Zehn Minuten vor „Cosi“-Schluss ist klar, wozu Jan Hax Halama die dralle Christbaumkugel über das schwesterliche Doppelbett hängte: Sie senkte sich, um das Techtelmechtel von Fiordiligi und Guglielmo, die sich „verkehrt rum“ kosten, artig zu kaschieren. Guglielmo zeigte sich nach getaner Liebestat – wirres Haar, halb offenes Lederhosentürl – dem allerdings nur eicht erheiterten Publikum. Cosi fan tutte? Nein, nicht alle machen`s so. Aber alle, die bei diesem albernen Verkleidungsspektakel zu singen oder zu sagen hatten, machten`s so, wie Maestro Gustav Kuhn es wollte: als Regisseur eines sich zäh ziehenden Verwirrspiels mit sperrig zündenden Gags und kein bisserl überschäumender Komik im starr-symmetrischen Bühnenbild und als Dirigent eines ihm nicht wie gewohnt in allen Vorgaben zur Realisierung von W. A. Mozarts sprudelnden Buffo-Klängen folgenden Tiroler Festspielorchesters.
Mit einer mühsam vorwärts strebenden „Cosi fan tutte“ wurde in Erl der Festspiel-Winter eröffnet. Statt ins barocke Neapel wurde man, sagen wir, auf die Beverly Hills von 2014 geführt. Dorthin, wo das schon immer belächelte, gar oft verhöhnte Libretto spielen könnte. Die lautesten Publikums-Lacher im akustisch phänomenalen Erler Festspielhaus ernteten die von Lenka Radecky als Tiroler Buam scheckig vermummten Liebhaber Ferrando (Ferdinand von Bothmer mit angestrengter Mozart-Noblesse) und Guglielmo (Michael Kupfer mit facettenreichem Kavaliersbariton). Anna Princevas Fiordiligi war ein Superklasse-Hör-und-Guck-Genuss, den Aurora Faggioli erst noch erreichen muss. Die Despina der Sophie Gordeladze: ein hinreißendes Zoferl mit Stimmglanz und kessem Popo, der jede noch so schwere Tür aufstieß. Don Alfonso (Giulio Boschetti) fehlte nicht die Grandezza, wohl aber der Zynismus, den ihm Lorenzo da Ponte 1789 andichtete.
Von den Beverly Hills, nur einen Tag später, in ein Staatsgefängnis zwischen Syrien und Tirol, wo der „Fidelio“ eigentlich noch nie was verloren hatte. Das änderte kühn Erl-Debütant Alexander Polzin als Regisseur und Ausstatter, von Haus aus Bildhauer, der sich der Kunst von Sommer Ulrickson (Co-Regie) und Wojciech Dziedzic (Kostüme) versicherte. Polzin ließ sich, hoffentlich, durch die paar Buhs, die er einzustecken hatte, nicht davon abhalten, weiter Opernregie zu machen. Wenn auch sein Konzept – ein riesiger drehbarer Totenkopf mit wohlweislich geschlossenem Mund (für den darin wie in einer Höhle eingekerkerten, mundtot gemachten Florestan, dem George Vincent Humphrey stählernes Gewicht gab), Gefangene in bewegungshemmenden Kleidern, die (wozu?) Ziegelsteine schleppten und aufstellten – einige Rätsel aufgab: Es machte in vielen Details Sinn und jagte dem Zuseher so manchen Schauer über den Rücken.
Das lag auch an Kuhns stringenter, bitterernster Beethoven-Deutung. Die 3. Leonoren-Ouvertüre wurde bejubelt wie die Protagonisten. Bettine Kampp, die im Erler Haus schon Senta und Isolde war und eben ihre „Götterdämmerung“-Brünnhilde anpeilt, strahlte als Titelheldin über das fulminant disponierte Orchester ebenso hinweg wie sie sich gegen den stark zupackenden Chor im sonnengelben Seidenkleid blendend behauptete. Thomas Gazheli konnte nicht anders als in den Don Pizzarro (schneeweißer Zweireiher, Hitler-Attitüde) alle Grausamkeit seiner scharfen Kehle zu stecken, während der milde Jens Waldig (Rocco) und das Singspiel-Pärchen (Marzelline: Paola Leggeri, Jacquino: Giorgio Valenta) geradezu überflüssig erschienen und Michael Kupfer zum Minister die Tiefe fehlte. Was dieser schon anfangs, von Mädels in Lila am Boden liegend geherzt, hier zu suchen hatte? Polzin fragen!
Fotos (Hans Gärtner)
„Cosi fan tutte“ in Erl: das sechsköpfige Solisten-Ensemble unter Jan Hax Halamas „Christbaum-Kugel“
„Fidelio“ in Erl: Höchstspannung bei der Stelle „Töt` erst sein Weib!“ mit (v. links) Thomas Gazheli (Pizzarro), Bettine Kampp (Leonore) und George Vincent Humphrey (Florestan)
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