So also klingt der Südpol? – Eisig-heiße Welturaufführung von Miroslav Srnkas „South Pole“ an der Bayerischen Staatsoper

Ein paar Unentwegte am Ende der Zweitaufführung der Doppeloper „South Pole“ des Tschechen Miroslav Srnka in Parkett-Reihe 8 des Münchner Nationaltheaters: „Da müssen wir nochmal!“ Und legen nochmal los mit Bravos für die lachend sich die Hand reichenden zweimal fünf Solisten und zwei Solistinnen, die GMD Kirill Petrenko, sowieso immer ein Lächeln auf den Lippen, in ihre Mitte nehmen und händchenhaltend an die Rampe eilen. Wo bleibt der Komponist? Wurde doch in der Pause gesichtet. Verdeckt verfolgt er die positiven Publikums-Reaktionen auf sein von Hans Neuenfels höchst beeindruckend inszeniertes Staatsopern-Auftragswerk. Denkt Srnka an die fünf Jahre, die er daran arbeitete? Auch er, der 40-jährige, lächelt. Auf „arte“ war zu sehen, wie er sichnach der Premiere fassungslos die Hände ins Gesicht geklatscht hatte.
Man war für 2 Stunden in der Antarktis des Winters 1911/12. In schattenlos-unwirtlicher Reinweiß-Gegend mit tiefschwarzem Südpol-Kreuz an der Rückwand der grell-kahlen Bühne von Katrin Connan. Man fror mit den beiden konkurrierenden Expeditionsteams um den Briten Robert F. Scott und den Norweger Roald Amundsen, die Andrea Schmidt-Futterer in allzu schicke Kostüme steckte. Man nahm frostig wabernde Eisluft-Winde aus dem sich heiß laufenden Orchestergraben wahr, gefasst auf (allerdings ausgebliebene) glitzernde Schneestürme und gleißende Blizzards. Man erlebte, auf einem melodie-armen Klangteppich der Spektralmusik Grauenvolles: die Tötung von Ponys, die Erschießung von Hunden im ewigen Eis. Suizide, Erfrierungen. Lebensängste. Todkampf.
Zweimal eine volle Stunde hielten uns der begnadete Minimalist Neuenfels und der Perfektionist Petrenko am Zittern und Bibbern. Unerträglich das permanente Drohen des Scheiterns. Auch mit dem beflissenen Lesen zweigeteilter deutscher Texte der englisch gesungenen Oper hatte man zu tun. Und litt, zwischen Widerwärtigkeit und Sympathie schwankend, mit den vor Ehrgeiz (Scott) und Hochmut (Amundsen) berstenden Polar-Eroberern und ihren bedauernswerten Begleitern. Ihnen galt alle Empathie. Ihren Träumen, Heimwehattacken, Streitigkeiten. Auch ihrem Fehlverhalten und Ungehorsam geheimer Tagebuchkritzeleien. Eine aufreibende Männergeschichte mit trivialem Anstrich, gestrickt von Tom Holloway, Miroslav Srnkas Freund. Im Hinterkopf bohrte die Frage, die ein Begleitprojekt der Staatsoper stellte: „Wie also klingt der Südpol?“ Statt Srnka antwortete Kollege Moritz Gagern mit seiner 12-minütigen „Klanginstallation des Unbewohnbaren“ unterm Portal des Nationaltheaters. Der Südpol – kein stilles Stück Erde: „Die Energie des Eises und des Windes“, der Polartiere, Menschenatem …
Der Atem stockte dem Zuschauer fürwahr, auch wenn er aus dem Geschichtsunterricht wusste: Scott stirbt. Erfriert. Amundsen war fünf Wochen früher als Scott am Ziel. Diesen gab der Belcanto-Narr Rolando Villazon, sportiv, aber sicher, dabei ständig grimassierend. Amundsen lieh der grandiose, noble Thomas Hampson Edelbariton und Hünenstatur. Seine perfekt gespielte Arroganz nervte, seine Großzügigkeit (am Ende gratuliert er Scott-Villazon und widmet ihm den Pol) nahm für ihn ein. Dank der beiden Frauengestalten – sie wären allerdings besser als nebulose Traumfiguren und nicht real in Erscheinung getreten – kamen Stimmglanz (Tara Erraught) und Stratosphärensang (Mojca Erdmann) ins besonders nach der Pause ergreifende, packende Spiel. Entscheidend mitgetragen wurde es vom Engagement der Forscher-Adlaten beiderseits: Dean Power, Kevin Conners, Matthew Grills und Joshua Owen Mills sowie Tim Kuypers (mit einer herzzerreißenden Sehnsuchts-Hymne an die Vögel), John Carpenter, Christian Rieger und Sean Michael Plumb. Die Bayerische Staatsoper griff voll in die Saiten ihrer Pracht-Jungmannen. Sie sorgte freilich auch für den nötigen Medienrummel der Welturaufführung. Bei aller Skepsis hinsichtlich der Zukunftsträchtigkeit der Srnka-Novität: So rasch wird es Petrenko & Co. kein anderes Haus der Welt mit diesem Südpol-Klang-Drama gleichtun.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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