Sinn und Unsinn medizinischer Zertifikate

In der Medizin geht es um Gesundheit, letztendlich um Leben und Tod, was der durchschnittliche Mensch höher als den schnöden Mammon bewertet. Zu Unrecht. Denn Gesundheit hat ihren Preis. Die Mentalität des deutschen Krankenversicherten läutet das Ende eben dieser Versicherung ein. Die Versicherungsbeiträge monatlich korrekt entrichtet, erwartet der Leidende, dass alles erdenklich Teuere ihm angetan werde, auf dass der status quo ante wiederhergestellt werde.

Da der Leidende außerdem die Perfektion in der Medizin erwartet, der Europäer des angehenden dritten Jahrtausends nach der Gesundheit die Sicherheit von Staat und Gesellschaft einfordert, haben sich Medizinzertifikate in der Bürokratie der Medizinüberwachung ausgebreitet und kaninchenartig vermehrt. Quantität schlägt Qualität, wer viel tut, begeht viele Fehler. Zertifizierte Mamma-Implantate sind ein Vorgeschmack auf die Realität.

Zertifiziert werden nicht allein Medizinprodukte, auch Krankenhausabteilungen, ja ganze Krankenhäuser und riesige Universitätskliniken. Kein Krebszentrum ohne Brustkrebs-, Darmkrebs- und bösartigen Tumor der männlichen Vorstehdrüse-Zertifikat. Auch wenn der Leidende durch das Siegel auf Wände, Türen und Briefpapier sich nicht besser fühlt und versorgt wird, für den überweisenden Arzt ist das Zertifikat eine Gelegenheit, den Kranken ohne Gewissensbisse in zertifiziert-ärztliche Obhut weiter zu vermitteln.

Ähnlich den Sonderangeboten bei Lidl und Aldi ist das medizinische Zertifikat das Lockangebot an überweisende Ärzte, Kranke zu überweisen, um die Klinik Leben und Überleben zu sichern. Doch spiegeln die Zertifikate der Brustimplantate die wahren Zustände in der Medizin oder stellen sie einen Ausrutscher, eine statistisch notwendige Ausnahme dar?

Zertifizierte oder nicht-zertifizierte Qualitätskontrollen der Medizinprodukte sind ein augenscheinliche Notwendigkeit. Zertifizierungen ärztlicher Verhaltensweisen sind eine Unmöglichkeit, ein Reklame-Gag. Zertifiziert werden sinnvolle und sinnlose Vorgaben, die die medizinische Abteilung vorgibt oder gedenkt durch- und einzuhalten. Unabhängig von jeglichem Nutzen, weder für den Patienten noch für das Personal. Lediglich die Verwaltung fühlt sich wichtig und bestätigt.

Da die Konkurrenz unter den Zertifizierer groß ist, die Zertifizierer von den zu Zertifizierenden gut entlohnt werden, die Zertifikate regelmäßig erneuert werden müssen, fallen die Zertifikate erwartungsgemäß aus.

Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.

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