute ein neuer Kinderwagen kostet, und „Rechtsanspruch auf Grundschulbetreuung“ werden angekündigt. Der Staat mischt sich immer massiver in die Erziehung der Kinder ein. Das DDR-Modell lässt grüßen.

Die einzig wirklich spürbare Hilfe für berufstätige Eltern, ein höherer Kinderfreibetrag, wird zwar angekündigt, aber erst für die nächste Legislaturperiode. Was hat das dann in einem „Regierungsprogramm“ für 2017-2021 zu suchen? Ganz bestimmt kommen die Kinderrechte ins Grundgesetz, das ist schließlich eine Forderung der Linken und Grünen. Solche Forderungen hat die Regierung Merkel immer zuverlässig umgesetzt.

Damit sich nicht zu sehr mit dem „Wahlprogramm“ beschäftigt wird, sind allerlei neckische Spielchen eingebaut. Man kann in ein Loch greifen und ertasten „was Oma alles liegen lässt“. Mit solchen Kindereien soll die Wahlentscheidung erleichtert werden.

Richtig hipp wird es im Raum „Cyber Hero“. Hier erfährt man, dass die CDU „auf den starken Staat setzt, der seine Bürger schützt: vor Kriminalität im Alltag, Terrorismus und Cyber-Angriffen“.

Im rauen Alltag machen die Bürger bisher ganz andere Erfahrungen, nicht nur auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Durch unkontrollierte Einwanderung kommen immer mehr Terroristen ins Land. Die Attentäter von Paris, Brüssel, Turku kamen zum Teil aus Deutschland.

Aber dafür ist, was Cyber-Angriffe betrifft, die Welt in Deutschland in bester Ordnung, jedenfalls, wenn man der CDU glauben will. Mit einem „IT-Sicherheitsgesetz“ ist schon der erste Schritt getan. Außerdem wurde ein neues „Cyberkommando“ aufgestellt. Ob es sich um die von IM Victoria geleitete „Task Force“ handelt, ist nicht ersichtlich.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik kann mit einer speziellen „Cybereingreiftruppe“ bei „schweren Cyberangriffen“ helfen.

Außerdem sollen neue Stellen bei der Bundespolizei und im Bundeskriminalamt geschaffen werden. Ob das am Ende so aussieht wie in NRW, wo die CDU im Wahlkampf eine Verstärkung der Polizei versprochen, als eine der ersten Regierungshandlungen aber einen Abbau derselben betrieben hat, bleibt abzuwarten.

Auch hier kann sich der Besucher durch Videospielchen vom anstrengenden Faktencheck, ob Versprechungen und Realität je in Übereinstimmung gebracht werden, ablenken. Auf einem Bildschirm kann man Industriespione, auf einem anderen Terroristen abwehren. Pädagogisch besonders wertvoll ist ein Bildschirm, in dem man sich gegen „Mobbing“ durch böse Internetbenutzer wehren kann. Ausdrücke wie „Buffetfräse“ und „Quetschgesicht“ gehen gar nicht uns sollten sofort gemeldet werden. Wer fleißig denunziert, wird ein besonders verdienter „Cyber Hero“. Früher war der Denunziant der größte Schuft im Land, heute wird er als Wahlkampfargument für die CDU präsentiert.

Ist das noch zu toppen? Doch. Der vorläufige Gipfel der Infantilisierung der Wähler ist mit dem Raum „Youropa“ erreicht. Im Beiblatt stehen lauter Märchen. Die Flüchtlingszahlen „konnten deutlich gesenkt“ werden. (Zählt Italien, das kurz vor dem Flüchtlingsnotstand steht, nicht mehr zu Europa?). Der Euroraum sei wieder stabil. Nur die Sparkonten der deutschen Euroraumbewohner sind es leider nicht. Die sind durch die abenteuerliche Null-Zinspolitk der EZB am schrumpfen. Es gibt bereits Negativzinsen auf das Ersparte bei immer mehr Banken.

Angeblich soll sich die EU-Kommission wieder mehr auf „große Themen“, statt auf „bürokratisches Klein-Klein“ konzentrieren. Das hätte die Akzeptanz für Europa so erhöht, dass Menschen nicht mehr gegen, sondern für Europa auf die Straße gingen. Schließlich hätte die EU ja die Roaming-Gebühren abgeschafft.

So eingestimmt geht man durch einen schwarzen Tunnel, der wohl die historische Finsternis, der alle glücklichen EU-Bewohner entrinnen, symbolisieren soll, in den Saal mit einem Sternenhimmel. In der Mitte steht ein Gerät, auf dem man wählen kann, welchen Begriff man für Europa am wichtigsten findet. Bekanntlich hat unsere Kanzlerin „Freiheit“ gewählt. Bevor man sich wundert, sieht man, dass Freiheit eben an erster Stelle der Auswahl steht. Ich habe auch „Freiheit“ gewählt, weil es das ist, was Europa am Dringendsten braucht. Vorher musste ich meinen Namen eingeben. Sobald ich auf den Knopf gedrückt hatte, erschein am Himmel eine krakelige Leuchtschrift „Freiheit, Vera“ und von irgendwoher kommt die Botschaft: „Du bist ein Teil Europas“.

Die Welt als Kinderspiel. Auf dem Rückweg zum Ausgang komme ich noch an einem riesigen Spiegel vorbei. „Wie blickst Du in die Zukunft?“, lautet die dazugehörige Frage, neben der die sogenannten Emoji aus dem Internet abgebildet sind. Ratlos schaue ich auf mein Spiegelbild. Aber schon ist einer der freundlichen jungen Männer zur Stelle, der mich aufklärt. Sanft geleitet er mich zu einer bestimmten Markierung. Jetzt soll ich das passende Gesicht aufsetzen. Aber egal, welche Fratze ich schneide, mich schaut immer ein lächelndes Emoji mit zwei Herzaugen an.

So also soll ich die Zukunft mit Kanzlerin Merkel sehen.

Wer tut sich diese Show an und was hat sie gekostet? Hauptsächlich kommen Berlin-Touristen, erfahre ich. Aber an diesem Freitagnachmittag, an dem ich da war, waren es nur wenige. Die Mehrzahl der Anwesenden war Betreuungspersonal. Im ersten Stock, wo man sich noch ein Werbevideo von Angela Merkel ansehen kann, war außer mir niemand.

Zu den Kosten konnte niemand etwas sagen. Die seien aber im Rahmen des 20-Millionen-Wahlkampfetats der CDU geblieben.

Ganz schön viel Geld, um keine politische Botschaft unter die Leute zu bringen.

Quelle: Vera Lengsfeld

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