Seit November 2008 veröffentlicht der Schweriner Journalist und Schriftsteller Bert Lingnau (50) Artikel über alte wahre Kriminalfälle aus Mecklenburg und Vorpommern. Sie erscheinen monatlich in der Zeitschrift kultur kalender. Unterwegs in Mecklenburg-Vorpommern. Jeden Monat ein authentisches Verbrechen, neue Spannung und anspruchsvolle Unterhaltung. Bisher sind 165 Fälle, die zwischen 1135 und 1985 geschehen sind, veröffentlicht worden. Die besten 62 Geschichten aus 850 Jahren Gaunereien sind nun in Lingnaus neuem Buch Singende Barsche erschienen, einem kriminalistischen Reiseführer für Ostseefans, Krimiliebhaber und Leselustige, verlegt im KLATSCHMOHN Verlag. Wir sprachen mit dem Autor:
Herr Lingnau, die Kriminalfälle, die Sie in Ihren aktuellen Artikeln und Ihrem neuen Buch schildern, sind meist nicht mörderisch und düster, sondern voller Ironie und Humor. Beim Lesen lacht man oft laut auf. Das war in Ihren früheren Büchern anders. Woher kommt dieser Wandel?
Bert Lingnau: Ich hatte irgendwann genug von den traurigen Geschichten und Schicksalen, der Gewalt und den zerstörten Lebensläufen. Bis vor etwa zweieinhalb Jahren hatte ich ungefähr 130 Fälle beschrieben, unter denen zwar auch schon einige skurrile und kuriose Verbrechen waren. Aber ich wollte mich jetzt anderen, komisch-kauzigen Übeltätern widmen und ihre Freveltaten erzählen. Denn mir war aufgefallen, dass auch im Kriminellen Freude und Leid oft dicht beieinander lagen, dass selbst sehr traurige Ereignisse manchmal heitere Momente besaßen. Ich suchte genauer nach der Komik im Tragischen – und fand sie plötzlich in großem Umfang.
Heißt das Buch darum auch „Singende Barsche“?
Ja. Im Buch trägt einer der geschilderten Kriminalfälle diesen Titel. Es ist ein augenzwinkernd geschriebener Fall, der sich vor 120 Jahren an der Ostsee ereignet hat. Zweitens verweist der Buchtitel aber auch auf Ungewöhnliches und eigentlich Unmögliches – Barsche können ja gar nicht singen, nicht einmal sprechen. Die Geschichten, die ich erzähle, sind auch ungewöhnlich und unmöglich, man schüttelt den Kopf und sagt sich: Das gibt’s doch gar nicht! Da geht es z. B. um störrische Droschkenkutscher, verbrecherische Amtsrichter, Erbschleicherinnen und Wollüstige, die in Wallung geraten. Eine Sammlung über Irrwitziges, Menschliches und den Tatendrang von Ganoven. Und darüber wie man es nicht anstellen sollte, wenn man Erfolg mit Gaunereien haben will. Drittens verweist der Buchtitel auch auf einen bestimmten Sound der Texte – ich lege großen Wert auf Stil, treffende Formulierungen und eine unterhaltsame, lesbare Sprache.
Wie kommen Sie denn an die Kriminalfälle, die mitunter ja sehr lange zurückliegen, heran, wo recherchieren Sie die Fakten?
Die Nachforschungen erfolgen mittlerweile vor allem über das Internet. Inzwischen sind viele alte Zeitungen digitalisiert worden und u. a. in der Digitalen Bibliothek Mecklenburg-Vorpommern, die im Juni 2017 freigeschaltet wurde, für alle frei zugänglich. Hier sind z. B. die Stralsundische Zeitung aus der Zeit von 1772 bis 1925 oder die Greifswalder Zeitung der Jahre 1896 bis 1923 wahre Fundgruben, weil sie regelmäßig detaillierte Berichte über damalige Gerichtsverhandlungen enthalten. Ich sitze also nicht mehr in Archiven, sondern zu Hause am Schreibtisch und durchforsche am Laptop die eingescannten Zeitungen. So kann ich meine Fälle rekonstruieren. Mich interessieren dabei Kleinkriminelle, die sich um Gänse streiten oder im Trunke auf die Rübe hauen, auch Polizeihunde, die Weihnachtsbaumdiebe aufspüren, oder schlitzohrige Fischer, die Meerforellen teurer als Lachse verkaufen – also einfache Alltagskriminalität. Die Figuren werden durchaus warmherzig gezeichnet, ich schildere das Milieu, in dem sie agieren, und ihre Motive. Die Leute gehen zunächst bauernschlau vor, fallen zum Schluss aber meist auf die Nase. Da kann man viel über menschliche Charaktere lernen. Straffälle sind Studierstuben des Lebens, prall gefüllt mit Wünschen, Sünden, Eitelkeiten und Narreteien.
In Ihrem neuen Buch setzen Sie auch niederdeutsche Dialoge ein. Warum?
Es ist einerseits eine Hommage an meine Großeltern Else und Hans Lingnau, die auch Niederdeutsch miteinander sprachen, was ich als kleines Kind hörte und mehr aufnahm, als mir lange Zeit bewusst war. Zum anderen verwende ich das vorpommersche Platt als Stilmittel, lasse die Figuren, die oft aus einfachen Verhältnissen stammen, Niederdeutsch reden, weil sie so authentischer werden: Strolche schwatzen up Platt daher, wie ihnen die Verbrecherschnäbel gewachsen sind. Derbes wird so drollig und Strafbares amüsant.
Das ist eine passende Urlaubslektüre für den Sommer und die See. Wir wünschen beim Schreiben immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel und Freude in der Feder.
Neuerscheinung
Bert Lingnau
Singende Barsche. Lustige und bewegende Kriminalfälle aus Mecklenburg und Vorpommern
KLATSCHMOHN Verlag
ISBN 978-3-941064-89-8
Taschenbuch, 212 Seiten
11,80 Euro