So kindlich malte Gabriele Münter – Das Murnauer „Russenhaus“ stellt ihre „primitiven“ Bilder in den Fokus

Postkartenformat haben die vier Bildchen, auf die Isabelle Jansen bei ihrer Führung durch das „Russenhaus“ in Murnau, von 1909 bis 1914 Wohnsitz von Gabriele Münter und ihrem Geliebten Wassily Kandinsky, nachdrücklich hinweist. Als Chefin der in München ansässigen „Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung“ wählte Jansen den Schwerpunkt „Primitivismus“ für ihre neu konzipierte Ausstellung – ganz gezielt als Einstimmung auf die ab November 2017 im Münchner Lenbachhaus gezeigte große Schau, die sich auf die Suche nach den Wurzeln der Kreativität der Malerin Gabriele Münter (1877 bis 1962) begibt.

Von 1908 an nahm, so Jansen, die Welt der Kinder einen „bedeutenden Platz“ im Schaffen Gabriele Münters ein. Sie fing in der Technik des Farblinolschnitts Spielzeug ihrer Nichte Friedel ein. Von 1914 an schuf sie Ölfarben-Repliken von Kinderzeichnungen: Häuser vor allem, auch eine Landschaft mit Bach. Im Kopieren, so deutet es Jansen, habe sich Münter der „Bildsprache der Kinder“ angenähert, die den Blick der Unschuldigen wiedergebe. „Primitivität“ habe mit dem „ersten Mal“ (prima) zu tun, gleichzeitig aber auch mit spontaner Emotion und unverstellter Fantasie.

Das Kindliche, Unbefangene fand Gabriele Münter gemeinsam mit Wassily Kandinsky in der für sie beide als „ursprünglich“ und „unverdorben“ bewerteten Volkskunst. Sie sammelten Hinterglasbilder, Heiligenfiguren und profane Gegenstände für ihre Wohnbereiche, schon in der Münchner Ainmillerstraße, später für ihr gemeinsam bezogenes, idyllisch von einem selbst angelegten Garten umgebenes Murnauer Gebäudes, das die Leute „Russenhaus“ tauften. Anliegen seiner Bewohner war, die so genannte Volkskunst aus der abwertenden Beurteilung durch Vertreter der „hohen Kunst“ zu befreien. Die 130 zusammengetragenen Objekte, über die Jahre erworben auf der Auer Dult in München und bei Kleinstadthändlern und Trödlern, sind heute öffentlich zugänglich, sowohl in der Münchner Städtischen Galerie im Lenbachhaus als auch im „Münterhaus“ zu Murnau, wo sie für das von Kandinsky „naiv“ bemalte Inventar schmückende Wirkung haben.

Die vier Postkartenbildchen, auf die Isabelle Jansen die Aufmerksamkeit der Besucher lenkt – sie werden erstmals, wie manche andere thematisch einschlägigen Münter-Werke, öffentlich gezeigt – hängen nebeneinander. „Landmädchen“ und „Mutter mit Kind in rotem Kleid“ werden flankiert von „Dorfstraße am Meer“ und „Stillleben“. Wer sie betrachtet, hat den besten Eindruck von dem, was bei Münter unter den Begriff des „Kindlichen“ einzuordnen ist. Er sollte aber auch nach dem „Drachenkampf“ Ausschnau halten, nebenan im Wohnzimmer mit kleinen Kandinsky-Hinterglasbildern im „Herrgottswinkel“. Neben dem Fenster mit Blick auf die Murnauer Kirche, hängt, etwas versteckt, die Skizze fürs gleichnamige großformatige Werk, das das Musée national d`art moderne im Centre Pompidou Paris für die geplante Münter-Ausstellung ab November 2017 dem Lenbachhaus ausleiht.

Foto
Gabriele Münter: „Landmädchen“ (um 1918) und „Mutter mit Kind in rotem Kleid“ (um 1930)
(Foto: Hans Gärtner)

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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